Heinz Strunk: „Eigentlich ist das total krank“

Wir freuen uns schon auf Heinz Strunks geplantes Buch „Die Käsis“: Darin verliebt sich ein edler Parmesan in einen einfachen Haushaltskäse; Foto: Dennis Dirksen
Wir freuen uns schon auf Heinz Strunks geplantes Buch „Die Käsis“: Darin verliebt sich ein edler Parmesan in einen einfachen Haushaltskäse; Foto: Dennis Dirksen

In „Es ist immer so schön mit dir“ beleuchtet Heinz Strunk die Abgründe toxischer Beziehungen. Ein Gespräch über das Festhalten wider alle Vernunft, Strunks Faible für Kalendersprüche und über seine Abkehr von der Kirche

Interview: Ingrun Gade

Der Protagonist ist Mitte 40, steckt in einer leidenschaftslosen Beziehung mit Julia und betreibt ein eigenes Einmann-Tonstudio. Seinen Wunsch nach einer künstlerischen Karriere als Musiker hat er aufgegeben, doch der geplatzte Traum schmerzt ihn nicht mehr. Dann lernt er Vanessa kennen, eine Schauspielerin, und er kann es kaum fassen – diese schöne, junge Frau interessiert sich für ihn. Er verliebt sich, verlässt Julia und gerät in einen Sog aus Glück, Chaos, Abgründigkeit und Abhängigkeit.

„Es ist immer so schön mit dir“, der neue Liebesroman von Heinz Strunk
„Es ist immer so schön mit dir“, der neue Liebesroman von Heinz Strunk

SZENE HAMBURG: Herr Strunk, Sie sind im April Twitter beigetreten und hatten schon nach kurzer Zeit 5.000 Follower. Stimmt es, dass Ihr Verlag Sie aus Promo-Zwecken „an die Social-Media-Front“ gezwungen hat, oder war das nur ein Spaß?

Heinz Strunk:Och, wissen Sie … Ob das Ernst ist oder Spaß, wer weiß das schon. Das muss jeder für sich rausfinden.

Dann hat sich wohl auch meine Frage zu Ihrer angeblichen Angst, „dass der Roman floppt“ und Sie „bei Rowohlt geschasst“ werden, erübrigt.

Ich bin mir immer unsicher, ob ein Buch von mir erfolgreich wird. Ich hoffe es natürlich, aber ich kann es nie einschätzen. Ich denke, dass man dabei bescheiden bleiben sollte, gerade weil es stark vom Format abhängig ist. In Deutschland muss ja immer „Roman“ draufstehen, damit es ein richtiger Erfolg wird.

Dabei präferieren Sie eher dichte und kurze Formate, wie Sie mal sagten. Warum diesmal ein Liebesroman?

Wenn ich Bücher schreibe, versuche ich immer, dem ewigen Kanon der bereits geschriebenen Literatur noch irgendeine originelle Variante hinzuzufügen. In diesem Fall also alle dunklen, finsteren, verzweifelten, hysterischen, paranoiden Seiten einer Beziehung, in der wahrscheinlich jeder schon mal irgendwann zu einer Zeit seines Lebens gesteckt hat – diese genau aufzuzeichnen, ist mein Anliegen.

Beziehungen

Die Beziehung der beiden Protagonisten ist das, was man heute als „toxisch“ bezeichnet. Beim Lesen entsteht der Eindruck, als gäbe es eine Dichotomie: Entweder kurze, leidenschaftliche, aber eben auch toxische Beziehungen oder lange und leidenschaftslose. Gibt es nichts dazwischen?

Es gibt in diesem Rahmen unterschiedliche Varianten: Es gibt langjährige Beziehungen, die leidenschafts- und sexuallos sind, aber dennoch funktionieren. Es gibt aber auch viele Menschen, die in einer solchen Beziehung festhängen, damit vollkommen unzufrieden sind und es dennoch nicht hinbekommen, sich zu trennen. Jeder, der schon mal selbst in einer solchen Situation war, weiß, wie schwierig dieser Schritt ist.

Und die toxische Variante?

Es gibt Beziehungen, die zwar toxisch sind, aber endlos dauern. In meiner Geschichte habe ich versucht, komprimiert über einen Zeitraum von ungefähr anderthalb Jahren zu schreiben. Wann diese Situation eskaliert, hängt von der Leidensfähigkeit der Beteiligten ab. Bei manchen Menschen frage ich mich, wie sie das noch aushalten. Mein Zerreißpunkt wäre sehr viel früher erreicht.

Gibt es auch lange, leidenschaftliche und glückliche Beziehungen?

Ja, absolut. Einige davon sogar in meinem Umfeld und ich hoffe auch, dass das die Mehrheit ist. Aber darüber zu schreiben wäre langweilig. Als Schriftsteller versuche ich über Themen zu schreiben, die möglichst noch nicht behandelt worden sind.

An Vanessa wird deutlich: Das Reinzwängen in ein sozial erwünschtes und gesittetes Leben überkommt fast jeden. Inwiefern spielen soziale Zwänge eine Rolle beim Scheitern der Beziehung?

Liebe, Beziehungen und dass sich Menschen zusammentun, das würde ich unabhängig machen von der Gesellschaft. Die Leute finden sich, unter welchen Umständen auch immer. Und es gibt bei uns allen diesen „Nestbautrieb“. Ich glaube, bei Frauen ist er vermutlich etwas stärker ausgeprägt als bei Männern, wobei es natürlich immer Ausnahmen gibt und Fälle, in denen das Gegenteil der Fall ist.

Der Protagonist unterwirft sich seiner Partnerin gänzlich. Warum tut er sich das an?

Eigentlich ist das total krank. Aber es bleibt ihm in der Situation scheinbar nichts anderes übrig. Und auch das kennt man ja. Anstatt einen Kompromiss zu finden, gibt man gleich auf und klein bei. Und erfahrungsgemäß ist es auch so, dass wenn die Frau auf der Klaviatur von Druckschuld und schlechtem Gewissen zu spielen vermag, die meisten Männer relativ schnell einknicken.

Für Julia war die Trennung hingegen eher wie ein Befreiungsschlag …

Das ist auch das, was eine Trennung idealerweise bewirken sollte, nämlich dass eine Befreiung und nicht eine jahrelange Quälerei und ein Zurücklehnen in der Beziehung geschieht. Ich habe auch schon beides erlebt.

Das Hamburger Multitalent Heinz Strunk; © Dennis Dirksen

Sie haben dem Roman ein Zitat von John Cheever vorangestellt. Warum?

John Cheever ist eines meiner großen Vorbilder. Ich selbst bin bei Rowohlt, einem Verlag, der traditionell nordamerikanischen Erzählern verpflichtet ist, dadurch bin ich auch auf John Cheever gestoßen, einen Autor, der zu Lebzeiten nie so erfolgreich war. Ich finde das Zitat so brillant, dass ich es nehmen musste.

Es lautet: „Würden Sie mir bitte gestatten, meine Hand um Ihre Knöchel zu legen? Das ist alles, was ich möchte. Es würde mir das Leben retten. Ich würde Sie auch gern dafür bezahlen.“ Körperlichkeit und sexuelle Triebe spielen bei Ihnen eine wichtige Rolle, meistens aber als zerstörerische Kraft. Überwiegen die negativen Aspekte?

Nein, das kann man nicht pauschalisieren. Da muss ich die etwas langweilige Antwort geben, dass das ziemlich typenabhängig ist. Es gibt Leute, für die die Libido quasi eine lebenslange Quelle des Leids ist. Und bei anderen, bei denen die Libido nicht so ausgeprägt ist, ist das vollkommen anders und völlig in Ordnung.

Also sind Sie nicht so düster unterwegs wie Houellebecq, der in seinen Romanen gleich für die Abschaffung des Körpers plädiert?

Nein, ich glaube, dass Houellebecq aus seiner eigenen Sicht schreibt, die sehr traurig ist und auch übertrieben. Sein Blick auf die Sexualität sollte kein Maßstab für die Allgemeinheit sein – zum Glück.

Den Vergleich habe ich wegen Passagen wie dieser gezogen, in der der Protagonist sich im Spiegel betrachtet: „Ein aufrecht stehender Sack voller Eingeweide. Qualliges, lilienweißes Fleisch. Was ist lappiger, die Haut oder das Fleisch? (…) Was er da sieht, hat nun gar keinen Marktwert mehr. Kann er sich gleich morgen mit den anderen Ausgeleierten und Verwelkten zusammentun.“ Das ist schon ziemlich düster.

Da muss ich leider widersprechen. Das wird mir gelegentlich gesagt, aber ich empfinde das gar nicht so. Wenn man sich mal die Mühe macht und mit offenen Augen durch eine deutsche Autobahnraststätte geht, dann wird man auf genau die Leute treffen, die ich beschreibe. Ich versuche ja, nicht zu übertreiben, sondern die Wirklichkeit so wiederzugeben, wie sie ist. Und das hat nichts zu tun mit Menschenhass oder einem düsteren Filter. Ich bemühe mich um Genauigkeit und darum, die Dinge so abzubilden, wie sie sind.

Abkehr von der Kirche

Ein anderes Thema in Ihren Büchern und auch im aktuellen Roman ist die Kirche und der Glaube an Gott. Auch damit haben Sie ein aktuelles Thema aufgegriffen, Stichwort Missbrauchsskandal.

Dieser Roman war eine willkommene Gelegenheit, meine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen einfließen zu lassen. In jungen Jahren war ich selbst ein fleißiger Kirchgänger. Ich bin konfirmiert worden, war auf sämtlichen Kirchenfreizeiten und habe bis zum 18. Lebensjahr fest an die Existenz eines Gottes geglaubt.

Warum danach nicht mehr?

In dieser Zeit habe ich mitgekriegt, wie sich aus meinen drei Gemeinden alle drei Diakone an die Mädchen rangemacht haben. Ich habe die ganzen Vertuschungen mitbekommen, allenfalls gab es eine Strafversetzung, ansonsten blieben diese Straftaten aber ungesühnt. Seitdem möchte ich nichts mehr mit der Kirche zu tun haben.

Das heißt, die Schilderungen basieren auf einem konkreten Fall?

Ja, auf echten Fällen. Das waren damals „Glaubensgenossen“ von mir. Die Überschneidungen mit dem aktuellen Kölner Skandal sind natürlich Zufall. Wenn man ein Buch schreibt, dauert das seine Zeit, sodass man nie ganz aktuell sein kann. Wobei es eigentlich kein aktuelles Thema ist – das Thema existiert an sich schon, seitdem es die Kirche gibt.

Um zum Schluss noch mal auf Ihren Twitter-Account zurückzukommen: Sie nutzen ihn auch immer wieder für Ihr Faible für schlechte Kalendersprüche à la: „Wer morgens zerknittert aufwacht, hat tagsüber viele Entfaltungsmöglichkeiten.“ Haben Sie aktuell einen Favoriten?

„Ich habe heute Morgen zwei Geschenke geöffnet: Meine Augen.“ Das ist ein Top-Satz. Ich weiß nicht, ob der jemals zu überbieten ist.

Heinz Strunk: „Es ist immer so schön mit dir“, Rowohlt, 288 Seiten, 22 Euro. Autorenlesung am 13.9. in der Elbphilharmonie (Großer Saal), 20 Uhr


 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, August 2021. Das Magazin ist seit dem 29. Juli 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!

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