Gerade mal 33 Jahre ist Édouard Louis alt, und doch hat er sich bereits beeindruckend schonungslos der literarischen Verarbeitung seiner eigenen Familiengeschichte gewidmet: 2014 erschien der autofiktionale Roman „Das Ende von Eddy“, in dem er sein Aufwachsen als queerer Junge in der französischen Provinz beschreibt und seine Eltern darin als brutal agierende Feinde seiner selbst darstellt. Ihnen hat er sich mit „Wer hat meinen Vater umgebracht?“ und „Die Freiheit einer Frau“ dann noch einmal etwas differenzierter gewidmet, während Louis in „Der Absturz“ nun das Unglück seines auf sämtlichen Ebenen gescheiterten Bruders verhandelt. Louis’ Bruder hatte stets große Träume, und alle sind sie zerplatzt: Die so sehnsuchtsvoll erhoffte Liebe seines Vaters blieb ihm verwehrt, beruflich ist er gescheitert, ertrinkend in Selbstzweifeln, Glücksspiel und Alkohol. Die Schonungslosigkeit, mit der Édouard Louis auch beim Porträtieren seines Bruders vorgeht, ist erdrückend – doch gleichzeitig so angenehm ehrlich und voller Liebe, dass es weh tut.
Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 12/25 erschienen.

