Literaturkritiken: Von Familie, Jugend und Heilung

Paul Murray erzählt in „Der Stich der Biene“ brilliant vom Zusammenbruch der Familie Barnes, Maxim Leo verbindet in „Wir werden jung sein“ die Rückkehr der Jugend mit ethische und Timon Karl Kaleyta gibt in „Heilung“ ein Versprechen auf eben jene
Diesen Monat in den Literaturkritiken: Paul Murrays „Der Stich der Biene“, Maxim Leos „Wir werden jung sein“ und Timon Karl Kaleytas „Heilung“ (©A. Kunstmann/Kiepenheuer & Witsch/Piper)

Paul Murray: „Der Stich der Biene“

Paul Murrays „Der Stich der Biene“ ist bei A. Kunstmann erschienen (©A. Kunstmann)

Betrachtet man nur das Cover von Paul Murrays „Der Stich der Biene“, man könnte das Buch durchaus als unscheinbar abtun. Doch wie lautet eine alte Binsenweisheit: „Don’t judge a book by its cover!“ („Beurteile ein Buch nicht nach seinem Aussehen!”). Das sollte man tunlichst auch hier beherzigen, immerhin wurde „Der Stich der Biene“ von der „New York Times“, der „Washington Post“, „Time“, BBC und vielen anderen zu einem der besten Bücher des Jahres 2023 erkoren – vollkommen zu Recht! Und nun, endlich, ist es auch auf Deutsch erhältlich. Erzählt wird darin vom Zusammenbruch der Familie Barnes: Vater Dickies Autogeschäft läuft nicht, weshalb er im Wald beginnt, einen Bunker zu bauen. Seine Frau Imelda fühlt sich zunehmend von Big Mike angezogen. Die 18-jährige Cass beschließt, sich bis zu ihrem Schulabschluss jeden Tag zu besaufen, während ihr zwölfjähriger Bruder PJ von zu Hause abhauen will. Ein wirklich toller Roman über den schleichenden Zerfall einer Familie und die über allem schwebende Frage: Warum ist nur alles so gekommen?

Paul Murray: Der Stich der Biene, A. Kunstmann, 700 Seiten, 30 Euro

Maxim Leo: „Wir werden jung sein“

Maxim Leos „Wir werden jung sein“ ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen (©Kiepenheuer & Witsch)

Der Berliner Autor Maxim Leo hat eine ungewöhnliche Karriere hinter sich: Als gelernter Chemielaborant studierte er Politikwissenschaften, wurde dann Journalist und schreibt heute nicht nur ausgezeichnete Bücher, sondern auch schon mal Drehbücher für den „Tatort“. Sein neuer Roman „Wir werden jung sein“ hat was von Sci-Fi – allerdings von einer Zukunft, die schon bald Wirklichkeit werden könnte. Denn es geht darin um die Teilnehmer einer Medikamentenstudie an der Berliner Charité, die plötzlich jünger werden; etwas, von dem Wissenschaftler: ausgehen, dass es in absehbarer Zeit möglich sein wird. Da ist zum Beispiel die ehemalige Sprinterin und zweifache Olympiasiegerin Verena, die ihre Profizeit eigentlich schon hinter sich hat und plötzlich neue Bestzeiten aufstellt. Oder der schwer kranke Immobilienpatriarch Wenger, der – zum Leidwesen seiner Erben – plötzlich wieder aufblüht anstatt das Zeitliche zu segnen. Ein toller Roman, der einerseits heiter und vergnügt wie eine Komödie daherkommt, andererseits aber voller Weitsicht große ethische und gesellschaftliche Fragen stellt. Toll.

Maxim Leo: Wir werden jung sein, Kiepenheuer & Witsch, 304 Seiten, 24 Euro

Timon Karl Kaleyta: „Heilung“

Timon Karl Kaleytas „Heilung“ ist bei Piper erschienen (©Piper)

Es sei „der beste Roman des Frühjahrs“, hieß es kürzlich bei den Kollegen der „Zeit“ über „Heilung“ von Timon Karl Kaleyta, und was soll man sagen: Sie haben Recht, zumindest handelt es sich um einen wirklich herausragend gut geschriebenen, äußerst klugen Roman. Es geht darin um einen Mann, der nicht mehr schlafen kann und mit seinen Kräften vollkommen am Ende ist. Seine Frau schickt ihn daraufhin in ein mysteriöses Nobelresort in den verschneiten Dolomiten. Dort konfrontiert ihn der Professor mit einem in der Vergangenheit begründeten Unbehagen – dem scheinbaren Ursprung seiner problembedingten Schlaflosigkeit. Doch der Mann hat Angst, sich dem Ganzen zu stellen und flieht daraufhin zu einem Kindheitskumpel. Bis zum Schluss erfährt man in dieser originellen Geschichte übrigens nicht, woran der Mann eigentlich leidet, und das führt auch beim Lesenden zu schlaflosen Nächten. Doch das Versprechen auf Heilung liefert Timon Karl Kaleyta mit seinem Buch gleich mit.

Timon Karl Kaleyta: Heilung, Piper, 208 Seiten, 22 Euro

Diese und noch mehr Literaturkritiken gibt es in SZENE HAMBURG 04/2024 .

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