Als Luisa Neubauer noch in Blankenese zur Schule ging, hatte sie nie vorgehabt, Vollzeit-Klimaaktivistin zu werden. Doch: Sie wurde zum bekanntesten Gesicht von Fridays for Future Deutschland und beschreibt in ihrem Bestseller, was Hamburg im Jahre 2050 bevorsteht
Text: Mathias Greulich
Foto: Fridays for Future Deutschland
SZENE HAMBURG: Luisa Neubauer, Sie haben mit Peter Tschentscher beim Körber-Forum über die Klimakrise debattiert. Welchen Eindruck haben Sie vom SPD-Bürgermeister?
Luisa Neubauer: Herr Tschentscher ist ein unaufgeregter Mensch. Man kann mit ihm sachlich diskutieren, es waren angenehme Gespräche. Dennoch ist in der Klimabilanz unter seiner Verantwortung noch dermaßen viel Luft nach oben. Hamburg hat als reiche CO2-intensive Stadt die Möglichkeit, Klimavorreiter zu werden. Ein grüner Leuchtturm im Norden.
Andere Städte sind da weiter.
Es war total irre. Einen Tag nach der Diskussion mit Herrn Tschentscher habe ich den Bürgermeister von Kopenhagen getroffen. Frank Jensen ist ein charismatischer Mensch. Übrigens kein Grüner, sondern ein Sozialdemokrat. Ich war sehr beeindruckt, wie visionär er beim Klimaschutz an die Sache herangeht. Kopenhagen will schon 2025 klimaneutral werden.
Noch im September demonstrieten 100.000 Hamburger für besseren Klimaschutz, am selben Tag hat die Bundesregierung ihr Klimapaket beschlossen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagt inzwischen in Richtung Fridays for Future, dass es nicht reiche, „jede Woche apokalyptische Bedrohungen zu beschreiben, die kaum zu bewältigen scheinen“. Die Demokratie werde schlecht geredet.
Ich frage mich, aufgrund welcher Sachlage diese Aussagen von Herrn Steinmeier getroffen wurden. Wir sind Teil einer gelebten Demokratie, in dem wir Woche für Woche auf die Straße gehen. Das ist urdemokratisch, ebenso wie ziviler Ungehorsam. Wir wollen eine inhaltliche Debatte darüber führen, was man den Menschen zumuten kann. Es wird Zeit, dass die Regierung beim Klimaschutz endlich loslegt. Aber nicht so, wie es im Klimapaket vereinbart wurde, das zur Erreichung der Klimaziele nicht zielführend ist. Wir sind in einer entscheidenden Phase. Wir sind diejenigen, in deren Händen es liegt, ob das Ende der Klimakrise jetzt beginnen kann.
„Menschen brauchen Antworten und keine Beschwichtigungen“
Mit Alexander Repenning haben Sie gemeinsam das Buch „Vom Ende der Klimakrise. Eine Geschichte unserer Zukunft“ geschrieben. Sie sind beide aus Hamburg und skizzieren, was Ihrer Heimatstadt durch den Anstieg des Meeresspiegels im Jahr 2050 bevorsteht. Der Satz, dass sich „die Kinder auf den Schulhöfen im Sommer die Füße verbrennen werden“, wird als Panikmache kritisiert.
Was wir beschreiben, passiert heute schon. Wir haben in der Recherche mit Stadtplanern gesprochen, die Schulhöfe mittlerweile anders konzipieren müssen. Die wissenschaftlichen Szenarien von häufigeren Sturmfluten und sehr viel heißeren Sommern sind die Spitze des Eisbergs. Was uns droht, ist schwer vorstellbar. Viele stellen sich die Frage, wie man mit den vorliegenden Informationen der Wissenschaftler umgeht. Darauf brauchen die Menschen ernsthafte Antworten und keine Beschwichtigungen. Viele Menschen, die unser Buch gelesen haben, schreiben mir. Das zeigt mir, dass es richtig war, diese Dinge so aufzuschreiben.
Als Sie selber noch auf die Grundschule Iserbrook gingen, haben Sie gegen deren drohende Schließung erfolgreich demonstriert. War es für Sie eine wichtige Erfahrung, dass Protest etwas bewirken kann?
Politik hat im Alltag meist eine entfernte Dimension, aber damals haben wir eine Selbstwirksamkeit im Politischen erfahren. Es war glaube ich der Senat unter Ole von Beust, der reihenweise Grundschulen schließen wollte. Das war natürlich bildungspolitischer Nonsens, gegen den es einen breiten Widerstand gab.
Sie schreiben, dass Sie als 13-Jährige zum ersten Mal etwas über den Treibhauseffekt gehört haben. Eine Doppelstunde im Erdkundeunterricht, das war’s.
Ich fand es damals irritierend, dass ein so wichtiges Thema in 90 Minuten gequetscht wurde. Ich begann, mich mit der Klimakrise zu beschäftigen. Ein Jahr später beschloss ich als Konsequenz auf die Informationen, die ich nach und nach gewann, Vegetarierin zu werden. Meine Eltern haben das damals noch nicht verstanden. Es gab immer mehr Fragen zu den ökologischen Grenzen des Wachstums und der Zukunft des Planeten, die ich mir stellte. Ein Jahr nach der Schule beschloss ich, Geografie zu studieren.
Klimaaktivistin mit 80-Stunden-Woche
Schüler bekommen auf dem Marion-Dönhoff-Gymnasium in Blankenese heute wahrscheinlich mehr Antworten zum Treibhauseffekt als Sie vor zehn Jahren.
Damals hieß die Schule noch Willhöden. Ich war auch mal wieder dort, um über die Klimakrise mit der Oberstufe zu diskutieren. Sie geben sich inzwischen viel mehr Mühe, bei diesem Thema etwas zu verändern.
Was halten Ihre ehemaligen Mitschüler davon, dass Sie jetzt Vollzeit-Klimaaktivistin sind?
Die finden es glaube ich ganz okay. Wir sind alle nach dem Abi unserer Wege gegangen und machen ganz unterschiedliche Sachen. Ich glaube, sie möchten nicht mit mir tauschen.
Im Frühjahr hatten Sie eine 90-Stunden-Woche.
Das war als wir mit Fridays for Future begonnen haben, auf die Straße zu gehen. Ich hatte noch niemals eine Demo organisiert und bin aus meiner persönlichen Komfortzone herausgetreten. Mittlerweile mache ich einen Tag in der Woche frei und komme auf 80 Stunden.
Und Sie haben eine Morddrohung bekommen.
Ja, das war extrem schockierend.
fridaysforfuture.de/ortsgruppen/hamburg
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