Der Michel-Türmer ist ein Trompeter, der täglich morgens und abends ein kurzes Lied vom Turm der Hauptkirche St. Michaelis in alle vier Himmelsrichtungen spielt. Das Amt bekleiden zwei Personen: Der Haupt-Türmer Josef Thöne wird nun von Neele Fokken unterstützt, nachdem der langjährige Türmer Horst Huhn in die Ruhestand gegangen ist. „Dass zwei Türmer sich die Position teilen, ist gar nicht so üblich“, sagt Joseph Thöne, der seit 1992 im Amt ist. „Es ist eine Besonderheit und wird dem zur Rechnung getragen, dass das Leben heutzutage etwas anders funktioniert. Man muss 365 Tage im Jahr verfügbar sein. Das schafft eine einzelne Person heutzutage gar nicht mehr.“
Jeden Werktag um 10 und um 21 Uhr wird ein christlicher Choral im Osten, in Richtung des Altars, gestartet und je eine Strophe aus einem der vier geöffneten Fenster, für jede Himmelsrichtung eins, im Uhrzeigersinn gespielt. Sonntags und feiertags starten die Türmer erst um 12 Uhr. Die gespielten Choräle stimmen die Michel-Türmer mit dem Kirchenkalender ab. Gespielt wird vom siebten Stockwerk des Michels, dem sogenannten Türmerboden, da der Ton laut Thöne von hier aus am besten zu hören sei, insbesondere bei Regen. „Das Amt prägt natürlich, vor allem wenn man das schon so lange macht. Wir sind jetzt im 32. Jahr. Ich habe es sehr schätzen gelernt, wenn Menschen pünktlich sind. Verlässlichkeit hat einen sehr hohen Stellenwert“, sagt Thöne. Bloß einmal in über 30 Jahren Amtszeit startete das Trompetenspiel zu spät – und das nur aufgrund eines Fahrradunfalls auf dem Weg zum Michel.
Die Geschichte hinter der Tradition der Michel-Türmer
Das Turmblasen begann während der Reformation im 18. Jahrhundert in Hamburg und war bis zur Aufhebung der Torsperre zum 1. Januar 1861 das Zeichen für die morgendliche Öffnung beziehungsweise nächtliche Schließung der Stadttore. Während der Zeit der Torsperre kamen die Bürgerinnen und Bürger nur gegen die Zahlung einer Gebühr in die Stadt hinein und hinaus. Auch als die Festungsbauten der Hamburger Wallanlagen nach 1814 abgetragen und teilweise zu einer Grünanlage (heute Planten un Blomen) umgebaut wurden, hielt die Obrigkeit weiterhin an der Torsperre fest, da die Stadt dadurch hohe Einnahmen generieren konnte. Als sie 1861 endgültig aufgehoben wurde, feierten die Menschen und Hamburg begann sich weiter auszudehnen.
Ein Zeichen der Hoffnung
Die Geschichte von St. Michaelis ist von Zerstörung und Wiederaufbau geprägt. 1661 wurde die Kirche zum ersten Mal geweiht. Knapp 100 Jahre später, im Jahr 1750, brach der Turm durch einen Blitzeinschlag in sich zusammen und die Kirche brannte bis auf ihre Grundmauern ab. Im Jahr 1906 fing die St. Michaelis-Kirche bei Lötarbeiten zum zweiten Mal Feuer und brannte erneut vollständig ab. Schon einen Tag nach dem verheerenden Brand wurde vom Kirchenkollegium und dem Rat der Stadt der Wiederaufbau beschlossen. „Während dieser Zeit hat man auf dem Großneumarkt ein Holzgerüst errichtet und von dort aus weitergespielt. Die Tradition konnte so gewahrt werden und der Umgebung ein ‚Wir sind immer noch da‘ signalisiert“, erzählt Thöne.
Verlässlichkeit hat einen sehr hohen Stellenwert
Josef Thöne
Diese Beständigkeit des täglichen Trompetenspiels schätzten die Hamburgerinnen und Hamburger zuletzt in der Coronapandemie besonders wert. „Während der Coronazeit waren wir im Jahr 2020 die einzigen Kulturschaffenden, die durchgängig weiterspielen konnten. Sehr oft standen abends Menschen unten, die sich gefreut haben, dass noch etwas so ist wie früher“ erinnert sich Thöne. Ein kleines bisschen Normalität im Chaos oder auch ein Zeichen der Hoffnung. Und auch jetzt noch erschaffen die Turmbläser für viele Anwohnende täglich einen kurzen Moment des Innehaltens, wenn auch nur für ein paar Minuten.
Bei Sanierungsarbeiten wurden Schäden am Dach- und Turmgesims in den Außenmauern des Michel-Kirchturms festgestellt. Es handelt sich um drei bis zu 25 Meter lange Risse, die sich vergrößern. Für die Sanierungsarbeiten kam bereits eine Spendensumme von 600.000 Euro zusammen, insgesamt werden 1,3 Millionen Euro benötigt.
Mehr Informationen zu den Michel-Türmern gibt es auf der Website von St. Michaelis.