Schauspieler Mirco Kreibich: „Eigentlich dürfte jeder nur noch sich selber spielen“

Acht Jahre war Mirco Kreibich Ensemblemitglied des Thalia Theaters. Seit dieser Saison gehört er zum Team des zweiten großen Sprechtheaters der Stadt – dem Deutschen Schauspielhaus 
Seit der Saison Teil des Deutschen Schauspielhauses: Mirco Kreibich (©Andreas Kueppers) 

SZENE HAMBURG: Mirco, von 2009 bis 2017 warst du festes Ensemblemitglied am Thalia Theater. Seit Beginn dieser Spielzeit bist du Ensemblemitglied des Deutsches Schauspielhauses. Wie fühlt sich dieser Wechsel an?

Mirco Kreibich: Erst mal habe ich hier einen Festvertrag für nur zwei Stücke. Damit kann ich sehr gut leben. Bei einem normalen Festvertrag ist die Zahl der Stücke, die man im Jahr neu probt, unbegrenzt. In meiner Hochphase am Thalia Theater war ich in vierzehn Stücken parallel besetzt. Das war physisch und psychisch nicht mehr zu schaffen.

Du hast zuletzt sieben Jahre frei gearbeitet, bist unter anderem bei den Salzburger Festspielen und am Wiener Burgtheater aufgetreten. War das eine bewusste Entscheidung, um dieser Mühle zu entgehen?

Absolut. Ich frage mich, ob wirklich so viel produziert werden muss, um als Theater relevant und im Gespräch zu bleiben. Ich sehe die Gefahr, dass durch Quantität die Qualität der Stücke zu kurz kommt.

Deine Arbeit als freier Schauspieler hat auch die Jahre der Pandemie miteingeschlossen, in der feste Ensemblemitglieder zumindest finanziell abgesichert waren. Hast du deine Entscheidung in dieser Zeit bereut?

Damals hatte ich das Gefühl – und ein Stück weit glaube ich noch immer dran –, dass ich mit meinen Stoßgebeten die Corona-Krise mit ausgelöst habe. Am Theater plant man oft sehr weit im Voraus und so hatte ich schon früh zugesagt, unmittelbar nach „Hamlet“ bei einer neuen Produktion in Bremen mitzuwirken. Doch um ehrlich zu sein, war ich nach der Premiere völlig ausgebrannt. Ich saß dann dort auf der Probebühne und fragte mich: Was machst du hier eigentlich? Im Stillen hoffte ich fast, dass irgendetwas geschehen würde, damit ich nicht sagen musste: Leute, ich bin erledigt, ich schaff das hier nicht mehr. Dann kam Corona, was in gewisser Weise ein schicksalhaftes Wunder war. Natürlich war die Zeit für niemanden einfach, aber ich war massiv erleichtert, als uns der Intendant mitteilte, dass die Produktion eingestellt wird. Das gab mir die Gelegenheit, eine Pause zu machen und tief durchzuatmen.

Ich sehe die Gefahr, dass durch Quantität die Qualität der Stücke zu kurz kommt

Mirco Kreibich

So kam Mirco Kreibich vom Tanz zum Theater 

Du hattest zunächst sechs Jahre Unterricht an der Staatlichen Ballettschule und Schule für Artistik Berlin, bevor du das Studium an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch aufgenommen hast. Wie kam dieser Schritt vom Tanz zum Schauspiel zustande?

Ich habe das große Glück, dass sich bei mir immer alles einfach aus allem ergeben hat. Ich bin in Ost-Berlin geboren und aufgewachsen. Meine Eltern haben mich im Rahmen der staatlichen Kaderförderung mit vier Jahren in einen Sportkindergarten gegeben, um Eiskunstlauf zu trainieren. Nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch des Kadersystems bin ich dann auf die Ballettschule gewechselt. Nach sechs Jahren habe ich bei einer Produktion an der Staatsoper Berlin den Peter in „Peter und der Wolf“ getanzt und gemerkt, dass mir das darstellende Spiel viel mehr Freude macht als dieser Leistungssport Ballett.

Am Schauspielhaus bist du für die Hauptrolle in Dušan David Pařízeks Inszenierung von Erich Kästners Roman „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ besetzt, die im Dezember Premiere feiern sollte, aus Krankheitsgründen nun aber leider verschoben werden muss. Unabhängig davon fällt auf, dass die Jahre vor Hitlers Machtergreifung, in der auch Kästners Geschichte spielt, aktuell sehr im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Warum?

Die Parallelen zur Gegenwart sind unverkennbar, obwohl die Zeiten damals ganz andere waren. Die Menschen hatten gerade den ersten weltumfassenden Krieg hinter sich. Dann kam die Weltwirtschaftskrise. Diese Traumata waren an jeder Straßenecke zu sehen und zu spüren.  Die Welt war auf den Kopf gestellt und man suchte nach einer Orientierung und einer neuen Bedeutung im Leben. Gleichzeitig ging es für viele darum, überhaupt einen Job oder etwas zu essen auf dem Tisch zu haben. Verglichen damit befinden wir uns heute in einer sehr privilegierten Situation. Von daher finde ich die parallelen Entwicklungen fast noch erschütternder. Anstelle eines funktionierenden, harmonischen Miteinanders sieht man überall Angst, Hass und Abgrenzung. Andere werden klein gemacht, um sich selbst zu erhöhen und Gruppen zu bilden, aus denen heraus dann ein Kampfgeschrei angestimmt wird.

Theater als moralische Anstalt?

Ein Kampfgeschrei, das zuweilen auch im Namen der Moral geführt wird. Am Theater sind Sexismus, Gendergerechtigkeit und Machtmissbrauch aktuell ein großes Thema. Schießt die Aufarbeitung manchmal über das Ziel hinaus? Läuft die gegenwärtige Woke-Kultur Gefahr, totalitäre Züge anzunehmen, indem sie moralische Forderungen verabsolutiert, wie ihre Gegner unterstellen?

Dazu habe ich keine abschließende Meinung. Ich beobachte diese Entwicklungen natürlich, einige finde ich gut, andere möchte ich weiter befragen dürfen. Eine Gefahr sehe ich darin, dass in solchen Bewegungen das ursprüngliche Anliegen oftmals verloren geht, verklärt oder überschmiert wird, anstatt offen zu bleiben und Gespräche auf Augenhöhe zu führen.

Auch bei Debatten zum Thema Diskriminierung fehlt mir oft ein wirklicher Austausch. Die Zuschreibungen werden dann lediglich umgedreht: Plötzlich sind die Bösen die Guten und die Guten die Bösen, und irgendwer gehört dann einfach nicht mehr dazu. Das ist mir zu simpel. Wenn man aber Sachen ernsthaft befragt, wird es kompliziert. Dem muss man sich stellen. „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“ Die Fähigkeit umzudenken ist das Entscheidende. Die Frage ist, ob wir „zur Anständigkeit Talent haben“, denn, um es weiter mit Fabians Worten auszudrücken: „Was nützt das göttliche System, solan­ge der Mensch ein Schwein ist?“

Anstelle eines funktionierenden, harmonischen Miteinanders sieht man überall Angst, Hass und Abgrenzung

Mirco Kreibich

Friedrich Schiller hat das Theater einst als „moralische Anstalt“ bezeichnet, die Anti-Wokeness-Fraktion wirft dem gegenwärtigen Theater vor, eine ideologische Erziehungsanstalt zu sein. Wer hat recht?

In voller Konsequenz dürfte eigentlich jeder nur noch sich selber spielen, oder? Natürlich sollte man Generalisierungen und Diskriminierung vermeiden. Manchmal sind Überschreitungen im Probenprozess allerdings hilfreich, um einem Thema Gewicht zu verleihen und eine Diskussion auszulösen. Ich finde, das Theater sollte keine moralische oder ideologische Anstalt sein, sondern ein Diskussionsforum. Es werden Ideen vorgestellt, Möglichkeitswelten aufgezeigt, Spiegel vorgehalten, Hosen heruntergezogen, Backpfeifen verteilt. Es wird genervt, aufgerüttelt und in Aktion versetzt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen zwar nur da und gucken zu, aber die Birne fängt an zu rattern. Man fängt an, sich selber zu befragen, und das ist für mich der eigentliche Kernpunkt des Theaters.

Auf der Website vom Deutschen Schauspielhaus gibt es weitere Infos über Mirco Kreibich sowie Informationen zu seinen aktuellen Stücken. 

Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 12/2024 erschienen.

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