Liegeplatz gesucht

Seit 2013 liegt die MS Stubnitz in Hamburg. Eigentlich sollte es nach dem Lockdown wieder richtig losgehen, doch die Zukunft des Kultur- und Clubschiffs ist ungewiss. Wie die heranrückende Bebauung an den Liegeplatz in der HafenCity umfangreiches Programm unmöglich macht, ob die Stadt reagiert und welche Alternativen möglich wären, berichten die Crewmitglieder Hannah und Stefan
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Die Stubnitz in der HafenCity: Kein Platz mehr für Kultur? (Foto: Maike im Hafen)

SZENE HAMBURG: Hannah und Stefan, wie konnte die Stubnitz die Zeit des Lockdowns überstehen?

Stefan: Finanziell glücklicherweise wie viele andere Spielstätten mit dem Clubrettungsschirm der Kulturbehörde und den Überbrückungshilfen. Dazu kamen bewilligte Förderanträge über Neustart Kultur. Ideell haben wir die Zeit mit unserem Online-Format „Plattenfroster Television“ überstanden, was uns für den eigenen Crew-Zusammenhalt und für die Vernetzung nach außen wahnsinnig geholfen hat. Personell geht es uns wie allen; viele Leute sind weggebrochen.

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Es ist unklar, wie lange es die Konzerte im Schiffsbauch der MS Stubnitz am derzeitigen Liegeplatz noch geben wird (Foto: Stefan)

Was genau war Plattenfroster Television?

Hannah: Plattenfroster TV ist coronabedingt entstanden, so konnten wir die Arbeit, die uns am Herzen liegt, im Mai 2020 trotz Kulturschließung wieder aufnehmen. Die Sendung ist ein Live-Streamingformat mit mehreren Bausteinen. Konzerte, Dokumentationsvideos der Instandhaltungsprojekte, Gespräche mit Künstler:innen, Videoclips aus unserem Konzertarchiv und Gespräche mit Akteur:innen der Hamburger Kulturlandschaft darüber, was Musikkultur, Musiker:innen und Veranstaltungsstätten in Hamburg brauchen und wie sie leben.Ab Dezember 2020 konnten wir mit der Förderung durch Neustart Kultur 1 weitermachen, davor war, wie so oft, Ehrenamt und Enthusiasmus gefragt. Insgesamt haben wir bis Oktober 2021 33 Folgen produziert und so 119 Musiker:innen eine Bühne gegeben – ihrer Musik, aber auch ihren Gedanken zu aktuellen gesellschaftspolitischen, musikkulturellen Fragen. Dabei sind oft spannende Gespräche der Künstler:innen miteinander entstanden, ab September 2021 auch mit Live-Publikum unter Auflagen. Ziel der Sendung war es, einen Mehrwert zu schaffen, der über das reine Streamen von Konzerten hinaus geht.

Stefan: Dass wir im Rahmen der Sendung aus dem bordeigenen, prallgefüllten Musikarchiv über 130 Clips ausspielen konnten, hat sowohl uns, als auch den Bands, die wir eigens und einzeln dazu angefragt haben, große Freude gebracht. Plötzlich waren auch London, Kopenhagen, Amsterdam und andere Projektphasen wieder ein klein wenig spürbar. Alle Folgen und Gespräche haben wir nach den Livestreams auf unserem YouTube Kanal veröffentlicht.

„Es braucht die Reize“

Ist so etwas in Zukunft wieder denkbar? 

Stefan: Es hat sehr viel Spaß gemacht, war aber in Teilen auch ein Kraftakt auf dem Drahtseil in Lockdownzeiten. Ohne die Förderung ist äußerst fraglich, ob wir so lange durchgehalten hätten. Als Projekt ist uns eine krudeMedienaffinität und ‚do it yourself‘ Attitüde ja in die DNA geschrieben, also ja. Denkbar ist ein Format, das gesprochenes Wort und Gespräch mit Musik verbindet, mit Mehrwert als Plattform für kultur-politischen Gedankenaustausch.

Hannah: Wir hoffen aber natürlich, nicht wieder schließen zu müssen. Musikclubs sind für uns Orte, an denen sich Menschen begegnen und durch Musik aus ihrem Alltag heraustragen lassen können. Das funktioniert am Bildschirm bei einer Streaming-Sendung nicht, dafür brauchte es die sensorischen, akustischen, visuellen und ästhetischen Reize, die ein Live-Erlebnis ausmachen.

Das Schiff ist bereit für weitere Abenteuer

Wie setzt sie sich die Crew heute zusammen?

Hannah:Wir sind ein gemeinnütziger Verein, die organisatorische Arbeit basiert weitestgehend auf Ehrenamt. Dadurch ist naturgemäß mehr Bewegung als bei einem Betrieb mit Angestellten.Unsere Leute haben mal mehr, mal weniger Zeit, weil sie sich auf ihre Lohnarbeit fokussieren müssen. Es gibt sehr wenige geringfügig angestellte Menschen–durch unsere finanziell angespannte Situation aber stets zu wenige. Leider fallen deshalb einzelne Verantwortlichkeiten und Gewerke immer wieder in sich zusammen. Aber wir sind seit Neuestem anerkannte Stelle für den Bundesfreiwilligendienst (Bufdi), eine erste Stelle konnte auf August besetzt werden, weitere sollen folgen, yeah! Und wir arbeiten aktuell an unserer Willkommenskultur, um es interessierten Menschen einfacher zu machen, ins Projekt einzusteigen. Denn neue Gesichter, die Lust haben mitzugestalten und zu frickeln, sind herzlich willkommen!

Personell geht es uns wie allen; viele Leute sind weggebrochen.

Stefan

Kurz vor der Pandemie musste die Stubnitz ins Trockendock. Ist das Schiff jetzt fit für die nächsten Jahre?

Stefan: Wir haben die Lockdownphasen genutzt und 2019 bis 2021 die umfassendsten Instandhaltungsmaßnahmen seit Beginn des zweiten Lebens der Stubnitz als Kulturschiff durchgeführt. Hier wurde vieles ersetzt und ausgebessert, durch genaues Draufschauen aber auch neue Probleme entdeckt. Wenn wir es schaffen, hier in den kommenden Jahren anzuknüpfen und den Reparaturrückstau vollends aufzuarbeiten, wäre das Schiff längerfristig technisch nachhaltig in Schuss und bereit für weitere Abenteuer. Wer sich ein bisschen reinnerden will: Auf unserem YouTube-Kanal sind unter dem Namen „Rust never sleeps“ spannende Clips zu finden und einen ausführlichen Bericht auf unserer Homepage gibt’s auch.

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„Die Akustik und Atmosphäre im Schiffsbauch ist etwas Besonderes“, sagt Stefan von der MS Stubnitz Crew (Foto: Stefan)

Zu viel Lärm in der HafenCity?

Bis wann wurde euch der aktuelle Liegeplatz am Kirchenpauerkai zugesichert?

Hannah: In der Nutzungsvereinbarung bis 2026.

Vor dem Lockdown konntet ihr dort weitestgehend ungestört Veranstaltungen durchführen. Was hat sich daran jetzt geändert?

Hannah: Der Bezug der Neubauten in der Baakenallee gegenüber der Stubnitz hat kurz vor dem ersten Lockdown begonnen. Dadurch ist ein absehbarer Interessenskonflikt entstanden, das wird besonders seit Wiederaufnahme des Live-Kulturprogrammes dieses Jahr deutlich. Es gibt nur wenige Nachbar:innen, die ihre Wünsche nach mehr Ruhe an uns, die Stadt und die HafenCity GmbH deutlich herantragen. Eine Lösung dieses Konflikts ist aber auch sehr in unserem Sinne. Es geht uns nicht darum, zu provozieren, es geht uns darum, Kulturarbeit zu machen, Live-Musikkultur in all seinen Facetten einen Experimentierort zu bieten und ein soziokultureller Ort als seetaugliches Industriedenkmal zu sein.

Mit welchen Einschnitten müsst ihr zurzeit leben?

Stefan: Aktuell können wir das Achterdeck und die Außenbar nicht mehr bespielen. Wir werden häufig aufgefordert, den Bass herunterzudrehen, wobei das nur in begrenztem Maß möglich ist. Gerade in einer Großstadt gehen Menschen ja aus, um laute Musik zu hören und sich zu treffen – was im Wohnblock in der Bude ja so nicht geht.Das zu bieten ist unsere Arbeitsgrundlage. Letztendlich ist das größte Problem die Lärmemission des Publikums in der frühabendlich zur Ruhe kommenden HafenCity, wo sich Elbratte und Brückenspinne gute Nacht sagen. Richtig problematisch ist das bei Firmenfeiern und Club-Events mit mehreren Hundert Besucher:innen, hier haben wir große Sorge vor Rufschädigung, dass man bei uns nur noch im Flüsterton feiern kann. Ohne diese Veranstaltungen gelingt uns aber die Finanzierung des Gesamtprojektes Stubnitz nicht mehr.

„Wir haben die Wurfleine schon in Richtung Stadt geworfen“

Wäre ein anderer Liegeplatz die Lösung?

Hannah: Auf jeden Fall kann ein Liegeplatzwechsel die Probleme lösen, die durch die unmittelbare Nähe am Wohngebiet entstehen.Die Stubnitz hat den Vorteil, dass sie auch in Zukunft mit der Stadtentwicklung mitgehen und eben dort hingesetzt werden kann, wo es am besten passt. Wer kann das sonst schon außer Eiswägen? Wir wären ready für Fischmarkt, Landungsbrücken, Baakenhöft oder Nordseite Elbbrücken bei der S-Bahn-Station. Die Wurfleine dafür haben wir schon in Richtung Stadt und HPA geworfen.

„Was wir uns wünschen ist ein klares Signal der Stadt, dass die Stubnitz als Kulturort undgelistetes Industriedenkmal in Hamburg gewollt ist.“

Stefan

Hat sich das Programm bereits verändert?

Stefan: Lange Club-Veranstaltungen oder solche mit viel Publikum werden problematischer, aber das sind natürlich die, von denen wir leben. Auf die können wir nicht verzichten. Kulturprogramm auf dem Außendeck ist leider gar nicht mehr möglich. Generell kann man bei vielen Stellschrauben darüber reden, an ihnen zu drehen – das kulturelle Programm ist aus unserer Sicht die falsche.

„Die Stubnitz hat noch viel Potential“

Wie reagiert die Stadt?

Hannah: Wir sind an die Stadt herangetreten, um eine Verbesserung der Situation für alle Beteiligten zu erwirken. Dazu befinden wir uns wie gesagt in Gesprächen mit der Kulturbehörde und der HafenCity GmbH. Das Ergebnis bleibt abzuwarten. Stadtentwicklungstypisch ist hier leider kein Schnellschuss zu erwarten.

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Suchen nach Lösungen für die Stubnitz-Zukunft: Hannah (l.) und Stefan (r.) (Foto: Felix)

Was müssten die Verantwortlichen eurer Meinung nach tun?

Stefan: Was wir uns wünschen ist ein klares Signal der Stadt, dass die Stubnitz als Kulturort und gelistetes Industriedenkmal in Hamburg gewollt ist. Verbalen Zuspruch, insbesondere von der HafenCity, erleben wir schon jetzt. Aber wir glauben, dass es darüber hinausgehen und handfest werden muss. Hamburg hat die Chance einem seit 30 Jahren bestehenden, seefähigen Zentrum für Live-Musik, Musikkultur und besondere Veranstaltungen eine Perspektive zu bieten. Aus unserer Sicht sollte das sehr im Interesse der Stadt Hamburg als Hafenstadt und Musikmetropole sein, denn die Stubnitz hat als Experimentierort und Kunstprojekt für Kulturarbeit noch viel ungenutztes Potenzial.

Hannah: An der Stelle muss man vielleicht mal sagen, dass wir uns freuen, mit Senator Brosda in Hamburg einen Kulturverantwortlichen zu haben, dem Musikclubs am Herzen liegen, denn wir unterstützen die Initiative „Clubs are Culture“ im Kampf dafür, dass Clubs endlich als vollwertiger Teil der Kultur anerkannt werden, genau so selbstverständlich wie es bei Opern, Theatern und Konzerthäusern schon lange der Fall ist.

Die Stubnitz ist seetauglich

Welche Konsequenzen hätte die aktuelle Situation für die Zukunft, wenn nichts passiert?

Hannah: Dann könnten wir nicht mehr so veranstalten, dass wir wirtschaftlich überlebensfähig sind. Das liegt am Nachbarschaftskonflikt und an unserem Liegeplatz, der zu weit ab vom Schuss für die Ausgehgewohnheiten vieler Hamburger:innen ist. Es ist also allen Beteiligten klar, dass etwas passieren muss.

Könntet ihr auch in anderen Städten Kultur anbieten?

Stefan: Die Stubnitz ist seetauglich, das ist auch die Voraussetzung dafür, dass wir so veranstalten können, wie wir es aktuell tun. Wäre die Seetauglichkeit nicht gegeben, würden andere Auflagen greifen.Prinzipiell ist es also möglich, auch in anderen Städten Programm zu machen, zum Beispiel auch als Kulturbotschafterin Hamburgs.

„Es bestehtdurchaus der Wunsch, noch mal für ein oder mehrere Gastspiele loszufahren.“

Hannah

Sind in Zukunft wieder Fahrten möglich?

Hannah: Die Stubnitz ist seit 2013 nur zum Hafengeburtstag oder zu Unterwasseruntersuchungen gefahren. Große Teile der Crew betreiben und erhalten also ein Schiff, mit dem sie noch nie länger unterwegs waren. Es besteht somit durchaus der Wunsch, noch mal für ein oder mehrere Gastspiele loszufahren. Es erreichen uns auch immer wieder Anfragen aus dem Ausland, spruchreife Pläne gibt es allerdings nicht. Das größte Problem ist natürlich die Finanzierung eines solchen Vorhabens.

„Wir sind stubnifiziert“

Hat sich denn das Konzept von Förder-Patenschaften etabliert?

Stefan: Aktuell gibt es noch zwischen 25–30 monatliche Förderpatenschaften, hinzu kommen ab und an Einzelspender:innen. Darüber sind wir sehr dankbar – shout out an dieser Stelle an alle Unterstützer:innen der Stubnitz, ihr seid super! Allgemein bräuchte es von unserer Seite wohl mehr und beständigere Kommunikation nach außen, wo wieder das Problem der dünnen Personaldecke zu Tage tritt. Da draußen gibt es ja – eigentlich – echt viel finanzielle Mittel: Großspender:innen, Mäzen:innen, Stiftungen oder auch Mittel aus städtischen Kulturgeldern wie sie auch andere Häuser in Hamburg erhalten, könnten ein echter Gamechanger sein und plötzlich Perspektiven eröffnen.

Zum Schluss zum Programm. Welche Highlights sind in den nächsten Monaten geplant?

Stefan: Wir halten nicht viel von Sternschnuppenkultur, die einmal kurz hell leuchtet und dann wieder verschwindet. Gerade Künstler:innen, die neuen Sound aus Nischen- und Nonmainstream-Ecken machen, liegen uns am Herzen. Wir empfehlen: Schaut auf das Menü im Vorverkauf oder auf unserer anachronistischen Homepage. Das, was uns bei allen Rückschlägen immer wieder bei der Stange hält ist die Überzeugung, dass die Akustik und Atmosphäre im Schiffsbauch was Besonderes ist und etwas bei den Menschen auslöst, die sie erleben. Deshalb können wir das nur empfehlen, aber da sind wir natürlich auch stubnifiziert *zwinkersmiley*.

MS Stubnitz
Instagram: @ms.stubnitz


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