Unsere Autorin hat’s getestet und unter einer S-Bahn-Brücke, im 5-Sterne-Hotel, ihrem alten Jugendzimmer und im Bauch eines Bootes übernachtet
Texte: Lena Frommeyer
Illustrationen: Till Wellm
1) Wohnmobilhafen Hamburg, Stellplatz in Hammerbrook
Bett: Hochbett in einem VW-T4-Bus mit Schaumstoffmatratze, Star-Wars-Kissen und Schlafsack, geeignet bis minus 4° C
Ausstattung: Sanitäranlagen in Containern, Strom, Wasser, Sicherheitsdienst und Metallzaun, Tankstelle nebenan
Geräusche: Rattern der S3 und S31 (über den Köpfen der Camper verläuft die Betontrasse der S-Bahn), Gespräche der Camper links und rechts (Bulli-Wände sind dünn), das Rauschen des Verkehrs (der Stellplatz ist eingerahmt von Bundesstraßen)
19 Uhr – Verabschiedung von den niederländischen Nachbarn, ein mittelaltes Pärchen aus Winschoten, das zum Rotkäppchen-Sekt geladen hatte und sich jetzt das Aladdin-Musical in der Neuen Flora ansieht. Beide laufen in rot-weiß gestreiften Partnerregenjacken zur S-Bahn-Haltestelle.
20 Uhr – Habe einen kleinen Schwips und schlendere über den Platz. Es sind plus 8° C. Wer nicht ausgeht, sitzt in seinem Mobil. Fernsehlicht flackert unter den Rollos hervor. Ich kaufe eine Zahnbürste bei der Tankstelle nebenan.
20.45 Uhr – Ich mache mich bettfertig in den roten Containern, in denen WC und Duschen untergebracht sind. Stoße beim Rausgehen beinahe mit einem Herrn in Feinripp-Unterhemd zusammen. Knallhart, diese Camper.
21.15 Uhr – Liege im Schlafsack, die Socken bleiben an. Lese Thees Uhlmanns Debütroman „Sophia, der Tod und ich“ und versuche den surrenden Verkehr auszublenden. Alle zehn Minuten führt die S3 über mich hinweg. Langsam beschlagen die Scheiben von innen.
22.15 Uhr – Die S-Bahn fährt immer noch.
22.54 Uhr – Letzter Blick auf die Uhr, das Surren der S-Bahn wird zum Mantra …
3 Uhr – Der Sekt macht sich bemerkbar und ich tapse in Puschen durch die Nacht zu den Containern. Gruselig, trotz Beleuchtung. Zurück im Bulli ist meine Nase kalt und ich bin wach. Die S-Bahn fährt nicht mehr.
8 Uhr – Der Wecker klingelt, ich setze einen Espresso in meiner Bulli-Küche auf. Der Verkehr surrt, Männer und Frauen schlendern in Bademantel oder Jogginganzug zu den Containern. Um uns herum brennt Licht in den Bürobauten.
8.45 Uhr – Ich setze mich ans Steuer, werde Teil des Verkehrs und fahre mit meinem Bett ins Büro.
Fazit: Abenteuerlich und unterhaltsam, nicht erholsam, Ohrenstöpsel mitnehmen.
2) Suite im Fünf-Sterne-Designhotel SIDE, Neustadt
Bett: 2 Meter breites King-Size-Bett mit sechs Kopfkissen und blitzweißen Laken – alternativ: Couchlandschaft aus der Matteo-Thun-Kollektion, frei stehende Badewanne
Ausstattung: 17 Möglichkeiten das Licht zu dimmen, 2 Minibars, 2 Badezimmer, 1 XXL-Fernseher
Geräusche: absolute Ruhe
22 Uhr – Ich nehme den letzten Schluck meines „Basil Smash“ an der Hotelbar und fahre mit dem gefühlt schnellsten Fahrstuhl Hamburgs in die 11. Etage: Kurz sammeln, dann öffne ich die Tür zu meiner sweeten Suite (die größer ist, als meine Wohnung).
22.15 Uhr – Dusche ausgewählt (Ene, mene, miste), Musik angemacht, Bier aus der Minibar geöffnet. Für den Champagner habe ich zu große Spesenskrupel.
23 Uhr – Ich sitze mit nassen Haaren mit einem Hotelbademantel bekleidet auf der Bettkante mit Blick auf die Büros einer Onlinefirma gegenüber und proste den armen Seelen zu, die noch am Schreibtisch sitzen. Außerdem sehe ich: den Michel, die Elbphilharmonie, diverse Kräne.
23.15 Uhr – Ich teste alle Lichtschalter neben meinem Bett, dann schalte ich den Fernseher ein und lasse mich vom Gratis-Bezahl-TV berieseln.
23.50 Uhr – Letzter Blick auf die Uhr.
8 Uhr – Der Wecker klingelt, durchgeschlafen! Gegenüber wird schon wieder/immer noch gearbeitet. Beim Anschalten der Espressomaschine fliegt eine Sicherung aus, der Zimmerservice bringt mir umgehend Ersatzkaffee. #sweetlife
8.45 Uhr – Ich ziehe einige Bahnen im Hotelpool des Spa-Bereichs und werde immer wacher und hungriger.
10 Uhr – Ich habe (viel zu lange) gefrühstückt, checke aus und fahre (viel zu spät) ins Büro.
Fazit: In der eigenen Stadt im Hotel zu schlafen, fühlt sich nach Urlaub an. Jeder sollte einen Pool im Keller haben.
3) Mein Jugendzimmer, niedersächsische Provinz vor Hamburg
Bett: Hochbett mit Aufklebern der Gummibärenbande, durch einen Vorhang abgeteilte Höhle, große Tafel zum „Schule spielen“
Ausstattung: Einfamilienhaus mit Garten in einer Straße mit sozialer Alarmanlage (Nachbarn hinter Häkelgardinen), Zimmer mit bunter Pünktchentapete, gelbem Ziegenhaarteppich und Leuchtsternen an der Decke
Geräusche: Äste, die ans Fenster schlagen
20 Uhr – Tatort gucken mit Mutti, wir trinken Tee und ich darf nicht reden, weil es so spannend ist. Sonntagabends darf man auch nicht anrufen. Wir teilen uns eine Couch, in der Mitte zuckt sich ein Labrador in den Schlaf.
21 Uhr – Perfektes Krimiwetter, es stürmt. Blick aus dem Wintergarten nach draußen: Im Teich flattern die Blätter der Seerosen wie alte Haut im Wind. Die Outdoor-Lampe, eine weiße Plastikgans, schwankt bedrohlich.
21.35 Uhr – Abspann. Mutti gähnt, der Labrador und ich auch. Die Gans liegt im Teich und leuchtet immer noch. Wir gehen schlafen.
21.55 Uhr – Zähne putzen. Ich spucke in das Waschbecken, in das ich schon als Fünfjährige gespuckt habe. Nur die Perspektive ist anders und das Spiegelbild. Gehe zu Mutti rüber und frage nach regenerativer Faltencreme.
22.15 Uhr – Ich stehe in meinem alten Kinderzimmer – einem der drei Räume, in denen ich und meine zwei Geschwister wohnten. Dieses hier sieht aus wie früher. Ich schaue in die Schubladen: Schulhefte, Spielzeugautos, Reitabzeichen, alles noch da.
23.05 Uhr – Habe angefangen meine elektrische Eisenbahn aufzubauen. Das ist wichtiger als schlafen.
23.30 Uhr – Briefe an meinem Ex-Freund gefunden. Die Eisenbahn läuft. Sitze davor und lese.
24 Uhr – Bin ins Kinderzimmer nebenan geschlichen, habe das Fenster geöffnet und suche mit der Taschenlampe nach dem Schriftzug, den meine Schwester in den Fensterrahmen ritzte.
Der Wind pfeift in meinen Pyjama. Mache ein Foto von „I love Sascha“ und schicke es ihr per WhatsApp zu. Mutti steht im Türrahmen und bittet mich, endlich zu schlafen.
24.15 Uhr – Liege im Hochbett und gucke an die Decke, zähle die Leuchtsterne. Habe mir noch eine Knight-Rider-Hörspielkassette angemacht. Tippe noch kurz eine Erinnerung in mein Handy: „Mama fragen, wo meine David-Hasselhoff-Bettwäsche geblieben ist.“ Schlafe ein, bevor die A-Seite abgespult ist.
9 Uhr – Schrecke aus tiefem Schlaf hoch. Und sinke erleichtert zurück in die Federn. Muss ja gar nicht ins Büro, habe Urlaub.
Fazit: In Kinderzimmern träumt man von der eigenen Kindheit.
4) Motorboot, 8 Meter lang, im Hamburger Yachthafen
Bett: Sonderanfertigung von Schaumstoff Lübke, Steppdecke mit leichtem Ölgeruch, Wolldecke extra
Ausstattung: Eine Bordtoilette, eine Kajüte, eine Koje für zwei (die sich sehr lieb haben)
Geräusche: Plätschern
18 Uhr – Einlauf bei Nieselregen in den größten Sportboothafen Nordeuropas in Wedel. Liegeplätze gibt es um diese Jahreszeit reichlich.
18.30 Uhr – Ich vertäue das Boot. Erster Gang: beim Hafenmeister anmelden.
19.15 Uhr – Ravioli aus der Dose auf dem Gasherd erwärmen und das rustikale Skippermahl unter Deck einnehmen.
19.35 Uhr – Es hat aufgehört zu regnen, deshalb kurzer Deichspaziergang bei plus 6° C. Anschließend gediegen Bierchen trinken im Restaurant Tonne 122. Hier versacken.
22 Uhr – Es regnet wieder. Nach dem Herumirren auf der Westanlage, um mein Schiff zu finden, spare ich mir die Dusche in den Sanitärenanlagen an Land, Zähneputzen an Bord muss heute reichen.
22.05 Uhr – Ich habe vergessen, das Bett vor dem Bierchen aufzubauen. Also hieve ich meine Klamotte von A nach B, um an Bettzeug aus dem Einbauschrank unter der Matratze ranzukommen. Kopf gestoßen. (Scheiße, ist das eng hier!) Klamotte wieder von B nach A.
22.30 Uhr – Erschöpft liege ich in der Koje. Es ist sehr still. Zum Glück habe ich ruhige See und wenig Wind. Das Wasser plätschert gegen den Rumpf, der Hohlkörper verstärkt das Geräusch,. Es ist so herrlich beruhigend, dazu das leichte Schaukeln. Gute Güte, bin ich müüüde …
6.48 Uhr – Ich schrecke hoch. Ein Nebelhorn dröhnt in meinem Ohr. Ich schaue aus dem Bullauge. Dichter Nebel liegt über der Elbe. Ein wunderschöner Anblick. Die Kajüte ist kalt und klamm. Ich muschel mich in Decke und Wolldecken, lausche dem Plätschern der Wellen und schlafe noch einmal ein.
8 Uhr – Der Wecker klingelt. Es ist immer noch kalt und klamm. Elektroheizung anschmeißen, Espressokaffee aus der Steigekanne, Boot gut verriegeln und mit der S-Bahn ins Büro. Es fühlt sich komisch an, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Fazit: Insgesamt ist es auf einem kleinen Boot wenig komfortabel, aber es schläft sich auf dem Wasser wie in Morpheus’ Armen.