Das Hörspiel „Head Money“ des Hamburger Verlags „Lausch Medien“ verhandelt die sozialen Verwerfungen unserer Zeit. Ein Gespräch mit Verlagschef, Autor und Sprecher Günter Merlau über Kunst als Gesellschaftsinkubator und die Vorzüge des Hörspiels
Text & Interview: Ulrich Thiele
Man stelle sich vor: 100 Milliarden Dollar für den Kopf eines Milliardärs – wortwörtlich. So viel ruft die anonyme Organisation „Janus“ für die Ermordung eines OPEC-Generalsekretärs aus. Anfangs halten Politik und Medien die Aktion für einen makabren Streich. Ist es aber nicht, wie nach einer pulpigen Szene in der Elbphilharmonie klar wird.
Günter Merlau entwirft in „Head Money“ eine Dystopie, die eines der drastischeren unter den möglichen Zukunftsszenarien durchdekliniert. Dafür baut er verschiedene Handlungsstränge auf : Ein EU-Abgeordneter, der gegen die globale Steuerflucht kämpft, muss sich in Norwegen seiner linksradikalen Vergangenheit stellen. Eine Gaming-Bloggerin und ein LKA-Beamter kommen einer Verschwörung auf die Schliche. In Nigeria findet eine Polizistin die Spuren von „Janus“.
Das klingt nach Netflix und Co. Kein Zufall: Zur Zielgruppe gehören Fans von Serien wie „House of Cards“, „Homeland“ und „Westworld“. Merlau weiß den Unterhaltungsfaktor – inklusive Zuspitzungen und (manchmal über-) dramatischer Geräuschkulisse – mit politischem Anspruch zu verknüpfen. Die im Kopf entstehende Bilderwelt ist dank der hervorragenden Sprecher – darunter Rolf Becker und Dayan Kodua – reich und farbenprächtig. Die erste Staffel mit sechs Folgen ist seit dem 21. Februar auf dem Markt. Die Fortsetzung der auf drei Staffeln angelegten Serie soll ein halbes Jahr später folgen. Man darf gespannt sein.
SZENE HAMBURG: Herr Merlau, finden Sie es legitim, einem Milliardär den Kopf abzuschneiden?
Günter Merlau: Das ist die große Frage, mit der sich die Serie beschäftigt: Darf ein Zweck die Mittel heiligen? Als ich für die Recherche bei einem linksradikalen Wirtschaftsblatt in Berlin saß, haben sich zwei Redakteure gestritten, als ich sie nach ihrer Bewertung des Szenarios fragte. Der eine sagte, daraus könne nichts Gutes entstehen. Die andere sagte, jede Revolution habe blutig begonnen, deswegen könne sie sich vorstellen, dass ein solches Szenario auch positive Effekte hätte. Die meisten ordnen sich wohl irgendwo zwischen „absolut nein“ und „absolut ja“ ein.
„Wer mehr als 100 Millionen Euro für sich nutzt, ist ein Verbrecher“
Günter Merlau
Sie geben in der Serie sehr vielen Milieus Raum: von den Linksradikalen bis zu den Rechtsradikalen inklusive antisemitischer Kapitalismuskritik, bis hin zu den normalen Durchschnittsbürgern, den Konservativen und den Linksliberalen. Wo positionieren Sie sich?
Ich halte jemanden, der über 100 Millionen Euro für sich beansprucht, für einen Verbrecher. Man kann sicherlich unterscheiden zwischen Leuten, die Kapital und Vermögensinhalte verwalten, und Unternehmern, die nachhaltig Produktionsmittel und Arbeitsplätze schaffen. Grundsätzlich halte ich es aber für falsch, so viele Ressourcen an eine einzelne Person zu binden.
Das heißt, Sie sind auch für eine Reichensteuer, wie die von Ihnen gesprochene Figur des Politikers Alexander Schachat?
Ja, allerdings gibt es zahlreiche Details, und da liegt der Teufel begraben. Es gibt verschiedene Konzepte, momentan wird auch wieder die Transaktionssteuer verstärkt diskutiert, nachdem sie lange brach lag. Ich finde es wichtig, dass Derivate und der gesamte Aktienhandel endlich mal besteuert werden. Das kann doch alles nicht wahr sein – auch diese ganze Cum-Ex-Geschichte.
Das Thema Cum-Ex hatten wir gerade in Hamburg, als im Zusammenhang mit der privaten Warburg Bank der SPD politische Einflussnahme vorgeworfen wurde. Den meisten Bürgern schien das aber egal zu sein, obwohl sie die fehlenden Steuergelder zu spüren bekommen. Warum?
Weil es so weit weg ist. Man guckt dann doch lieber den Mercedes an, der durch die Straßen fährt, oder den Migranten, der einem angeblich „die Arbeit wegnimmt“, was natürlich nicht stimmt. Die 0,1 Prozent der Superreichen sind zu weit weg und der Abstraktionsgrad ist zu hoch, deswegen will man sich nicht weiter damit beschäftigen.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass Politiker wie Sven Giegold das tun. Er kämpft seit neun Jahren im Europaparlament gegen Steuerflucht und dafür, dass die Finanztransaktionssteuer durchgesetzt wird.
Ist Alexander Schachat nach Giegold konzipiert?
Ja. Ich habe Giegold für meine Recherchen interviewt. Natürlich habe ich vieles geändert, aber er ist eine Art Role Model für Schachat. Ich muss ihn allerdings ganz klar freisprechen von einer Nähe zum Szenario im Hörspiel. Er ist ein sehr menschenfreundlicher Geselle und sagt ganz klar: Wenn wir den Rechtsstaat verlassen, dann ist alles verloren.
Schachat ist ein ehemaliger Linksradikaler, der regierungsfähig geworden ist…
…und mit den Zwängen und der Realität in einer Art konfrontiert wird, wie wir es bei allen gesehen haben – von Joschka Fischer bis zu Otto Schily. In meinen Augen ist er ein weiser Politiker – also jemand, der führungsfähig ist, nicht herumwütet, die Probleme und die notwendigen Kompromisse auf dem Lösungsweg nicht wegleugnet. Jemand, der sich der Verantwortung nicht entzieht und der nicht so tut, als könnte man die Probleme der Welt mit Molotow-Cocktails wegbomben. Eine Gesellschaft besteht nun einmal aus vielen Teilen und sie braucht Staatsmänner, die integrativ sind und verbinden.
Neben Giegold haben Sie für Ihre Recherchen mit Experten wie Tom Strohschneider und Benedikt Strunz gesprochen und sich von NGOs wie Oxfam, Attac und Sea Shepherds beinflussen lassen. Warum haben Sie nicht mit Konservativen geredet?
Das ist eine kleine Lücke. Ich habe das nicht im Rahmen der Recherchen getan, allerdings vorher schon für andere Projekte und mich daran auch beim Schreiben bedient. Ich setze mich intensiv mit internationaler Politik auseinander, auch in verschiedenen Medien, so bekomme ich etwas von allen Stimmen aus den verschiedenen Meinungsmilieus mit. Es gibt viele tolle konservative Politiker und Unternehmer, die ich schätze.
Ich bin ja selbst ein Unternehmer. Ich lebe selbst in einem ambivalenten Spannungsfeld. Meine Mitarbeiter werden sich kein Häuschen in Hamburg leisten können mit dem Geld, das sie bei mir verdienen. Ich habe meinen Wohlstand nur durch die „Ausbeutung“ von Mitarbeitern bekommen. „Ausbeutung“ im Sinne von: Ich habe ihre Arbeitskraft genutzt, um Kapital zu vermehren. Die eigene Arbeit allein kann niemals Reichtum erzielen.
Wie würden Sie reagieren, wenn verstärkte Steuererhöhungen Ihre Einkommensklasse beträfen?
Ich habe nichts dagegen, viele Steuern zu zahlen. Ich zahle tatsächlich den Spitzensteuersatz. Es ist nicht ungerecht, dass man als wohlhabender Mensch viel abgeben muss, es ist ungerecht, dass Multimilliardäre nur ein Prozent oder weniger Steuern zahlen. Wenn die Steuerflucht der Konzerne nicht eingedämmt wird, ist das falsch – sieben bis acht Milliarden Euro pro Jahr sind ja die Regel.
Keine Angst vor Einschränkungen Ihres Lebensstils?
Ich lebe bescheiden, ich habe kein Problem damit. Aber ich möchte dann auch vom Staat sichergestellt bekommen, dass ich im Alter existieren kann. Es kann doch nicht sein, dass ich mein Leben lang hohe Steuern zahle und trotzdem in Altersarmut ende. Das gilt ja nicht nur für mich: Zumal die Leute in Deutschland viel weniger absicherndes Eigentum haben als zum Beispiel in Portugal. In Hamburg kann sich kaum einer ein Haus leisten. Das ist doch scheiße! Ein vernünftiges Sozialsystem kann es nur mit den Milliarden der Superreichen geben.
Kann man Millionär oder sogar Milliardär und trotzdem links sein?
Waren Buffett gilt ja als Paradebeispiel für jemanden, der sich seiner Position sehr bewusst ist. Es gibt unter den 0,01 Prozent der Reichsten durchaus Bestrebungen, das eigene Vermögen für die Gesellschaft einzusetzen.
Es gibt auch Kritik an der Charity der Milliardäre.
Das stimmt, man kann alles kritisieren. Ich finde trotzdem, dass man schwerreich und links sein kann. Wenn ein Milliardär seine Ressourcen der Gesellschaft zur Verfügung stellt, finde ich das richtig.
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Sie sagten, Themen wie Steuerflucht seien zu abstrakt für die meisten Menschen. Es gibt eine Szene, in der Alexander Schachat auf einer Pressekonferenz erklärt, wie die Steuerflucht der Multimilliardäre und der Konzerne funktioniert. Ist das Ihre Intention: Aufklärung im Unterhaltungsmedium?
Absolut. Ich will mich näher an die Finanztransaktionssteuer wagen. Im besten Fall akklimatisieren sich Hörer mit den Themen, die ja wirklich maßgeblich für die Zukunft der Menschheit sind. Wie gehen wir mit der globalen Steuerflucht und der enormen sozialen Ungleichheit um? Die Ressourcen verschwinden in Kanäle, die keiner mehr beobachten kann – wir brauchen diese Ressourcen aber dringend, um die Klimakatastrophe, Armut und Überbevölkerung zu regeln.
Was sagt das über uns und unsere Medienwelt aus, dass wir uns für derart maßgebliche Themen, die für Milliarden Menschen physisch spürbare Folgen haben, erst interessieren, wenn sie unterhaltsam verpackt sind?
Tja, und was sagt das über mich aus, der solche Medien herstellt? Ich sehe das so: Man muss dahin gehen, wo die Menschen sind – also in die Medien. Wenn man etwas zu sagen hat, muss man mit seinen Inhalten dahin gehen. Vielleicht ist es so einfach. Wie frag- würdig es ist, dass wir so sehr vom Me- dienkonsum geprägt sind, wäre noch- mal ein Thema für eine eigene Serie.
Es gibt eine Szene, in der ein Kreis von Milliardären, darunter Edward Silberstein, auf den später ein Kopfgeld ausgesetzt wird, als betont dekadent und unsympathisch dargestellt wird. Im diesjährigen Oscar-Gewinner „Parasite“ gibt es eine Szene, in der es sinngemäß heißt: „Wie kann jemand, der so reich ist, so freundlich sein?“. Die Antwortet darauf lautet: „Diese Leute sind so freundlich, gerade weil sie reich sind.“ Ist das nicht ein viel stärkeres Bild?
Die Kritik ist absolut berechtigt. Aber ich fange gerade erst an. Ich verfolge eine Entwicklung über drei Stufen. Am Anfang der Serie können sich viele Hörer sehr schnell auf eine Haltung einigen: Die Reichsten der Reichen müssen von ihrem Reichtum abgeben. In der zweiten Staffel wird das eine neue Farbe bekommen. Die anfängliche Verbrüderung gegen „die da oben“ wird weniger eindeutig. Die zweite Staffel wird sich schon deutlich dem System an sich widmen. In der dritten Staffel wird sich jeder Hörer unsicher sein.
Ich spüre auch in mir: Ich bin nicht so eindeutig. Ich bin ein Feld aus konservativen, linksradikalen, rückwärtsgewandten und progressiven Milieus. Es wird nicht moralisch eindeutig, denn es ist so, dass etwas Schlechtes etwas Gutes und das wiederum etwas Schlechtes auslösen kann – das ist das Wesen der Janusköpfigkeit.
Ist das Szenario eigentlich realistisch?
Das ist absolut möglich. Vor einigen Wochen wurden 80 Millionen Dollar auf Donald Trump ausgesetzt. Ich frage mich schon lange, warum es eine solche Situation noch nicht gab. Warum haben die Rechten eine Liste von Journalisten, die sie zum Abschuss freigeben, aber die Linken noch keine Liste von korrupten Milliardären? Ich unterstütze das nicht, aber ich wundere mich.
„Die eigene Bilderwelt füllt die Lücken, die das Hörspiel gibt“
Günter Merlau
Um noch ein Filmbeispiel zu nennen: Als letztes Jahr „Joker“ in die Kinos kam – in dem es ebenfalls um den sozialen Sprengstoff der ungleichen Verteilung geht –, wurde die ewige Debatte wieder aufgerollt, ob Kunst eine Verantwortung trägt, weil die dargestellte Gewalt Nachahmer anstiften könnte. Haben Sie Angst vor Nachahmern?
Ach, die Leute sollten sich lieber darum kümmern, einander in den sozialen Medien nicht permanent zu beschimpfen und zu Unmenschen zu erklären. Ich sehe das anders. Ich würde sagen: Das ist nicht der Punkt.
Kunst ist ein Inkubator. Wir können in der Kunst gesellschaftliche Simulationen beobachten, studieren und auf unsere Gesellschaft anwenden. Kunst ist so frei wie der Narr am Königshofe. Wenn es diesen Freiraum nicht mehr gibt, wird es schwierig. Ich mache in meiner Kunst, was ich will, verfolge aber ein Aufklärungsmoment, indem ich mich selber bilde und das weitergebe.
Andererseits ist es eine Bestandsaufnahme dessen, was ich mitkriege, und am Ende der Serie wird es durchaus einen konkreten Vorschlag geben, wie es anders sein könnte. Die Kunst ist also in diesem Fall eine Was-wäre-wenn-Maschine.
Man liest im Zusammenhang mit Hörspielen oft von „Netflix für die Ohren“. Was kann ein Hörspiel, was eine Fernsehserie nicht kann?
Grundsätzlich bereitet einem das, was man sieht und was einem mit blauem Licht vermittelt wird, viel mehr Stress. Das Flackerbild ermüdet die Sensorik. Beim Hörspiel ist das anders: Die Bilder werden nicht vorgegeben, deswegen hat das Hören von Geschichten einen ganz anderen psychologischen Effekt.
Dem Hörer wird nichts reingedrückt, er wird in die Geschichte gezogen. Weil seine gesamte Sensorik, seine Bilderwelt die Lücken füllt, die das Hörspiel gibt. Das ist eine echte Interaktion, eine echte Verknüpfung und das hat emotional einen ganz anderen Impact. Ein Teil vom Hörer geht ins Hörspiel, und ein Teil vom Hörspiel geht in den Hörer – so erlebt man die Geschichte gemeinsam.
Die erste Staffel von „Head Money“ ist als CD erhältlich (Lausch Medien, 316 Minuten, 30,99 Euro) sowie digital auf Spotify, Audible, Deezer, Apple Music und YouTube Music
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, April 2020. Das Magazin ist seit dem 28. März 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!