SZENE HAMBURG: Laila, warum fassen so viele Menschen gerade zum Anfang eines neuen Jahres Vorsätze?
Alissa Laila Preisner: Gerade die Zeit zwischen den Jahren lädt mit ihrer entschleunigten Atmosphäre dazu ein, innezuhalten. Wir überdenken, wo wir stehen und wie zufrieden wir damit sind. Dabei vergleichen wir mehr oder weniger bewusst unser Leben mit unseren Idealvorstellungen. Um diesen Vorstellungen näherzukommen, fassen wir fürs neue Jahr Vorsätze wie mehr Bewegung, weniger Konsum oder mehr Umweltschutz. Durch dieses Ritual geben wir uns Orientierung. Vielleicht glauben wir auch, dass der Neu(jahrs)start in uns endlich die nötige Energie und Entschlossenheit aktiviert – nach dem Motto: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. So lassen wir im besten Fall Versäumtes mit dem vergangenen Jahr hinter uns und gehen voller Hoffnung und Vorfreude ins neue Jahr.
Welche Strategien gibt es, um die guten Neujahrsvorsätze wirklich einzuhalten?
Die meisten Neujahrvorsätze werden innerhalb weniger Tage oder Wochen wieder begraben. Oft liegt es daran, dass wir uns überfordern, indem wir zu viel auf einmal wollen. Lieber ein bis zwei Vorsätze fassen, die uns wirklich am Herzen liegen und dann ganz konkret in die Planung gehen: Was genau soll wann und auf welche Weise erreicht werden? Ein Trick ist, neues Verhalten in bestehende Routinen einzufügen oder Strukturen wie einen Wochenplan zu nutzen. Regelmäßige Erfolgserlebnisse durch erreichbare Zwischenziele halten die Motivation aufrecht. Ein Tipp für Fortgeschrittene ist die Frage: Welche Versuchungen oder Hindernisse könnten sich mir in den Weg stellen? Für den Umgang damit kann es helfen, sich einen Plan zurechtzulegen. Spätestens wenn sich vermehrt Rückschläge oder Stagnation abzeichnen, können wir uns fragen, welche Unterstützung wir brauchen. Manchen hilft es auch, sich Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu suchen. Auch weil es dann mehr Spaß macht.
Neujahrsvorsätze sollten nicht in Stress ausarten
Wie geht man ganz entspannt an die Umsetzung, ohne sich dabei zu viel Stress und Druck zu machen?
Erst einmal ist es wichtig, sich selber nicht dafür zu verurteilen, es bisher noch nicht geschafft zu haben. Wir haben immer unsere Gründe für das, was wir (nicht) tun. Hier hilft ein neugieriger Blick auf die Vergangenheit, um herauszufinden, woran es gelegen haben könnte. Oftmals geht es um ein Bedürfnis, das durch das bisherige Verhalten befriedigt worden ist, zum Beispiel vor dem TV versacken zur Entspannung, die Zigarette auf der Party zum Kontakteknüpfen oder die Pauschal(flug)reise zur Erholung. Darin liegt etwas zutiefst Menschliches. Wir sollten darauf achten, dass unsere Bedürfnisse ausreichend Beachtung finden. Wichtig ist zu verstehen, dass mehrere Wege zur Bedürfniserfüllung führen können. Oft ist es schlichtweg eine Frage der Umgewöhnung.
Es sollte jedoch auch mal erwähnt sein, dass wir uns auch gar nicht verändern müssen. Letztlich müssen wir uns nur vor uns selber verantworten. Ein Leben in Einklang mit den eigenen Werten und Bedürfnissen zu führen, kann allerdings Erfüllung und Zufriedenheit bringen. Dafür nehmen viele doch lieber die Herausforderung eines Veränderungsprozesses in Kauf. In Stress sollte dieser allerdings nicht ausarten.
Letztlich müssen wir uns nur vor uns selber verantworten
Alissa Laila Preisner
Wenn wir schon beim Thema sind: Warum hängen so viele Vorsätze mit der Reduzierung oder Kompensation von Stress zusammen?
So gut wie niemand klagt heutzutage über Langeweile. Oft ist es eher ein Zuviel, das uns belastet. Stressoren wie zu viel Arbeit, soziale Verpflichtungen und Termine plagen uns. Wir versuchen allem gerecht zu werden oder gehen perfektionistisch an die Aufgaben heran. Das macht Stress und der kann zu gesundheitlichen Problemen führen. Womöglich versuchen wir es erst einmal mit Vorsätzen rund um hilfreiches Stressmanagement wie Yoga, Meditation oder regelmäßigen Sport. Was aber, wenn die Ursache eher in einer ungünstigen Lebenssituation steckt? Dann kann es nachhaltiger sein, größere berufliche oder private Veränderungen vorzunehmen als den Stress „wegzuatmen“. Entsprechende Vorsätze brauchen oftmals mehrere Anläufe und landen Jahr für Jahr wieder auf unserer Liste.
„Für unsere bisherigen Erfolge auf die Schulter klopfen“
Wie starte ich denn allgemein besonders entspannt und erholt und somit auch gestärkt ins neue Jahr?
Es ist ehrenhaft, etwas an seinem Leben oder der Welt verbessern zu wollen. Aber wir dürfen uns ruhig auch mal für unsere bisherigen Erfolge auf die Schulter klopfen und den Fokus auf unsere Stärken richten. Ruhepausen, regelmäßiger Ausgleich und Selbstfürsorge können genauso wichtig sein wie den „inneren Schweinehund“ zu überwinden und Disziplin zu zeigen. Ganz wichtig ist es außerdem soziale Kontakte zu pflegen – am besten offline. Bei Hobbys und Tätigkeiten, bei denen wir im Flow sind, wird es individuell: Das kann für den einen der regelmäßige Spaziergang in der Natur sein, während die andere lieber feiern geht. Wieder andere kuscheln sich gerne zu Hause mit einem warmen Tee bei einem guten Buch ein. Uns in unserer Einzigartigkeit anzunehmen, stärkt uns von innen heraus. So sein zu wollen wie andere führt uns unnötig auf Irrwege. Auf dem Sterbebett sagen die meisten Menschen, dass sie gerne mehr von dem gemacht hätten, was ihnen wirklich wichtig war. Wie gut, dass wir ein Ritual wie das Fassen von Neujahrsvorsätzen haben, um rechtzeitig damit anzufangen.
Alissa Laila Preisner ist approbierte Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Tiefenpsychologie und systemische Beraterin in der Praxisgemeinschaft Neue Mitte in Altona.
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 01/2025 erschienen.