SZENE HAMBURG: Nina, ich habe ChatGPT mal gefragt, welches eine gute erste Frage an dich wäre.
Nina Hoss: Ach – das ist ja interessant! Und?
ChatGPT hat geantwortet: „Eine starke erste Frage an Nina Hoss sollte direkt Interesse wecken, ihre Persönlichkeit respektieren und einen tieferen Einstieg ermöglichen.“ Und diese Frage lautet: „Frau Hoss, was treibt Sie heute ganz persönlich an, wenn Sie eine neue Rolle annehmen?“
Das ist ja wahnsinnig neu und tiefgreifend – oh Mann, wie enttäuschend. Offenbar ist doch noch nicht alles an die KI verloren. (lacht)
Meine erste Frage an dich wäre stattdessen folgende: „Zikaden“ war ja die zweite Zusammenarbeit zwischen dir und Regisseurin Ina Weisse. Das heißt: Ihr kanntet euch bereits, Ina ist zudem ebenfalls Schauspielerin und eine Frau. Welche dieser drei Faktoren ist derjenige, der für eure Zusammenarbeit am zuträglichsten war?
Dass wir uns kannten und seit unserer ersten Zusammenarbeit mit „Das Vorspiel“ sogar Freundinnen sind. Deshalb bin ich auch ganz fließend zu „Zikaden“ gekommen, weil ich schon früh mitbekommen habe, woran Ina arbeitet, was sie vorhat und worüber sie beim Drehbuch nachgedacht hat.
War nach „Das Vorspiel“ sofort klar, dass da noch mal ein Nachspiel folgen wird?
Ja. Ich wusste bloß nicht, dass es gleich der nächste Film sein wird.
Nina Hoss auch hinter der Kamera?
Wäre ein Wechsel hinter die Kamera für dich auch noch mal eine Option?
Wenn du mich das vor zehn Jahren gefragt hättest, hätte ich sofort „Ja!“ gesagt. Aber dann habe ich diesen Beruf frisch für mich entdeckt. Ich bin nach wie vor unglaublich begeistert davon, was sicherlich auch an den Aufgaben liegt, die ich in den vergangenen Jahren hatte – er fasziniert mich nach wie vor. Insofern: Hinter die Kamera erst mal nicht.
Also gab es bei dir vor zehn Jahren einen Punkt, an dem du dich gelangweilt hast?
Ja. Ich habe den Beruf zwar immer geliebt, aber eben mit der Möglichkeit geliebäugelt, den mal von einer anderen Perspektive aus zu betrachten. Manchmal wird man ja auch müde davon, immer selbst, mit seiner ganzen Person, im Zentrum stehen zu müssen. Aber von dieser Idee habe ich mich wieder gelöst, weil ich tollen Menschen begegnet bin und mich mit großartigen Geschichten auseinandersetzen konnte. Und ich habe mich als Schauspielerin auch noch mal anders im Denken befreit.
Du hast in einem Interview mal gesagt, dass es einen Punkt in deiner Karriere gab, bei dem du beim Spielen einer Rolle nicht mehr in dich hinein-, sondern aus dir herausgegangen bist. Meinst du das?
Ja. Ich habe mehr Vertrauen entwickelt: in mich, in die Situation und in das, was da kommt – und dass man immer mit dem umgehen kann und muss, was der Figur begegnet. Ich kann’s heute nicht besser sagen, als ich es damals offenbar schon getan habe.
Mit Frauen zu arbeiten ist überraschend und aufregend und manchmal unkomplizierter
Nina Hoss
Du hast in deiner Karriere ein ziemlich ausgeglichenes Verhältnis zwischen Regisseuren und Regisseurinnen, mit denen du zusammengearbeitet hast. In Anbetracht des Umstands, dass es nach wie vor deutlich mehr Regisseure gibt, wirkt das ungewöhnlich. Suchst du dir deine Rollen bewusst danach aus?
Ja, ich lege da schon ein Augenmerk drauf. Hinzu kommt aber auch, dass Frauen mich oft ansprechen und anfragen. Mit Frauen zu arbeiten ist überraschend und aufregend und manchmal unkomplizierter, weil man manche Themen gar nicht erst besprechen muss. Ich finde es auch wirklich schön, dass wir Frauen jetzt unsere Sprache finden. Dafür braucht man aber Zeit, muss auch mal Irrwege gehen oder mal einen vorlegen. Wie im Theater zum Beispiel Florentina Holzinger, die unsere männlich geprägten Sehgewohnheiten herausfordert und Nacktheit auf die Bühne bringt, die überhaupt nichts Sexuelles hat – und gerade deshalb eine große eigenständige Kraft. Das interessiert mich. Es ist eine kollaborative Entdeckungsreise und deshalb arbeite ich gerne mit Frauen.
Welche Dinge muss man Frauen denn beispielsweise nicht erklären?
Dass wir ähnliche Voraussetzungen haben, unsere eigene Sichtweise zu finden, weil wir alle natürlich vom männlichen Blick geprägt worden sind durch unsere Kulturgeschichte. Wir können uns ja auf nichts beziehen, weil nichts in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Darüber muss ich mich mit einer Frau nicht verständigen.
Im Film geht es ja unter anderem um die Frage, wie wir als Gesellschaft mit alten Menschen umgehen. Hast du ein bisschen Sorge, wie es sein wird, falls du im Alter mal nicht mehr in der Lage sein solltest, für dich selbst sorgen zu können?
In Bezug auf mich denke ich da nicht groß drüber nach. Das hängt ja auch ein bisschen davon ab, ob man krank wird oder nicht. Man kann nur dahingehend planen, dass man gute Grundvoraussetzungen schafft.
Nina Hoss über ihren neuen Film „Zikaden“

Filme, Kunst generell, sind ja durchaus in der Lage, auf bestimmte Entwicklungen aufmerksam zu machen und gesellschaftliche Diskussionen anzustoßen. Wie viel Potenzial sprichst du „Zikaden“ dahingehend zu?
Eine Menge. Beide Frauenfiguren, die den Film tragen, stecken ja in einer Überforderung und brauchen Hilfe, denken aber gar nicht darüber nach, dass sie Hilfe brauchen und machen alles alleine. Vielleicht sind wir aber alle ein bisschen zu sehr alleingelassen. So konkret spricht der Film das zwar nicht an, aber er bietet eine gute Diskussionsgrundlage für die Beschäftigung mit der Frage, wie wir miteinander als Gesellschaft leben und älter werden wollen.
Ja, das stimmt.
Was ich am Film zudem so schön finde, ist, dass er trotz des schweren Themas eine Leichtigkeit mitbringt. Manchmal braucht es ja auch solche Situationen der Überforderung, um andere Menschen überhaupt wahrnehmen zu können, die in vergleichbaren Situationen stecken. Die beiden Frauen wären sich wahrscheinlich nie begegnet, wenn in beiden Leben nicht der Boden wackeln würde. Die eine kümmert sich alleinerziehend um ihr Kind und muss zusehen, wie sie über die Runden kommt, die andere muss den ganzen Pflegeapparat für ihre Eltern organisieren, ihre Ehe überprüfen und gleichzeitig ihren Beruf managen. Dass die beiden sich begegnen und auf eine merkwürdige Weise auch gut tun, das ist spannend. Und bei solchen Situationen der Überforderung hilft einem eine Offenheit gegenüber anderen. Wenn man sich selbst und die Leben anderer mit Empathie wahrnimmt.
Du stehst seit 35 Jahren auf Theaterbühnen, seit 30 vor der Kamera. Gibt es so etwas wie die wichtigste Rolle deines Lebens?
Ein großer Wendepunkt war „Barbara“. Aber auch an „Das Mädchen Rosemarie“, der mein erster Film war, der wahrgenommen wurde, komme ich natürlich nicht vorbei, weil der mir viele Türen geöffnet hat, die ich mir ansonsten ganz anders hätte erarbeiten müssen. Davon hätte ich niemals zu träumen gewagt. Aber eigentlich kann ich keinen Film auslassen. Auch „Das Vorspiel“ hat ungemein viel in mir ausgelöst und gebracht. Irgendwie beziehen sich alle Filme auch irgendwie aufeinander und bedingen sich; jede Figur hat mit der nächsten zu tun.
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 06/25 erschienen.