Rund ein Viertel der Jugendlichen in Deutschland schätzt die eigene Lebensqualität als gering ein. 20 Prozent bezeichnen sich selbst als psychisch belastet. Und ein Fünftel der jungen Menschen fühlt sich in der Schule nicht wohl. Es sind alarmierende Zahlen, die das kürzlich veröffentlichte Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung aufweist. Die repräsentative Umfrage bescheinigt zudem zwölf Prozent der Kinder zwischen acht und 17 Jahren mit psychische Auffälligkeiten und weiteren neun Prozent, dass sie sich im Grenzbereich dazu bewegen. Für die Stadt Hamburg ein Grund, bei der Pädagogik neue Schwerpunkte zu setzen. Und an allen 344 staatlichen Schulen dauerhaft Schulsozialarbeit mit multiprofessionellen Teams anzubieten.
Psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen: Robert Bosch Stiftung fordert zum Handeln auf
Für den Haushalt der Hansestadt ein kräftiger Schluck aus der Pulle, der genommen werden muss. Denn die insgesamt 102 zusätzlichen Stellen, die geschaffen werden, kosten rund 7,2 Millionen Euro pro Jahr. Da auch in Teilzeit gearbeitet werden wird, kann die Personenzahl der Schulsozialarbeiter, die zukünftig an Hamburgs Schulen tätig sein werden, weit höher sein. Hamburg ist dabei allerdings nicht auf sich allein gestellt: Der Bund beteiligt sich an der Finanzierung, übernimmt 49,5 Prozent der Kosten.
Für die Bildungbehörde ist die Initiative alternativlos. Das von der Robert Bosch Stiftung veröffentlichte Schulbarometer belege eindrücklich, wie es um die psychische Belastung von Schülern bestellt sei. Diese Belastungen könnten die psychosoziale Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen und somit die Lern- und Entwicklungschancen der Kinder und Jugendlichen gefährden. Schulsenatorin Ksenija Bekeris: „Ich freue mich sehr, die Schulsozialarbeit massiv ausbauen zu können. Das ist eine gute Nachricht.“ Schule solle ein Ort sein, an dem sich alle wohlfühlen könnten. Sozialarbeit vor Ort könne dabei eine wichtige Rolle spielen und fördere das Miteinander.
Zu den Aufgaben der Sozialarbeiter an Hamburgs Schulen gehören die Einzelfallberatung und Unterstützung bei familiären, schulischen oder psychosozialen Herausforderungen, der Austausch mit Eltern und die Beratung des schulischen Personals. Ebenso Trainings und Workshops zur Förderung sozialer Kompetenzen sowie zur Auseinandersetzung mit altersgerechten Themen und die Krisenintervention, also professionelle Hilfe bei akuten Konflikten und Krisensituationen im schulischen Alltag. Präventionsarbeit ist von großer Bedeutung. Dabei geht es auch um Projekte zu Themen wie Mobbing, Sucht oder Gewalt, die heutzutage oft im digitalen Kosmos relevant sind. Bei Verdachtsfällen auf Kindeswohlgefährdung sollen die Sozialarbeiter einschreiten.
Zukunftsängste erhöhen die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen

Dass es im sozialen Raum Schule Handlungsbedarf gibt, offenbaren weitere Ergebnisse des Schulbarometers, für das Kinder zwischen acht und 17 Jahren sowie jeweils ein Elternteil befragt wurden. So ist neben Zukunftsängsten angesichts von Krisen und Klimawandel der Leistungsdruck auf dem Bildungssektor offenkundig ein Problem. Rund 20 Prozent der befragten Schüler sorgen sich, nicht mehr Schritt halten zu können.
Besonders Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren sind der Studie zufolge betroffen. „Es muss uns alarmieren, wenn ein Viertel der Schüler die Schule als druckvoll erlebt, die eigene Lebensqualität niedrig bewertet und angibt, unterschiedlichen existenziellen Ängsten ausgesetzt zu sein“, sagt Dr. Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung. Die Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen habe sich zwar seit der Corona-Pandemie kontinuierlich verbessert, liege aber immer noch deutlich unter dem vorpandemischen Niveau. „Die meisten Kinder und Jugendlichen verbringen täglich acht Stunden in der Schule. Das ist vergleichbar mit dem Arbeitsplatz von Erwachsenen, dessen Bedeutung für die Gesundheit regelmäßig untersucht wird. Für die Situation der jungen Menschen in unserer Gesellschaft klafft hier allerdings eine große Forschungslücke, die wir unbedingt schließen müssen“, so Wolf.
Gute Klassenführungen sind wichtig für das Wohl der Kinder und Jugendlichen
Zentral für das schulische Wohlbefinden, so die Ergebnisse des Schulbarometers, sind die konstruktive Unterstützung durch die Lehrkräfte und eine gute Klassenführung. Doch gerade hier gibt es Luft nach oben: Viele Schüler berichten von häufigen Unterrichtsstörungen (83 Prozent) und dass die Mehrheit der Lehrkräfte nicht nachfragt, was man schon verstanden hat und was noch nicht (41 Prozent). Häufig gebe es keinerlei Rückmeldung, was noch zu lernen sei (37 Prozent). 35 Prozent beklagen die zu seltene Möglichkeit, Probleme im Klassenverbund mit der Lehrkraft zu besprechen. „Schüler brauchen kontinuierliche und regelmäßige Rückmeldungen“, sagt Wolf. „Für eine individuelle Förderkultur braucht es ein neues Unterrichtsverständnis, das den Lernprozess in den Mittelpunkt stellt. Dazu sind neben datengestützter Diagnostik auch alternative Prüfungsformate und -zeiten notwendig, um die individuelle Lernentwicklung als neuen Standard zu etablieren.“
Mehr Stellen für Sozialarbeiter an Hamburger Schulen ab 2025
Die Studie beleuchtet auch, wie die Erziehungsberechtigten mit dem Thema psychische Gesundheit umgehen und welche Hilfsangebote sie für ihr Kind in Anspruch nehmen. Dabei zeigt sich, dass bis zu einem Drittel der Eltern die Hilfestrukturen an der Schule ihrer Kinder gar nicht kennen. Wird Unterstützung innerhalb der Schule gesucht, ist in den meisten Fällen die Klassenlehrkraft die erste Anlaufstelle. Ein Viertel der Hilfe suchenden Eltern hat laut Befragung in der Schule allerdings keine Unterstützung erhalten. Bemerkenswert: Bis zum Beginn einer regulären Therapie warten Kinder und Jugendliche im Durchschnitt satte fünf Monate.
Es muss uns alarmieren, wenn ein Viertel der Schüler die Schule als druckvoll erlebt, die eigene Lebensqualität niedrig bewertet und angibt, unterschiedlichen existenziellen Ängsten ausgesetzt zu sein
Dr. Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung
Doch zurück nach Hamburg. In der Hansestadt steht der Fahrplan für den Ausbau der Schulsozialarbeit. Für die 66 staatlichen Gymnasien werden zum August 2025 insgesamt 44 zusätzliche Stellen bereitgestellt. Den 56 Grundschulen mit Sozialindex 1 oder 2 werden bereits im Februar 35 zusätzliche Stellen angeboten. Für die 64 Stadtteilschulen erhöht sich die bisherige Zuweisung um insgesamt 23 Stellen. Parallel wird unter der wissenschaftlichen Begleitung der Universität Oldenburg ein Rahmenkonzept entwickelt, das Vernetzungsmöglichkeiten innerhalb der jeweiligen Schule sowie mit externen Kooperationspartnern aufzeigen soll.
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG SCHULE 2025 erschienen