Vielfalt: Hand in Hand

Von Ende Juli bis Anfang August war Pride Week in Hamburg – mit zahlreichen Veranstaltungen, die für Vielfalt in der Gesellschaft plädieren. Die queere Community kämpft weiterhin für mehr Akzeptanz. Doch der politische und gesellschaftliche Gegenwind wird größer. Ein Lagebericht
Auch in diesem Jahr weht die Regenbogenflagge zur Pride Week am Hamburger Rathaus
Auch in diesem Jahr weht die Regenbogenflagge zur Pride Week am Hamburger Rathaus (©Freie und Hansestadt Hmaburg Senatskanzlei)

Die Hand des Partners oder der Partnerin in der Öffentlichkeit zu halten, gehört für die meisten Menschen zum Alltag. Was für heterosexuelle Menschen eine Selbstverständlichkeit ist, ist für viele homosexuelle Menschen ein tagtägliches Abwägen von Gefahren. „Wenn man Hand in Hand läuft, sind einem kritische Blicke auf jeden Fall sicher“, sagt Ralf Amsel (Name von der Redaktion geändert), eine Person aus der queeren Community. Auch in Hamburg sei es je nach Stadtteil schwierig, sich frei zu bewegen oder sich gar auf der Straße zu küssen – und das, obwohl laut dem Meinungsforschungsinstitut Ipsos mehr als jeder Zehnte in Deutschland Teil der LGBTIQ*-Community (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queers) sei.

Eine im Mai 2024 von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) veröffentlichte Umfrage zur Lage von LGBTIQ* in Europa unterstreicht, was Amsel berichtet: 40 Prozent aller Befragten in Deutschland vermeiden das gleichgeschlechtliche Händehalten. Das Gefühl der Unsicherheit nimmt wieder zu: Mehr als eine von zehn Personen erlebte in den vergangenen fünf Jahren Gewalt. Am häufigsten in Bulgarien (19 Prozent), gefolgt von Deutschland, Lettland, Rumänien, Polen, Frankreich mit 16 Prozent. Hierzulande waren es 2019 noch 13 Prozent. Mehr als die Hälfte der Befragten in Deutschland wurden im vergangenen Jahr belästigt. 65 Prozent in Deutschland empfinden, dass die Gewalt gegen LGBTIQ*-Personen zugenommen habe. „Egal, wen man aus der Community fragt, man fühlt sich momentan nicht mehr so sicher“, sagt Amsel. Auch er erlebte in Vergangenheit Belästigung: „Von einer Jugendgruppe wurde ich mal dumm angemacht.“

Ein Ansteigen rechtspopulistischer und queerfeindlicher Positionen: leider auch in Hamburg spürbar  

Deutschlandweit steigt die Unsicherheit und sinkt die Akzeptanz. Auch in Hamburg ist diese Entwicklung zu spüren. „Hamburg ist eine bunte Stadt. Unsere Vielfalt ist unsere Stärke. Doch auch in Hamburg erleben queere Menschen immer wieder Einschränkungen in ihren Rechten und ihrer persönlichen Sicherheit – sei es im öffentlichen Raum, im digitalen Umfeld oder im Alltag“, sagt Maryam Blumenthal, Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung. Die Zunahme rechtspopulistischer und queerfeindlicher Positionen stelle nicht nur die Rechte queerer Menschen infrage, sondern berühre grundlegende demokratische Werte.

Das ist auch am Anstieg der Delikte abzulesen: Im vergangenen Jahr gingen bei der Polizei Hamburg 149 Straftaten in Bezug auf „geschlechterbezogener Diversität“ und „sexueller Orientierung“ ein. 2023 waren es noch 98 Delikte. Zu den Vergehen zählen Körperverletzungen, Beleidigungen, Bedrohung und Sachbeschädigung. Spitzenreiter sind die Stadtteile Winterhude und St. Pauli, wo es nach Angaben auf einer Kleinen Anfrage von Dr. Carola Ensslen (Die Linke) besonders häufig zu Straftaten kommt.

Auch in Hamburg erleben queere Menschen immer wieder Einschränkungen in ihren Rechten und ihrer persönlichen Sicherheit

Maryam Blumenthal, Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung

Die Dunkelziffer der Vergehen sei nach wie vor hoch. Der Polizei Hamburg zufolge seien LSBTIQ*-Personen weiterhin einem besonders hohen Gewaltrisiko ausgesetzt. „Das trifft insbesondere auf Transgender-Personen zu. Die meisten Straftaten werden mutmaßlich nicht angezeigt. Entsprechend ist von einem ausgeprägten Dunkelfeld im Bereich der LSBTIQ*-feindlichen Kriminalität auszugehen“, heißt es im Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ* von Dezember 2024 des Bundesministerium des Innern und für Heimat und des Bundeskriminalamts. Die Polizei Hamburg will mit der seit Ende 2024 begonnenen Kampagne „Wir l(i)eben bunt! Gemeinsam gegen Hass!“ ein Zeichen gegen queerfeindliche Gewalt setzen. Dass die Akzeptanz gegenüber einer vielfältigen Gesellschaft schwindet, zeigt auch die aktuelle„Mitte“-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2023: 16 Prozent der Befragten gaben an, Ekel zu verspüren, „wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen“. Zwei Jahre zuvor waren es noch 8,7 Prozent.

Ein ernüchternder Blick: Diversität im Weltgeschehen 

Dabei schien die Gesellschaft auf einem toleranten Kurs in Richtung Vielfalt. Vor 35 Jahren strich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten. In den darauffolgenden Jahren wurden die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen (LSBTIQ*) zunehmend geschützt und ausgeweitet: In Deutschland wurden die Ehe für alle und das Adoptionsrecht eingeführt, das dritte Geschlecht anerkannt und seit November 2022 ist der bundesweite Aktionsplan „Queer leben“ in Umsetzung.

Der Blick auf die aktuelle Weltlage hingegen wirkt ernüchternd. Die Vereinigten Staaten von Amerika kürzen staatliche Mittel für Diversitätsprogramme. Präsident Donald Trump fährt einen klaren Anti-Diversitätskurs und setzt die US-Konzerne unter Druck: Zu Beginn des Jahres stellten unter anderem die Großkonzerne Meta (Facebook, Instagram), Ford und McDonald’s ihre Diversitäts- und Nachhaltigkeitsstrategien ein oder fuhren diese zurück. Auch die Telekom Tochter „T-Mobile US“ gab bekannt, die internen Diversitätsprogramme zu beenden. In Deutschland sei die Lage noch entspannt. „Wir sehen keine Rückzugswelle – aber eine wachsende Unsicherheit in der Kommunikation. Unternehmen suchen nicht nach einem Ausstieg, sondern nach einer anschlussfähigen Sprache“, stellte Cawa Younosi, Geschäftsführer des Charta der Vielfalt e. V. in Bezug auf deutsche Unternehmen fest. Im April 2025 wurden hierzulande 100 Organisationen befragt, 90 Prozent wollen ihre Programme zu Diversity, Equity und Inclusion (DEI) beibehalten.

Auch wenn der Gegenwind zunimmt, die queere Szene bleibt laut! In Budapest wurde eine Pride-Parade im Juni polizeilich verboten – das hielt rund 200.000 Demonstranten aber nicht davon ab, sich dennoch zu versammeln. „Volle Prideseite gegen Orbán“, titelte die „taz“. „Das ist genau das richtige Zeichen“, findet auch Amsel. „Menschen können sich nicht verbieten lassen!“ 

Der Blick auf die USA und Ungarn mache deutlich, wie schnell „autoritäre Kräfte versuchen, unsere Rechte wieder einzuschränken“, sagte kurz darauf die Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch (SPD), der „Rheinischen Post“. Die Stimmung habe sich verändert – und nicht zum Guten, so Koch. Das merke man auch in Hamburg, findet Amsel, auch wenn man in Hamburg sicherer sei als auf dem Land: „Hier gibt es eine Community, die zusammenhält.“

Der Zusammenhalt war es auch, der den Christopher Street Day (CSD) einst ins Leben rief: Der CSD erinnert nämlich an einen Aufstand von 1969. Damals gingen Homosexuelle und anderen queere Personen in der New Yorker Christopher Street gegen die Polizeiwillkür in den USA vor, indem sie Rechte einforderten. Seit Beginn der 1980er-Jahre findet die Demonstration – damals noch als Stonewall-Demonstration – auch in Hamburg statt.

Die Pride Week in Hamburg

Dieses Jahr begann die Pride Week in Hamburg am 26. Juli. Höhepunkt war die CSD-Demonstration am 2. August. Motto: „Wir sind hier, um zu bleiben. Queere Menschen schützen.“ 250.000 Menschen wurden im Vorfeld erwartet. Willkommen war jeder: „Ich habe von vielen gehört, dass sie nicht zum CSD gehen, weil sie denken, es sei nicht für sie. Doch wir brauchen die Unterstützung. Man freut sich über jede Person, die nicht queer ist“, sagt Amsel. Anders als die vorherigen Jahre führte die bunte Demonstration in diesem Jahr wegen Platzmangel nicht über die Lange Reihe, sondern den Steindamm. Das sorgte für Sicherheitsbedenken. Die Polizei Hamburg ist jedoch der Auffassung, dass es hierzu aktuell keinen Anlass gäbe: In einer Stellungnahme vom 17. Juli heißt es: „Die Polizei Hamburg beobachtet die Lage, vor allem in Zusammenhang mit den bundesweiten Vorfällen im Rahmen von CSD-Veranstaltungen 2025, aufmerksam und fortwährend. Bislang liegen keine Erkenntnisse vor, die auf eine konkrete Gefährdung für den diesjährigen CSD-Umzug sowie für die sonstigen Veranstaltungen anlässlich der Pride Week in Hamburg schließen lassen.“ 

Die Sorge ist nicht unberechtigt: In mehreren Städten in Deutschland meldeten Rechtsextreme Gegendemonstrationen zum CSD an. In Hamburg sei der Versammlungsbehörde „eine eindeutig dem Tenor nach als Gegendemonstration zu bezeichnende Veranstaltung derzeit nicht bekannt.“ Für den Hamburger Demonstrations-Leiter Dominik Maggi-Beiroth sei der Steindamm kein Abstieg. Dem Pride-Magazin gegenüber äußerte er optimistisch: „Wir wollen, dass der CSD auch dahin strahlt, wo es vielleicht noch nicht jede:r erwartet. Das ist kein Rückzug – das ist eine Expansion!“ Vielleicht, so die Hoffnung, wehen dann künftig mehr bunte Regenbogenflaggen am Steindamm.

Die bunte Flagge ist das symbolische Zeichen der Bewegung. Auch dieses Jahr wird die Flagge ab dem 25. Juli auf dem Balkon des Hamburger Rathauses zu sehen sein. „Für uns war es […] keine Frage, dass in der Pride Week die Regenbogenflagge am Hamburger Rathaus gehisst wird. Der Einsatz gegen Queerfeindlichkeit muss aber über diese – gerade in der aktuellen Lage – wichtigen Symbolik hinausgehen. Er erfordert konkrete Maßnahmen, strukturelle Veränderungen und eine Kultur der Solidarität, die weit über die queere Community hinausreicht“, sagt Senatorin Maryam Blumenthal. Wie stark der Gegenwind in der für seine liberale Haltung bekannten Hansestadt weht, zeigt der Umstand, dass die Regenbogenfahne im vergangenen Jahr von Unbekannten beschädigt wurde.

„Wir sind alle Menschen und haben nichts Böses im Sinn“

Ralf Amsel, Teil der queeren Community

Anfang Juli unterstützte der amtierende Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) und sprach sich gegen das Hissen der Regenbogenflagge am Bundestag zum CSD aus. Er begründete dies lapidar mit den Worten, der Bundestag sei „kein Zirkuszelt“. Die Kritik blieb nicht aus: „Wenn die Regenbogenfahne die Fahne auf einem Zirkuszelt ist, was sind dann queere Menschen?“, fragte Koch (SPD) in der Nachrichtensendung „ZDF heute“.

„Es ist wichtig, dass man sich nicht den Mund verbieten lässt und unterdrücken lässt“, sagt Amsel. „Man sollte laut sein, sich zeigen und aufklären. Wir sind alle Menschen und haben nichts Böses im Sinn.“ Das sollte eigentlich auch der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel bewusst sein, die mit einer Partnerin zusammenlebt, aber dennoch mit der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland eine Anti-Diversitätsstrategie verfolgt. Ginge es nach ihrer Partei, würde Aufklärung in Schulen, Kindertagesstätten und Kindergärten nicht mehr gefördert. Es gehöre nicht zur Aufgabe der Bundesregierung, „staatliche Beihilfe zum geistigen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch schamverletzende Propaganda und explizite Details sexueller Handlungen zu gewährleisten“, heißt es in einem Antrag von Januar 2025. Im November 2024 forderte die AfD darüber hinaus – vergeblich – die Abschaffung des Queer-Beauftragten der Bundesregierung.

In Hamburg will der Senat mit dem Aktionsplan „Hamburg l(i)ebt vielfältig“ Vielfalt und Akzeptanz fördern. Dafür würden alle Senatsämter, Fachbehörden und Bezirksämter ressortübergreifend zusammenarbeiten. „Der Aktionsplan bündelt insgesamt 150 Maßnahmen in verschiedenen Lebensbereichen – von Bildung, Gesundheit und Sicherheit über Arbeitswelt bis hin zu Kultur und Sport. (…) Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Stärkung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten für LSBTIQ+-Personen sowie auf Projekten zur Akzeptanzarbeit“, sagt Blumenthal.

Akzeptanz ist in diesen Zeiten mehr denn je gefragt – egal, wer man ist, woher man kommt und wen man liebt. Denn: Sollte nicht jeder Mensch das Recht haben, die Hand der Person zu halten, die man liebt?

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