Ausgehend von einem Ziegenhaarteppich untersucht der libanesische Bildhauer Rayyane Tabet im Kunstverein Hamburg die Bezüge zwischen arabischer und westlicher Welt.
Kurz vor seinem Tod traf Faek Borkhoche eine folgenreiche Entscheidung: Den 20 Meter langen Läufer, ein Geschenk von Beduinen, würde er in gleiche Stücke zerschnitten seinen Kindern vererben – unter der Bedingung, dass sie das Ziegenhaartextil wiederum unter ihren Kindern aufteilten. Seine Nachkommen hielten sich daran. Und sie tun es bis heute.
„Eigentlich war mein Urgroßvater damit ein ziemlich guter Konzeptkünstler“, sagt Rayyane Tabet (*1983 im Libanon) über den Teppich-Erblasser, der tatsächlich Lehrer und Übersetzer war. Tabet aber ist Künstler – und zwar ein ziemlich guter. Das deuteten seine Ausstellungsbeteiligungen in Paris und New York und bei den Biennalen von Sharjah und Istanbul an. Die Kunstvereinsschau beweist es.
Für deren erstes Kapitel hat er alle verfügbaren Stücke des bisher in 23 Stücke aufgeteilten Läufers zu einem Stammbaum zusammengefügt. Damit verknüpft Tabet seine eigene Geschichte mit Max von Oppenheim (1860-1946), bei dem sein Ahn 1929 für sechs Monate als Sekretär installiert worden waren – von den Franzosen, die von Oppenheim der Spionage verdächtigten. Der Diplomat und Archäologe hatte 1899 die archäologische Stätte Tell Halaf entdeckt. Etliche seiner Funde befinden sich heute im Pergamonmuseum, andere im Nationalmuseum in Aleppo, wo sie von Zerstörung durch den syrischen Bürgerkrieg bislang wohl verschont blieben.
Die Kunstvereinsschau nimmt die Verwicklung von Tabets Familie in kulturelle Exploration und geopolitische Konflikte zum Ausgangspunkt. Im Hauptraum stehen Abdrücke einer Skulptur vom Tell Halaf vor einer Hängung von etlichen hundert Frottagen. Der Künstler hat dafür im Lager des Pergamonmuseums tausend Fragmente der Oppenheim-Funde mit Papier umwickelt und mit Kohlestift abgerieben. Die Ausstellung endet mit einer Hängung aus Zeltplanen des russischen, französischen und US-amerikanischen Militärs, die einem traditionellen Kleidungsstück der Beduinen gleichen, das durch zwei Stäbe in ein Zelt verwandelt wird.
Tabet ist Bildhauer. Er nähert sich dem Gefüge von politischen Konflikten und kulturellem Austausch mit strenger Ästhetik und minimalistischer Abstraktion. Wie auch bei früheren Arbeiten – etwa zur Transarabischen Pipeline oder zu einem Immobilienprojekt in Beirut – bindet er dokumentarisches Material elegant in sein skulpturales Konzept ein und schließt so die bei anderen Künstlern oft störende Kluft zwischen Werk und Kontext auf überzeugende Weise.
Text: Karin Schulze
Rayyane Tabet: Bruchstücke / Fragments. Bis 18. Februar 2018, Kunstverein in Hamburg.
Dieser Text ist ein Auszug aus SZENE HAMBURG, Februar 2018. Das Magazin ist seit dem 26. Januar 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!