Das war das Reeperbahn Festival 2023

Vier Tage Reeperbahn Festival 2023: Die rund 475 Konzerten von 400 Artists vergingen wie im Flug und boten einige Überraschungen. Und sie klangen verdammt gut 
Reeperbahn Festival bibiza
Bibiza nahm das Publikum im Gruenspan mit auf einen Ausflug in die Wiener Schickeria (©Joana Kimmich)

Echt? Das war’s schon wieder? Vier Tage können unglaublich schnell vorübergehen, wenn sie so vollgepackt sind mit Musik, Menschen und Konzerten wie beim Reeperbahn Festival 2023 (RBF). Und wieder einmal hätte man sich in vier Teile aufsplitten müssen, um alles sehen und erleben zu können, was auf dem Programm stand. Mindestens. Wieder kein Elbphilharmonie-Konzert besucht. Wieder zu wenige Talks mitgenommen. Und war es wirklich die richtige Entscheidung, dieses oder jenes Konzert zu skippen? FOMO, der ständige Begleiter auf dem Reeperbahn Festival.

Offen für alle

Reeperbahn Festival paula hartmann
Beeindruckender Überraschungs-Gig von Paula Hartmann auf dem Dach eines schwarzen SUVs  (©Marvin Contessi / @ctssi)

Doch selbst wer von den rund 49.000 Besucherinnen und Besuchern nur an einem Bruchteil des Programms teilgenommen hat, wird merken: Die Veranstaltenden haben sich alle Mühe gegeben, die 18. Ausgabe des größten Clubfestivals Europas so divers und offen für alle wie möglich zu gestalten, vom gelungengen Reeperbahn Festival Opening bis zum Line-up. So waren viele Bühnen und Stände im Festival Village auf dem Heiligengeistfeld frei zugänglich und auch auf dem Spielbudenplatz konnten die Menschen ohne Tickets die Musik genießen.

On top kamen außerdem noch die kostenlosen Überraschungskonzerte von K.I.Z. am Donnerstagabend und von Paula Hartmann am Mittwoch, die abseits des offiziellen Programms ordentlich Eindruck hinterlassen haben. Die Berlinerin performte ihre neue Single „Schwarze SUVs“ auf dem Heiligengeistfeld – stilsicher auf dem Dach eines schwarzen SUVs. Für K.I.Z. wurde ebenda in einer Nacht- und Nebelaktion eine beeindruckende Bühne errichtet, die aus drei Türmen inklusive Leinwänden bestand. Auf jedem thronte ein Mitglied der Band. Scheinwerfer, die Tarek, Maxim und Nico von unten anstrahlten, verliehen dem Ganzen eine düstere Atmosphäre. Besonders gut ist das auf den dystopischen Drohnenaufnahmen im Regen zu sehen, die die Rapper vom 30-minütigen Gig machten, um ihre neue Single „Görlitzer Park“ zu promoten.

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Große Namen, große Shows

Abgeliefert haben auch die großen Namen im Festivalprogramm. Blood Red Shoes stellten am Samstagabend im Gruenspan einmal mehr unter Beweis, warum sie so einen hervorragenden Ruf als Live-Act genießen. Wild, was Laura-Mary Carter und Steven Ansell zu zweit mit ihrem Alternative Rock für eine Energie auf die Bühne bringen. Ähnliches gilt für The Hives am Freitag. Kein Wunder, dass sich die Schlange vor der Großen Freiheit 36 durch die gesamte Straße zog und teilweise mit dem gewöhnlichen Partypublikum kollidierte. Auch die Band um Frontmann Pelle Almqvist – der übrigens einen Tag später die Verleihung des Newcomer-Musikpreises ANCHOR moderierte und Gewinnerin Ichiko Aoba beglückwünschte – zeigte, dass sie in der letzten Dekade, in der es still um sie geworden war, nichts von ihrer Power verloren hat.

„We are back in the music industry“, wurde der Sänger nicht müde zu betonen. Hätte man daraus ein Spiel gemacht und jedes Mal, wenn das Wort „music industry“ fiel, einen Kurzen getrunken, hätte man das Konzert sicher torkelnd verlassen. Was auffiel: Die Crowd war überwiegend cis-männlich. Becher flogen durch die Luft und ein Moshpit mit wenig Rücksicht auf Verluste – eine Ansage der Band, aufeinander achtzugeben und auch weiblich gelesenen Personen mehr Raum zu geben, wäre hier angebracht gewesen. Denn obwohl das Reeperbahn Festival sehr viel Wert darauf gelegt hat, das Line-up divers zu gestalten und damit auch ein vielfältiges Publikum anzusprechen, zieht ein Headliner wie The Hives viele weiße, überwiegend männliche Zuschauer an.

Musikalische Entdeckungen

Besser macht es die Punkband Team Scheisse, die bei ihren zwei Auftritten im Knust und im Uebel & Gefährlich bei einigen Songs einen Moshpit nur für FLINTA* Personen öffneten. Und damit war dies auch eines der Konzerte, bei denen mehr pogende Menschen als Handys in der Luft zu sehen waren. Legendär sind auch ihre Blockflöten-Einlagen, bei denen eine Person aus dem Publikum auf die Bühne gebeten wird, um Team Scheisse beim Song „Ich dreh mich noch mal um“ zu unterstützen. Der Auserwählte trug später noch die Blockflöte wie eine Trophäe durch den Molotow Backyard.

Ganz generell mussten sich die kleineren Artists überhaupt nicht hinter den großen Acts verstecken. Die Musikerinnen von The Last Dinner Party spielten einen überragenden Showcase im Uebel & Gefährlich. Vor allem die Performance von Sängerin Abigail Morris – irgendwo zwischen Freddie Mercury und Lana del Rey – trug das Konzert. Und das walisische Sextett CVC brachte die Menge im Molotow Backyard auch an einem späten Donnerstagabend mit Rock- und Pop-Sounds aus vergangenen Jahrzehnten zum Tanzen. Ein weiteres Highlight: der Auftritt des Österreichers Bibiza, der irgendwo zwischen (T)Rap, Falco und Wanda den Gruenspan zum Beben brachte. Dass Franz Bibizas frühe musikalische Sozialisation mit Covern der Red Hot Chili Peppers begann, ist seiner Bühnenpräsenz anzumerken. Selbstbewusst wie die großen Rockstars sprang und wirbelte er über die Bühne. Und selbst wer die Wiener normalerweise für versnobbt hält, wird sie nach diesem Abend ein bisschen lieben. 

Nach vier langen Tagen (und Nächten), die fast alle im Backyard vom Molotow endeten, ruft das Ende des Reeperbahn Festivals nun gemischte Gefühle hervor: Der Körper freut sich auf Schlaf und Erholung und das Herz ist gesättigt von guter Musik, aber ein bisschen traurig ist man eben doch, dass es vorbei ist und der Kiez nun wieder ganz in der Hand von Junggesellenabschieden und Reigegruppen ist.

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