Rockstars haben kein Verfallsdatum

Muse stehen für Theatralik und technischen Höchstaufwand. Am 6. Juni hat die britische Rockband in Hamburg gespielt. Wir sprachen mit Frontmann Matt Bellamy über Bühnengefühle.

SZENE HAMBURG: Matt, wenn du an Hamburg denkst, was kommt dir spontan in den Kopf?

Matt Bellamy: Wasser – und ein gutes Geschäft, zumindest für Muse (lacht). Ich erinnere mich noch sehr genau an unseren ersten Hamburg-Besuch, der gleichzeitig unser erster Deutschland-Besuch war. Wir hatten einen Termin mit einem Hamburger Label, bei dem wir am Ende einen Plattenvertrag unterschrieben. Zum Feiern gingen wir in eines der vielen Restaurants am Wasser, das war großartig. Tolle Gegend, tolle Leute. Ich denke gerne zurück.

Hast du auch den Kiez kennengelernt? Die Reeperbahn mit ihren legendären Bars und Clubs?

Ich bin die Reeperbahn einmal rauf und runter gegangen, als wir irgendwann wieder in Hamburg waren. Allerdings muss ich gestehen: Wirklich umgehauen hat mich das alles nicht. Dieses ganze Rotlicht-Milieu-Ding war noch nie meins, ganz unabhängig von Hamburg.

Ist dir ein ruhiges Rockstarleben generell lieber? Trinkst du eher ein Tässchen Tee nach einer Show als fünf Gin Tonic?

(Lacht) Ja, mittlerweile ist das ein bisschen so. Früher, in unseren 20ern, war das noch ganz anders. Vor allem in der Zeit, als wir mit dem zweiten und dritten Album unterwegs waren, haben wir es ziemlich krachen lassen. Damals waren die Clubs, in denen wir spielten, auch noch kleiner, wir kamen schnell mit Leuten aus dem Publikum in Kontakt und haben mit einigen nach den Shows direkt im Laden weitergefeiert.

Wie sieht denn heutzutage euer Aftershow-Abend aus?

Da ich vor den Auftritten nie viel esse, ist es mir danach umso wichtiger, etwas in den Magen zu bekommen. Dann wird geduscht, und je nachdem, wo wir gerade sind, gehe ich auch noch mal aus, aber eben nicht mehr bis in den frühen Morgen.

Gibt es sie überhaupt noch: Die Rockstars eurer Generation, die auch die gängigen Rockstar-Klischees leben, mit Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll?

Auf jeden Fall! Allerdings sind das meiner Erfahrung nach Bands, die teils noch länger unterwegs sind als wir, und die einen bestimmten Lebensstil einfach nie abgelegt haben. U2 sind da ein gutes Beispiel. Mit denen waren wir schon mehrfach auf Tour, und die können wirklich feiern – ihrem Alter zum Trotz (lacht).

Ihr belasst es also bei der Wildheit auf der Bühne. Habt ihr euch dort noch unter Kontrolle? Oder bringen euch die Massen dazu, Sachen zu machen, die ihr kaum mehr beeinflussen könnt?

Es gibt sicherlich Dinge, die ich besser nur auf der Bühne bringe – und nicht im Alltag auf der Straße (lacht). Wobei ich gar nicht genau sagen kann, warum ich dieses und jenes während einer Liveshow mache. Ich frage mich selbst manchmal: Sind es die Zuschauer, die mich dazu animieren? Oder bin ich von vornherein dazu veranlagt und lebe auf der Bühne einfach nur das aus, was ich anderswo nicht ausleben kann? Es ist wohl ein bisschen von beidem.

Womöglich potenziert sich auch dein Selbstbewusstsein auf der Bühne, wenn dir zehntausend Menschen und mehr zujubeln, und in der Konsequenz traust du dich einfach sehr viel.

Bestimmt. Je mehr Menschen einem zugetan sind, von bloßer Akzeptanz bis zur Anhimmelung, umso freier fühlt man sich, und umso mehr ist man auch gewillt, ihnen etwas Besonderes zu bieten. Durch überdurchschnittlich viel Zuneigung können die größten Ängste verfliegen und zum kompletten Gegenteil werden: Mut und Energie.

Bei dir sind auf der Bühne gar keine Ängste mehr im Spiel?

Als ich jünger war, hatte ich schon auch mit Nervosität zu kämpfen. Irgendwann merkte ich aber, dass ich genug Adrenalin im Körper habe, um damit umgehen zu können.

Das bloße Wissen um das Adrenalin reichte?

Das Wissen und das bewusste Einsetzen. Ich habe bald angefangen, mich auf der Bühne mehr und mehr zu bewegen, zu hüpfe und zu springen und zu klatschen. Bewegung hilft ja oft gegen Angst. Die spüre ich heute kaum noch, wenn wir auftreten. Eher mache ich mir ab und zu Sorgen, dass technische Pannen passieren könnten und etwas mit dem Bühnen-Equipment schiefgeht. Wir setzen ja auch Drohnen ein, und ich hoffe immer sehr, dass die so funktionieren, wie sie sollen.

Noch mal zurück zum Adrenalin. Kann man nach dem beschriebenen Bühnengefühl süchtig werden?

Ich denke schon. Es ist eine natürliche Droge, also auch ein natürliches High-Sein, das einem dort oben passiert. Meine Sucht danach hält sich zwar noch in Grenzen, aber ich kenne einige Kollegen, die diese Adrenalin-Extremsituationen mittlerweile regelmäßig brauchen, und die sich, wenn sie nicht gerade auf Tour sind, in andere waghalsige Abenteuer stürzen.

Würdest du persönlich denn damit umgehen können, wenn euer Publikum plötzlich kleiner werden würde?

Ein kleineres Publikum setzt mich fast noch mehr unter Druck als ein großes, weil es alles viel intimer und intensiver macht. Man wird einfach buchstäblich nahbarer. Und wenn ich es einmal vergleiche: Eine riesige Masse als Publikum hat fast schon etwas Spirituelles, wohingegen ein Raum mit nur ein paar Dutzend Menschen viel beeindruckender wirken kann.

Okay, auf die Masse könntest du also theoretisch verzichten. Auch auf den Ruhm?

Ja, auf jeden Fall. Abseits der Bühne habe ich überhaupt kein Bedürfnis, berühmt zu sein. Auf der Straße nervt mich Ruhm eher, vor allem, wenn ich nicht wegen Muse erkannt werde, sondern wegen einer Beziehung mit einer anderen prominenten Person, die ich gerade führe. Jeder Ruhm außerhalb von unserer Band ist in meinen Augen vollkommen unnötig.

Der Ruhm kommt und geht. Denkst du, Rockstars haben generell ein Verfallsdatum?

Rockstars haben kein Verfallsdatum. Die Frage ist auch eher: Wie lange will man als Musiker um den Globus reisen und das anstrengende Tourleben leben? Die meisten Bands lösen sich mit Mitte 30 auf, weil sie einfach keine Energie mehr haben. Ich bin selbst erstaunt, dass wir nach wie vor mit so viel Kraft dabei sind. Hoffentlich bleibt das auch noch eine Zeitlang so.

Interview: Erik Brandt-Höge
Foto: Danny Clinch

Barclaycard Arena
Sylvesterallee 10
6.6., 20 Uhr

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