Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland bis heute nicht legal. Seit Jahrzehnten setzen sich Feministinnen für eine Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches ein. Aktuell werden die Stimmen zur Streichung des Abtreibungsparagrafen, §218 StGB, wieder lauter.
§218 – ein Überbleibsel aus der Kaiserzeit
Seit 1871 existiert der Abtreibungsparagraf §218 StGB, also seit mehr als 150 Jahren. Dort heißt es: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Jedoch beinhaltete dieser Paragraf seit Mitte der 1990er-Jahre eine Sonderregelung, wobei Abtreibungen bei der Einhaltung bestimmter Bedingungen „straffrei“ sind. Auch wenn Schwangerschaftsabbrüche somit möglich sind, kritisieren Feministinnen diese Regelung scharf.
Nach §218 muss der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen durchgeführt werden, und zwar von einem Arzt oder einer Ärztin. Die ungewollt Schwangere muss sich vor dem Abbruch außerdem einem verpflichtenden Beratungsgespräch unterziehen. „Das hat einen totalen Zwangscharakter. Wir sind für Beratung, aber für freiwillige, ergebnisoffene Beratung, weil Beratung auf Zwang einfach kaum Mehrwert hat“, kritisiert Sophia von pro familia in action, dem junge Netzwerk von pro familia.
Zwischen der Beratung und dem Abbruch müssen nach §218 zusätzlich drei Tage verstreichen. Auch diese Wartezeit sei problematisch. Dies suggeriere, dass ungewollt Schwangere ihre Entscheidung nicht allein treffen können. „Es gibt mittlerweile Zahlen, die belegen, dass ein Großteil der ungewollt Schwangeren, sich in ihrer Entscheidung sofort sicher ist, und, dass sich diese auch innerhalb dieser drei Tage nicht ändert. Das heißt, man zieht die ungewollte Schwangerschaft damit einfach nur unnötig in die Länge“, sagt Frieda von Medical Students for Choice und pro familia in action. Beide Organisationen setzen sich für reproduktive Gerechtigkeit ein.
Fatale Folgen: Stigmatisierung und mangelnde Versorgungslage
Aktivistinnen weisen außerdem daraufhin, dass diese Straffreiheit nicht mit Legalität gleichzusetzen ist, Schwangerschaftsabbrüche sind faktisch in Deutschland kriminalisiert. Was kriminalisiert ist, wird auch sozial negativ bewertet. Der Paragraf sorge somit für Stigmatisierung von Betroffenen sowie von Ärzten und Ärztinnen. Dies trage wiederum zu einer mangelhaften Versorgungslage bei, das ergab auch die 2024 veröffentlichte ELSA-Studie. Dabei gebe es große regionale Unterschiede, erklärt Sophia.
In Hamburg seien es laut der Aktivistinnen gerade mal um die 35 Praxen, die Abbrüche anbieten, es komme immer wieder zu Wartezeiten. „Gerade bei dem medikamentösen Abbruch ist mir das nicht verständlich, eigentlich könnten weitaus mehr Praxen diese Methode anbieten“, sagt Frieda.
Wege zur Selbstbestimmung
Auch Women on Web, eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Kanada beteiligt sich mit einem Redebeitrag an den Protesten zum Safe Abortion Day in Hamburg. Women on Web verhilft ungewollt Schwangeren, die keinen oder eingeschränkten Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben, zu einem sicheren medikamentösen Schwangerschaftsabbruch und begleitet sie gemeinsam mit einem medizinischen Team. „Eine Abtreibung mit den Medikamenten Mifepriston und Misprostol ist sicher und wird auch von der WHO für die Anwendung zuhause empfohlen. Es gibt keinen medizinischen Grund, warum die Tabletten nicht einfacher verfügbar sind“ berichtet Lara. Sie ist Teil des deutsch- und englischsprachigen Helpdesk-Teams von Women on Web.
Ursprünglich habe die Organisation vor allem Länder im Fokus gehabt, in denen Abtreibung vollkommen kriminalisiert sei, aber über die Jahre stiegen auch die Anfragen aus Europa. „Es überrascht uns also nicht, dass uns aus Deutschland allein 2023 weit über 2000 Anfragen erreicht haben. Wir erhalten auch immer wieder Anfragen aus Hamburg“, berichtet die Aktivistin. Welche Personen in Deutschland sich an Women on Web wenden? Manche befänden sich in vulnerablen Situationen, etwa finanziell, mit kleinen Kindern, eingeschränktem Zugang zu Auto oder Verkehrsanbindung, oder durch einen unsicheren Aufenthaltsstatus, Partnerschaftsgewalt oder Kontrolle durch die Familie, erklärt Lara.
Lauter Protest am Safe Abortion Day in Hamburg
In Hamburg machen sich verschiedenste Institutionen, Verbände und Vereine für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen stark. So organisierte das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung vom 21. bis 29. September 2024 die Safe Abortion Week, in der diverse Veranstaltungen zum Thema Abtreibungsrechte stattfinden. pro familia in action und Medical Students for Choice rufen nun gegen Ende der Safe Abortion Week gemeinsam mit der Initiative Abtreibung Entkriminalisieren zu einem Demorave am Vorabend des Safe Abortion Day auf. Eine Aktionsform, die in Hamburg eher im Kontext von Clubsterben bekannt ist. „Ein Demorave ist für mich eine kreative Art des Protests und Protest sollte für mich einfach immer laut sein.“ sagt Sophia. Die Aktivistinnen hoffen, so auch Menschen zu erreichen, die bisher weniger mit dem Thema konfrontiert waren. Zusätzlich startet am Safe Abortion Day um 16 Uhr unter dem Motto „Abort the Patriarchy“ eine Demo vom Gänsemarkt. Zum Abschluss kommt die Safe Abortion Week mit einer Podiumsdiskussion im Museum für Kunst & Gewerbe am 29. September.
Druck auf die Bundesregierung steigt
In den letzten Monaten ist die Debatte um die Entkriminalisierung von Abtreibungen wieder lauter geworden. Eine von der Ampelregierung eingesetzte Sonderkommission empfahl bereits im Frühjahr 2024 die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Eine Streichung von §218 ist bisher aber nicht erfolgt. Damit noch in dieser Legislaturperiode ein neues Gesetz verabschiedet werden kann, sei besonders wichtig, jetzt Druck auf die Bundesregierung auszuüben, sagt Lara von Women on Web. „Das würde nicht nur unsere Leben verändern, sondern auch Generationen nach uns.“ Denn mit dem Rechtsruck der Parteien und dem Erstarken der AfD sei der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen für die Zukunft nicht gesichert. „Jetzt ist wahrscheinlich vorerst die letzte Chance das noch in trockene Tücher zu bringen“, betont Lara.
Auch von der Zivilbevölkerung wünschen sich die Aktivistinnen mehr Engagement. „Abtreibungsrechte betreffen uns alle“, betonen sie. „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass wir alle eine Person kennen, die schon mal abgetrieben hat.“
Mehr Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen finden sich bei my abortion buddy, dem Familienplanungszentrum und pro familia.