„Der Text sollte immer klüger sein als die Autorin“

Die Berlinerin Sara Gmuer war 2012 eine aufstrebende Autorin mit einem gefeierten Debütroman. Nun, ganze 13 Jahre später, ist sie endlich mit einem neuen Werk zurück, in dem sie ihre Leser mitnimmt in die raue Berliner Platte Richtung „Achtzehnter Stock“
Sara Gmuer: „Ich kann durch das Schreiben Sachen denken und sagen, für die ich in meinem Alltag keinen Platz habe. Das tut meiner Psyche bestimmt gut“ (©Urban Ruth)

SZENE HAMBURG: Sara, vor „Achtzehnter Stock“ hast du bereits ein anderes Buch veröffentlicht, nämlich „Karizma“ im Jahr 2012, das viele gute Kritiken bekam. Aber: Was hast du in den vergangenen 13 Jahren gemacht? Oder anders gefragt: Warum hat es bis zum Nachfolger so lange gedauert?

Sara Gmuer: Nachdem ich „Karizma“ geschrieben hatte, war ich erst mal leer. Ich hatte alles gesagt. Ich musste erst mal wieder was erleben, sozusagen den Tank auffüllen, um auf neue Gedanken zu kommen. Ich habe eine Familie gegründet, zwei Kinder bekommen, für Agenturen getextet, Events organisiert und gemalt.

Wie lange hast du letztlich am Roman gesessen: vom Entschluss, ein neues Buch zu schreiben, bis zur Abgabe?

Ich saß drei bis vier Jahre dran, nicht am Stück, aber immer wieder. Mir ging es nie darum, möglichst schnell einen neuen Roman rauszuhauen. In „Achtzehnter Stock“ sind viele Themen eingeflossen, die mich selbst beschäftigen. Ich habe mir die Zeit genommen, viel nachzudenken. Schreiben ist nicht nur Schreiben. Schreiben ist vor allem Denken.

Mir ging es nie darum, möglichst schnell einen neuen Roman rauszuhauen

Sara Gmuer 

Wann und wie bist du auf die Idee zur Geschichte von „Achtzehnter Stock“ gekommen?

Die Geschichte ist gewachsen. Es gab nicht den einen Moment. Am Anfang stand die Stimmung, die ich erzeugen möchte, wie bei einem Song, dann die Milieus und schließlich die Figuren. Die Themen kamen von selbst, weil sie mich schon lange beschäftigen: Wie schafft man Selbstverwirklichung mit Kind? Ist das überhaupt möglich? Was bedeutet Erfolg? Wann ist man arm und was bedeutet Freundschaft in all dem?

Sara Gmuer über Romananfänge 

Sara Gmuer’s Roman „Achtzenter Stock“ ist im hanserblau Verlag erschienen (©hanserblau)

Wie kommst du generell auf die Ideen zu deinen Geschichten?

Die Grundstimmung kommt von innen, aus einem Gefühl heraus. Die Struktur und der Plot entstehen durch viel Nachdenken und Excel-Tabellen. Die Figuren dagegen kommen oft von außen. Ich höre irgendwo einen Gesprächsfetzen oder erinnere mich an etwas, das jemand vor zwanzig Jahren gesagt hat.

Hast du feste Arbeitsabläufe, wenn du an einem Roman sitzt?

Wenn ich Termine habe, kopiere ich mir manchmal den Text in die Handy-Notizen, damit ich von unterwegs weiter darüber nachdenken kann. Am liebsten arbeite ich in Frühstücksräumen von Hotels. Meistens aber zu Hause oder spätabends im Büro. Also eher keine feste Routine, aber ein gewisses Muster gibt es schon.

Wie hältst du es während des Schreibprozesses: Liest du dann keine anderen Bücher, um dich nicht beeinflussen zu lassen, oder liest du dann gerade, um dir Inspiration zu holen?

Ich lese eigentlich nicht, wenn ich schreibe. Es beeinflusst mich zu sehr und ich könnte komplett falsch abbiegen. Nur ein Roman lag beim Schreiben oft neben mir: „Der Hund“ von Akiz. Obwohl die Geschichte eine ganz andere ist, hat seine Atmosphäre mich immer wieder in meine eigene zurückgebracht.

Welches war der schönste Teil bei der Entstehung des Buches? Und welcher der schlimmste?

Der Anfang ist der schlimmste, weil man nicht weiß, ob man es wirklich durchzieht. Der mittlere Teil ist auch hart. Es ist alles noch sehr unbefriedigend. Das Highlight des Tages ist, einen richtig geilen Satz geschrieben zu haben, aber man steckt schon zu tief drin, um aufzuhören. Das Schönste ist der Endspurt, wenn sich endlich alle Puzzleteile fügen. Ab da mag ich alles. Ich mag sogar das Lektorat und die endlosen Diskussionen über Titel und Cover.

Sara Gmuer: „Ich tausche mich gerne aus“ 

Was war bei „Achtzehnter Stock“ der schwierigste Teil des Buches und warum?

Wahrscheinlich das Ende. Ich wusste, in welche Richtung es gehen soll, aber ich musste viel spazieren gehen, um auf das Ende zu kommen. Als ich es dann hatte, war ich sehr erleichtert.

Lernst du dich beim Schreiben selbst noch mal von einer neuen Seite kennen?

Nein, das eigentlich nicht, aber ich lerne beim Schreiben viel über die Welt und über Menschen. Ich recherchiere und denke viel nach. Der Text sollte immer klüger sein als die Autorin. Andersrum würde es mich langweilen.

Auf deinem Insta-Account hast du gepostet, Schreiben sei sehr einsam und dass du das grundsätzlich nicht schlimm findest, dir manchmal trotzdem Leute zum Austausch gewünscht hättest. Warum?

Beim Schreiben von „Achtzehnter Stock“ gab es Tage, an denen ich mit keiner erwachsenen Person geredet habe. Auf Dauer ist das wahrscheinlich nicht so gut. Ich tausche mich gerne aus, manchmal braucht es einfach eine andere Perspektive. Oft reicht es schon, laut über eine Szene zu sprechen, und plötzlich macht alles Sinn.

Hast du solche Leute mittlerweile?

Richtig gute sogar. Seit ich meine Literaturagentin Julia Dösch habe, hat sich vieles verändert.

Um solche Leute zu finden, hast du auch einen Literatur-Wochenendkurs an der Volkshochschule belegt. Beim Vorlesen der ersten Seiten deines Manuskripts bist du von der Kursleiterin heftig kritisiert worden. Was ist da in dir vorgegangen?

Ich lerne beim Schreiben viel über die Welt und über Menschen

Sara Gmuer 

Ich hatte die Passage im Krankenhaus mit der Hirnhautentzündung vorgelesen, die auf einer eigenen Erfahrung basiert und sie meinte, das sei völlig unrealistisch, keine Mutter wäre so dumm. Ihre Kritik traf mich sehr, denn sie kritisierte mich nicht als Autorin, sondern als Mutter.

Hatte dieser Vorfall Einfluss auf das Buch?

Es hat mich auf jeden Fall bestärkt, es ihr zu zeigen. Also nicht ihr persönlich, sondern allen, für die sie stellvertretend steht. Und ich habe die Krankenhausszene weiter nach hinten geschoben, sie besser eingebettet und mehr Kontext gegeben. Vielleicht war’s also doch für was gut.

Schreiben tut der Psyche gut 

Was hast du an diesem Literatur-Wochenendkurs gelernt?

Dass es nicht meine Welt ist.

Hat Schreiben für dich etwas Therapeutisches?

Ich kann durch das Schreiben Sachen denken und sagen, für die ich in meinem Alltag keinen Platz habe. Das tut meiner Psyche bestimmt gut. Und über die Sache mit der Hirnhautentzündung zu schreiben, war auf jeden Fall auch therapeutisch.

In einem Insta-Post von dir heißt es: „Ich musste Tausende von Seiten schreiben, um zweihundert zu bekommen.“ Ich nehme mal an, dass das annähernd stimmt. Wie schwer fällt es dir, mit dem Umstand umzugehen, dass man immer auch „für die Tonne“ schreibt?

Die „Tonne“ ist bei mir ein Ordner, und ich rede mir ein, dass ich das irgendwann doch noch verwenden kann. In Wirklichkeit ist es aber wahrscheinlich wie mit Klamotten: Wenn etwas einmal ganz hinten im Schrank liegt, wird es meistens nichts mehr.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 03/2025 erschienen.

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