Sarah Morris in den Deichtorhallen: Viel mehr als Fassaden

Die Farbwunderwelten der New Yorker Künstlerin Sarah Morris erzählen in der Halle für aktuelle Kunst von Meta-Citys und der Gegenwart
Portrait der Künstlerin Sarah Morris (©Anna Gaskell)
Portrait der Künstlerin Sarah Morris (©Anna Gaskell)

Im Herzen der Arbeit von Sarah Morris siedelt Ambivalenz. Und diese Ambivalenz ist vielleicht das eigentliche Thema der 1967 geborenen, in New York lebenden Künstlerin: die unklare, aber abgründige Nachbarschaft von Komplizenschaft und Kritik. Ihre abstrahierenden, meist großformatigen quadratischen Bilder mit ihren farbenfrohen und geometrischen Formen sind schillernd, makellos, wunderschön. Glamouröse Hochglanzlack-Gemälde, die längst zu begehrten Kunstmarkttrophäen geworden sind.

Dem steht ihr sezierender Blick auf die Gesellschaft gegenüber: auf die Macht der Konzerne, die Kälte der Großstädte, die Perversionen des Kunstbetriebs. Konkret wird diese Kritik in ihren Interview-Äußerungen, aber auch in ihren filmischen Essays. Entstanden mitunter als Auftragsarbeiten – wie etwa für das Pariser Museum des Luxuskonzerns LVMH – gehen diese in Distanz zu einer Welt, als deren Komplizin sich Morris weiß. Mit kurzen, schnellen Sequenzen dokumentarischer Aufnahmen – unterlegt mit der hypnotischen Musik ihres Ex-Mannes, des britischen Künstlers Liam Gillick – porträtieren sie meist die ästhetischen und sozialen Atmosphären von Städten wie New York, L.A., Las Vegas oder Washington.

„Jockey Club Brasileiro Rio“ aus dem Jahr 2014 (©Sarah Morris)
„Jockey Club Brasileiro Rio“ aus dem Jahr 2014 (©Sarah Morris)

Eine Farbwunderwelt für die Deichtorhallen

Morris’ Farbwunderwelten machen sich optisch großartig in den blitzblanken Deichtorhallen, in denen derzeit ihre bislang größte Überblicksschau stattfindet. Eine offene Ausstellungsstruktur schafft mitten in der Halle eine Art Plaza, auf der sich ihre Städteserien zu einem Konvent der Farben und Strukturen treffen. Dieser Meta-Megacity unterlegt eine ihrer frühesten Arbeiten einen dunklen Sound: ein Funkgerät, aus dem sie 1992 in einer Ausstellung live den aktuellen New Yorker Polizeifunk schallen ließ.

Ihre fünfzehn Filme wirken in sich widerständiger. Sie fressen Gegenwart förmlich in sich hinein. Mit ihren schnellen Schnitten unterwirft Morris die Bilder des Kapitals und der Macht ihrem Rhythmus und vermittelt zugleich etwas von der dynamischen Gewaltsamkeit der gesellschaftlichen Maschinerie.

Sarah Morris scheint immer schon in zwei Welten verhaftet gewesen zu sein. Ihre Mutter liebte es zu malen, ihr Vater war Wissenschaftler. Sie selbst hat nie Malerei, dafür aber Semiotik studiert und sich sehr für politische Philosophie interessiert. Aber sie hat auch als Assistentin von Jeff Koons gearbeitet. Und das in der Zeit, als der Meister der Glätte an seinem Cicciolina-Opus arbeitete.

„Angel Origami“ von Sarah Morris (©Sarah Morris)
„Angel Origami“ von Sarah Morris (©Sarah Morris)

„All Systems Fail“ in der Halle für aktuelle Kunst

Anfang der 1990er-Jahre bezog sie ein Atelier in der 42. Straße nahe dem Times Square. Sie mochte diese Gegend, in der billiges Amüsement, das Gewimmel um den Port Authority Busbahnhof und spiegelglatte Konzerngebäude aufeinander trafen. Die erbarmungslose Schönheit dieser Fassaden verdichtet „Midtown“, die erste ihrer Städteserien. Morris konzentriert das Spektakel des Urbanen in den Gitterstrukturen und, wenn man mag, kann man die Netzwerke der Macht hinter ihnen als ihr eigentliches Skelett aufscheinen sehen.

Der Ausstellungstitel „All Systems Fail“ lässt sich nicht nur auf die kriselnde politisch-soziale Realität beziehen, sondern auch auf Morris’ eigenes System und die Frage, ob der Glätte, Perfektion und Schönheit ihrer Bilder ihre macht- und kapitalismuskritische Haltung hinreichend eingeschrieben ist. Da scheint etwas in Bewegung zu sein: In ihren neueren Serien hat sie sich von den menschengemachten, immer weitgehend konformistischen Zivilisationsballungen abgewandt und dafür die Strukturen kosmologischer (die Lunar-Serie) oder biologischer (die Spiderweb-Serie) Systeme ins Bild gesetzt. Und bei den Filmen „Robert Towne“ (mit dem gleichnamigen Hollywood-Autor) oder „Finite and Infinite Games“ (mit dem Filmemacher Alexander Kluge) hat sie die Offenheit der musikunterlegten Bilder durch eindeutigere Dialogstrukturen ersetzt.

Sarah Morris: All Systems Fail. Bis 20. August 2023, Halle für aktuelle Kunst / Deichtorhallen Tipp: Am 7. Juli um 19 Uhr gibt es ein Gespräch zwischen der Künstlerin und der Kunstkritikerin Isabelle Graw

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 06/2023 erschienen.

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