SZENE HAMBURG: Frau Möckel-Schindler, es ist Dienstagnachmittag, gleich – von 16 bis 18 Uhr – findet das nächste offene Treffen der Schatzkiste statt. Welche Vorbereitungen treffen Sie dafür?
Kerstin Möckel-Schindler: Mein Kollege und ich bereiten den Raum vor, damit die Schatzkiste in einer guten Atmosphäre stattfinden kann: Es gibt was zu trinken und zu knabbern, die Musik- und Karaokeanlage steht bereit. Wenn wir mit allem fertig sind, begrüßen wir die Teilnehmer:innen – einige stehen gerade auch schon draußen und warten auf Einlass.
Es herrscht einfach viel Einsamkeit bei Menschen mit Beeinträchtigungen
Kerstin Möckel-Schindler von der Schatzkiste im Beratungszentrum Alsterdorf
Wie viele Menschen nutzen das Angebot der Schatzkiste derzeit?
Wir schauen immer, dass es nicht mehr als zwanzig sind, weil der Raum nicht mehr hergibt. Es bedarf eigentlich keiner Anmeldung, allerdings erleben wir – speziell nach den Corona-Pausen – einen Ansturm und mussten irgendwann auch auf Anmeldungen umstellen. Wir haben eine Stammbesetzung beim Treff, einige Menschen kommen schon seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten. Einige Plätze halten wir aber für neue Teilnehmer frei. Wir wollen ja niemanden wegschicken. Die Menschen kommen auch von überall her, nicht bloß aus Hamburg, sondern auch aus Niedersachsen und hoch bis zur Schlei. Der Bedarf ist riesig und nicht ansatzweise abgedeckt, auch wenn es Schatzkisten deutschlandweit gibt. Es herrscht einfach viel Einsamkeit bei Menschen mit Beeinträchtigungen. Da besteht auch nicht immer der Wunsch nach einer Partnerin oder einem Partner, sondern manchmal auch einfach nach Gesellschaft.
Von der Karteikarte zum Date
Wenn der Treff dann startet, gibt es Routinen im Ablauf?
Wir begrüßen zuerst alle Menschen, und dann bedienen sie sich selbst, holen sich Getränke und gehen an ihre Plätze. Ein Ritual ist, dass wir sie fragen, wie ihre Woche bisher war und ob jemand etwas erzählen möchte. Ich frage auch in die Runde, ob es ein Thema gibt, das in der Gruppe besprochen werden soll. Neulich hat ein junger Mann gefragt, ob man eine Frau kitzeln darf, wenn man mit ihr tanzt. Die Frage gebe ich dann weiter in die Gruppe. Es gibt aber auch eine Dynamik unter den Menschen, die sich teils schon lange kennen, und dann sprechen sie einfach untereinander. Spannend ist, wenn jemand Neues dazu kommt. Dann finden es immer alle toll zu erklären, wie die Schatzkiste so funktioniert und wie das mit der Karteikarte geht. Und am Ende wird immer getanzt, manchmal auch Karaoke gesungen.
Sie sprechen von „der Karteikarte“. Was hat es damit auf sich?
Wir haben eine Karteikarte, die ist geschützt auf dem Server der Datenbank Alsterdorf. Um eine Karteikarte anzulegen, kommen die Menschen zu uns, und ich führe dann ein Interview mit ihnen. Wir haben einen Aufnahmebogen, mit dem bestimmte Sachen abgefragt werden: Alter, Größe, Vorlieben, was man gerne macht in der Freizeit, wie man sich sieht als Mensch und welchen Menschen man sich wünscht. Auch: Hat man schon Beziehungserfahrung? Besteht ein Kinderwunsch? Besteht ein Wunsch nach Sexualität? Oder nur nach Kuscheln? Gibt es eine Beeinträchtigung, die an der Partnerin oder an dem Partner nicht gewünscht ist? Wenn der Bogen ausgefüllt ist, ist das für viele schon ein großer Schritt und sie finden das ganz toll – weil sie in die Handlung gegangen sind. Auch wenn keine Vermittlung zustande kommt, empfinden sie das Aktivwerden als Erleichterung. Mittlerweile haben wir zwei prall gefüllte Ordner mit Aufnahmebögen, die durchgeschaut werden können. Wir bieten übrigens auch an, das erste Treffen in der Schatzkiste stattfinden zu lassen. Dies hat den Vorteil, dass es ein geschützter Ort ist und wir gegebenenfalls begleitend oder beratend zur Seite stehen können.
Wenn Sie auf die bisherigen offenen Treffs und Vermittlungen zurückblicken, welche haben Sie in besonders schöner Erinnerung?
Zum Beispiel, als wir zuletzt den Valentinstag gefeiert haben, das war eine wirklich gute Stimmung. Auch als ich mein erstes Date vermittelt habe und vor Freude grinsend mit dem Fahrrad nach Hause geradelt bin. Und als mal zwei Menschen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie zusammenfinden würden, sich bei einem Treff vor die Gruppe gestellt und gesagt haben: „Wir sind jetzt ein Paar!“ Das war großartig. Generell ist es eine wunderbare Arbeit, die sehr viel Spaß macht.
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 06/2023 erschienen.