SZENE HAMBURG: Ksenija Bekeris, Ihr erstes Jahr als Schulsenatorin in Hamburg ist um. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Ksenija Bekeris: Durchaus positiv: Wir konnten in diesem Jahr einiges auf den Weg bringen. Besonders wichtig ist mir das Startchancenprogramm, das mit Beginn dieses Schuljahres an den Start ging und jetzt richtig Fahrt aufnimmt. Am Ende werden wir mit dem Programm pro Schuljahr rund 100 Millionen Euro in die 90 teilnehmenden Schulen investieren – davon allein 75 Millionen aus Landesmitteln, inklusive 10 Millionen Euro, die wir zusätzlich im Hamburger Haushalt einwerben konnten. Damit haben wir die vom Bund vorgeschriebenen 21,6 Millionen Euro aus Landesmitteln sogar um ein Vielfaches übertroffen. Weitere 21,6 Millionen Euro kommen direkt vom Bund. Ich bin zuversichtlich, dass wir damit einen großen Schritt in Richtung Bildungsgerechtigkeit machen können.
Wie lange haben Sie gebraucht, um sich in Ihr Amt einzuarbeiten?
Viel Schonzeit gab es für mich nicht. Direkt nach meinem Amtsantritt im Januar standen wichtige Entscheidungen an – sowohl für Hamburg als auch für die Bundesrepublik. Das Startchancenprogramm wurde auf den Weg gebracht, der Digitalpakt 2.0 wurde vorbereitet, das Schulgesetz angepasst, und Informatik als Pflichtfach eingeführt. Zusätzlich haben wir große Pläne für den Schulbau. Es ist wirklich intensiv, aber ich habe das Glück, dass in der Schulbehörde unglaublich kompetente Menschen arbeiten, die mich von Anfang an unterstützt haben. Dadurch habe ich nie das Gefühl, allein zu sein. Jetzt, nach fast einem Jahr, kann ich wirklich sagen: Ich arbeite sehr gerne hier!
Ksenija Bekeris möchte Akzente setzen
Hat Ihnen Ihre berufliche Erfahrung in der Lehrbegleitung an einer Gesamtschule, bei der Sprachförderung von Kindern und als Berufsschullehrerin in Ihrem neuen Amt helfen können?
Absolut! Politikerinnen und Politiker müssen sich zwar in jedes Thema einarbeiten können, aber es hilft enorm, wenn man – wie ich – schon einmal selbst vor einer Klasse gestanden hat. Das gibt mir eine andere Perspektive auf die Herausforderungen des Schulalltags und prägt natürlich auch mein politisches Handeln. Außerdem verbindet meine berufliche Erfahrung die beiden großen Bereiche der Schulbehörde: Schule und Berufsbildung. Das macht meine Entscheidungen, denke ich, authentischer.
Welche Akzente in Ihrem neuen Amt haben Sie aus Ihrer Sicht schon setzen, was haben Sie anstoßen können?
Mein Herzensthema ist und bleibt die Bildungsgerechtigkeit. Für den Bildungserfolg darf es in unserer Gesellschaft nicht davon abhängen, ob ein Kind reiche oder arme Eltern hat. Hamburg ist hier schon auf einem guten Weg, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Mit dem Startchancenprogramm gehen wir in die richtige Richtung. Wir machen Schulen zu multiprofessionellen Lernstätten, in denen nicht nur Lehrkräfte, sondern auch pädagogisch therapeutisches Fachpersonal, Sozialpädagoginnen und -pädagogen oder auch Erzieherinnen und Erzieher tätig sind. Besonders freue ich mich, dass wir im Rahmen des Programms die Schulsozialarbeit ausbauen konnten – das war eines meiner wichtigsten Vorhaben. Wir haben allein dafür 102 neue Stellen geschaffen und jährlich 7,2 Millionen Euro reserviert.
Ein weiterer Schwerpunkt, den ich setzen möchte, ist die Demokratiebildung. Angesichts der weltweiten Entwicklungen mache ich mir Sorgen um den Erhalt demokratischen Denkens und Handelns. Die Schule ist der Ort, an dem Demokratie verstanden und gelebt werden muss, damit unsere Gesellschaft auch in Zukunft friedlich zusammenlebt.
Die Schulsenatorin über ihren Vorgänger Ties Rabe
Ein Steckenpferd Ihres Vorgängers Ties Rabe war Hamburgs Aufstieg im Bildungsranking. Im Bildungsmonitor der Bundesländer erreichte Hamburg 2024 laut Statista Rang drei. Was ist nötig, damit Hamburg im Vergleich der Bundesländer in der Schulbildung weiterhin vorne mit dabei ist?
Ties Rabe hat hier eine klare Linie vorgegeben: der Fokus auf Kernkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Daran müssen wir anknüpfen. Zusätzlich sehe ich aber auch die Übergänge als zentrale Baustelle – sei es zwischen Kita und Schule, Grundschule und weiterführender Schule oder später in den Beruf. Hier können wir noch besser werden, um Schülerinnen und Schüler optimal auf den nächsten Schritt vorzubereiten.
Ties Rabe war es sehr wichtig, regelmäßig die Lernstände der Schülerinnen und Schüler durch Klausuren und Klassenarbeiten zu erheben. Vertreten Sie diesen Standpunkt auch?
Hier gibt es keine zwei Meinungen. Die regelmäßigen Lernstandserhebungen, die wir auch durch unser Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung durchführen, sind ein unverzichtbares Instrument. Sie sind nicht nur Grundlage, um Maßnahmen zur Verbesserung der Schülerleistungen einzuführen, sondern auch, um ihre Wirkung zu überprüfen. Nur so können wir sicherstellen, dass die eingesetzten Ressourcen – und hier sprechen wir auch von Steuergeldern – zielgerichtet eingesetzt werden.
Können Sie konkretisieren, was für Sie Leistung bedeutet und wie wichtig für Sie der Leistungsbegriff ist?
Das hängt davon ab, wie wir „Leistung“ definieren. Wenn Leistung bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler Kompetenzen erlangen, die sie für ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben benötigen, dann bin ich klar für Leistung – und das darf auch mal anstrengend sein. Ein solcher Leistungsbegriff kann sehr motivierend sein, weil er sinnstiftend ist. Problematisch wird es, wenn Leistung zum Selbstzweck verkommt, ohne Bezug zur Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler. In solchen Fällen halte ich Leistung nicht nur für nutzlos, sondern sogar für hinderlich. Leistung sollte immer dazu beitragen, Kinder und Jugendliche zu stärken, nicht sie zu belasten.
Die regelmäßigen Lernstandserhebungen (…) sind ein unverzichtbares Instrument.
Schulsenatorin Ksenija Bekeris
Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler in Hamburg steigt
Durch den völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands in der Ukraine mussten viele ukrainische Kinder auch in Hamburg ins Schulsystem integriert werden. Wie groß ist die Herausforderung aktuell?
In den letzten Jahren ist in Hamburg die Anzahl der Schülerinnen und Schüler nicht nur durch die geburtenstarken Jahrgänge der 2010er-Jahre angestiegen, sondern auch durch die vielen Krisenherde in der Welt, durch die vermehrt flüchtende Menschen und damit auch Kinder und Jugendliche in die Stadt gekommen sind. Durch beides konnten wir jedes Jahr neue Rekordzahlen beim Schülerinnenwachstum vermelden. Das ist eigentlich erstmal eine gute Nachricht, denn wir brauchen junge Menschen für die Zukunft der Stadt, die Gesellschaft und nicht zuletzt die Wirtschaft.
Unser System von Willkommensklassen hat sich bei der Aufnahme von geflüchteten Kindern als sehr effektiv erwiesen. Kinder und Jugendliche, die neu nach Hamburg kommen und noch kein Deutsch sprechen, werden in altersgerechten Vorbereitungsklassen eingeschult. Dort lernen sie Deutsch und werden auf den Übergang in Regelklassen vorbereitet – in der Regel nach etwa einem Jahr. Das klappt in Hamburg bemerkenswert gut. Die größte Herausforderung liegt momentan bei den vielen Kindern, die schon im System sind. Der Übergang in die Regelklassen muss so organisiert werden, dass alle einen angemessenen Platz finden – ohne die Klassenfrequenzen zu erhöhen. Das erfordert mehr Personal, mehr Räume und eine gute Planung. Noch bewältigen wir das gut, aber die Situation bleibt angespannt.
„Viele Lehrkräfte empfinden ihren Job als extrem sinnstiftend“
Wie sehen Sie das Thema Lehrermangel und wie steht Hamburg hier aus Ihrer Sicht im bundesweiten Vergleich da?
Das ist für Hamburg ein erfreuliches Thema. Wir schaffen es, nach wie vor genügend Lehrpersonal anzuziehen und können unsere Bedarfe immer noch decken. Das liegt auch daran, dass wir frühzeitig vorgesorgt haben und zum Beispiel die Anzahl der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (früher Referendariat) ausgebaut haben und so zum Teil selbst für den Nachwuchs sorgen. Noch vor ein paar Jahren hatte Hamburg nur etwa 850 Stellen für neue Lehrkräfte. Momentan absolvieren etwas 1.350 angehende Lehrkräfte ihren Vorbereitungsdienst. Zudem haben Hamburgs Schulen bundesweit einen guten Ruf, was uns hilft, jedes Jahr ausreichend Bewerbungen zu erhalten. Hamburg braucht jährlich rund 900 neue Lehrkräfte, um die steigenden Schülerzahlen, Pensionierungen und Zuwanderung aufzufangen. Diese Herausforderung meistern wir bisher erfolgreich.
Problematisch wird es, wenn Leistung zum Selbstzweck verkommt, ohne Bezug zur Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler
Schulsenatorin Ksenija Bekeris
Wenn man sich die Belastungen der Lehrerkräfte ansieht: Was spricht aus Ihrer Sicht gleichwohl dafür, den Beruf der Lehrerin oder des Lehrers zu ergreifen?
Natürlich, der Beruf bringt Herausforderungen mit sich – das ist keine Frage. Aber das ist ja nichts, was nur für den Lehrberuf gilt. Unsere Welt wird immer komplexer, und das spiegelt sich in fast jedem Job wider. Trotzdem ist Lehrerin oder Lehrer für mich einer der schönsten Berufe, die es gibt. Warum? Weil man unmittelbar die Zukunft mitgestaltet. Man hilft jungen Menschen, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, Wissen zu erlangen und ihre Persönlichkeit zu formen. Das sind Dinge, die langfristig einen großen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Viele Lehrkräfte empfinden ihren Job als extrem sinnstiftend, weil sie junge Menschen unterstützen, ihre Träume zu verwirklichen. Außerdem ist kein Tag wie der andere. Es gibt so viel Abwechslung, so viele verschiedene Begegnungen – das ist einfach spannend.
Und dann gibt es auch ganz pragmatische Gründe: Der Lehrberuf bietet nach wie vor sichere Perspektiven und ist gut mit der Familienplanung vereinbar. Deswegen kann ich nur jedem und jeder ans Herz legen, diesen Beruf ernsthaft in Betracht zu ziehen.
Ksenija Bekeris zur Schulbauoffensive
Zum Thema Schulbauoffensive: Welche finanziellen Anstrengungen wird Hamburg in den kommenden Jahren unternehmen, um weiterhin in neue Schulen zu investieren und welche Rolle spielt die Renovierung bereits bestehender Schulen?
Hamburg nimmt seit Jahren viel Geld in die Hand, um neue Schulen zu bauen, alte Schulen zu sanieren und viele Gebäude zu renovieren. Insgesamt investieren wir rund 400 bis 500 Millionen Euro in den Schulbau pro Jahr. Das lohnt sich: Hamburg hat bundesweit wahrscheinlich die modernsten Schulgebäude. Das machen wir auch, weil wir wissen, dass Bildung gute Räume braucht, weil sich der Unterricht seit dem Bau vieler unserer Schulgebäude gewandelt hat und die althergebrachte Schul-Architektur zum Teil nicht mehr den Ansprüchen an moderne Pädagogik gerecht wird. Hinzukommt, dass Hamburg den Ganztag massiv ausgebaut hat und sich also die Ansprüche an die Räumlichkeiten komplett geändert haben. Nicht zuletzt deswegen haben wir in weit mehr als drei Vierteln aller Hamburger Schulen bereits Baumaßnahmen durchgeführt oder werden diese noch durchführen. Bis zum Ende der Dekade wird Hamburg weit mehr als 10 Milliarden Euro in seine Schulgebäude gesteckt haben. Bis dahin wird Hamburg bis zu 44 Schulen neugebaut und über 120 Schulen erweitert oder ausgebaut haben.
Hamburg hat bundesweit wahrscheinlich die modernsten Schulgebäude
Schulsenatorin Ksenija Bekeris
Übrigens, Schulen müssen nicht die langweiligen Zweckbauten sein, die man sich so vorstellt. Im Gegenteil: mehr als 23 Hamburger Neubauten wurden bereits mit Architekturpreisen ausgezeichnet. So hat unlängst der Neubau der Grundschule Baakenhafen in der Hafencity den Architektur Preis 2024 des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) verliehen bekommen. Sie sehen, Hamburg darf mit Recht stolz auf den Schulbau sein.
Struensee-Campus verzögert sich
Die Fertigstellung des Struensee-Campus verzögert sich. Die Dreifeld-Sporthalle soll erst 2026 fertiggestellt sein, bis 2027 finden noch Maßnahmen der Deutschen Bahn für einen neuen Zugang zur Haltestelle Königstraße statt. Können Sie den Ärger der Eltern und die Kritik der Opposition diesbezüglich verstehen?
Den Ärger der Eltern kann ich verstehen. Mich nerven die Verzögerungen auch. Wer schon einmal gebaut hat, weiß, wie oft etwas anders läuft als geplant. Insofern ist es bemerkenswert, mit welcher Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit wir in Hamburg Schulen bauen. Beim Struensee-Campus handelt es sich nun um ein sehr ambitioniertes Bauvorhaben, noch dazu in einem komplizierten Baufeld, das sich zudem in unmittelbarer Nähe eines S-Bahntunnels befindet. Aus Sicherheitsgründen musste deswegen der Bau aufwendig mit der Deutschen Bahn abgestimmt werden. Einige Unwägbarkeiten waren bei der ursprünglichen Planung so nicht unbedingt vorhersehbar, haben aber letztendlich zu den Verzögerungen geführt.
Auch wenn das mehr als unbefriedigend ist, wollen wir am Ende gute und sichere Schulgebäude haben. Immerhin wird der Struensee-Campus einer der größten der Stadt. Nach Fertigstellung soll er drei Schulen beherbergen: die Ganztagsschule an der Elbe, das Struensee-Gymnasium sowie das Deutsch-Französische-Gymnasium. Ich bin mir sicher, dass der Campus trotz der jetzigen Herausforderungen zu einem Vorzeigeprojekt wird. Und das stimmt mich zuversichtlich, auch wenn ich die Verzögerungen weiterhin ärgerlich finde.
Die Aufgaben für das Amt werden nicht kleiner
Ein weiteres Thema zu Anfang dieses Schuljahres waren die sogenannten Elterntaxis. Also Eltern, die ihre Kinder selbst bis vor die Schule bringen und unter anderem für Staus sorgen. Gibt es bereits konkrete Maßnahmen, um diesem Problem zu begegnen?
Es gibt leider keine Patentlösung für alle Schulen. Wir stehen im engen Austausch mit der Verkehrs- und der Innenbehörde und betrachten die Gegebenheiten vor Ort. Für manche Schulen können Schulstraßen, die während der Hol- und Bringzeiten gesperrt werden, eine Lösung sein. Aber das funktioniert nicht überall, etwa nicht an Hauptverkehrsstraßen.
Daher setzen wir auf eine Kombination aus Maßnahmen: Aufklärungskampagnen, Verkehrserziehung und Appelle an die Eltern gehören dazu. Zudem haben wir mit dem kostenlosen Deutschlandticket für Schülerinnen und Schüler ein starkes Argument gegen das Elterntaxi geschaffen. Die Statistik zeigt übrigens, dass Kinder am sichersten unterwegs sind, wenn sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kommen – das ist auch gesünder und stressfreier. Ich möchte daher alle Eltern ermutigen, diesen Weg zu gehen.
Zum Abschluss: Wie optimistisch sind Sie, das Amt der Schulsenatorin auch nach der Wahl in Hamburg ausüben zu können? Und was sind Ihre wichtigsten Ziele?
Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler – und am Ende der Bürgermeister. Dem will ich nicht vorgreifen. In der kurzen Zeit, die ich im Amt bin, haben wir bereits einiges bewegen können. Aber ich sehe auch, wie viel noch zu tun ist: von der Digitalisierung über den Schulbau bis hin zur Bildungsgerechtigkeit.
Unabhängig von meiner Person sehe ich die Aufgaben für die nächste Schulsenatorin oder den nächsten Schulsenator nicht kleiner werden, eher im Gegenteil. Hamburgs Bildungssystem hat große Potenziale. Ich kann für mich sagen, dass ich die Aufgabe nicht scheue und freue mich, wenn ich dem nächsten Senat wieder als Schulsenatorin angehören darf.
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG SCHULE 2025 erschienen.