David Foster Wallace war Mathematikgenie, Tennis-Ass, Hochschullehrer und Autor. 2008 nahm er sich im Alter von 46 Jahren das Leben. Seine Erzählung „Neon in alter Vertrautheit“ bringt Thalia-Schauspieler Sebastian Zimmler nun auf die Bühne an der Gaußstraße
Text: Dagmar Ellen Fischer
SZENE HAMBURG: „Neon“ erzählt vom Selbstmörder Neal, der einen Abschiedsbrief nach (!) seinem Tod schreibt und darin gesteht, dass er zeitlebens ein Heuchler war, immer gierig nach Bewunderung und dem Applaus der anderen. Warum dieser Text jetzt?
Sebastian Zimmler: Als ich „Neon“ das erste Mal las, hatte ich sofort (Theater-) Bilder im Kopf. Ich sah den Protagonisten dieser Story als eine Art Alter Ego: einen Spieler, der auf der Bühne steht und viel Zeit und Mühe investiert, um vor anderen als beeindruckend und „authentisch“ dazustehen, daran aber schmerzvoll scheitert. Mit diesem Stoff hatte ich vor längerer Zeit ans Intendantenbüro geklopft, aber erst die Pandemie öffnete mir dieses Jahr die Tür zur Studiobühne.
Rechnen Sie damit, dass das Publikum den Autor und seine Bedeutung kennt?
Ich kenne tatsächlich nur wenige Menschen, die ihn gelesen haben, dennoch ist er längst kein Geheimtipp mehr. Und wenn ich den Text zum Anlass nehme, die Figur des Heuchlers zu performen, sollte das natürlich auch exklusiv, ohne Hintergrund von Werk und Autor, funktionieren.
David Forster Wallace und die Intimität
In „Neon“ geht es um einen Selbstmörder, es gibt also diese Parallele zum Leben des Autors. Wie gehen Sie damit um?
Auch wenn für mich der Suizid von David Foster Wallace in dieser Erzählung eine Gänsehaut verursachende Präsenz hat, ist es mir doch wichtig, zwischen Werk und Biografie des Autors zu unterscheiden. Das Geschriebene ist groß und stark und bedarf gewissermaßen keiner Perspektivierung auf den Autor.
Wie würden Sie den eigenen Maßstab formulieren, dem Autor mit dieser Inszenierung gerecht zu werden?
Ich bin ein großer David-Foster-Wallace-Fan und habe alle seine Bücher gelesen. Sie haben mich geprägt, verändert und mein Schaffen als Schauspieler beeinflusst. Ich würde gerne so spielen können, wie er geschrieben hat: eine Intimität herstellend, der man sich schwer entziehen kann und die so unterhaltsam ist und doch immer ernsthaft, moralisch aufgeladen und stets unironisch.
In „Neon“ heißt es: „In Wahrheit ist das Sterben nicht schlimm; es dauert nur ewig lange. Und ewig nimmt keine Zeit in Anspruch.“ Kommentieren Sie solche Sätze durch Ihr Spiel?
Es geht um die Behauptung, „dass die Nano-Sekunde zwischen dem Eintreten des klinischen Todes und ‚dem, was danach passiert‘, in Wirklichkeit unendlich ausgedehnt ist“. Den Gedanken, dass die Zeit in Wirklichkeit nicht entlang einer Geraden verläuft, muss ich als Spieler zunächst gar nicht kommentieren. Ihn zu denken, ist schon schwer genug.
Nähe und Gleichzeitigkeit durch Projektion
Sie arbeiten mit Projektionen, welche Funktion erfüllen sie?
Die Projektionen sollen helfen, eine Nähe und Gleichzeitigkeit zu erzeugen, in der Vergangenheit und Zukunft Illusionen der Gegenwart sind. Wenn man so will, eine Art Doppelbelichtung und auch eine Lupe, unter der wir den Blender sehen.
Dass Texte – oder Kunst allgemein – aus eigenem persönlichem Leiden geboren werden, würde der Autor vermutlich nicht gelten lassen, wie schauen Sie auf dessen schriftstellerisches Werk unter diesem Aspekt?
Seinen hyperempfindlichen Sinn für Bilder, in denen lässiges Beobachten und äußerste Verletzbarkeit zusammenfließen, finde ich phänomenal. Ich sehe David Foster Wallace auf einer Linie mit Balzac und Dostojewski!
„Neon in alter Vertrautheit“, Thalia Gaußstraße, 12. November 2021 (Uraufführung), 24. November und weitere Termine
Hier gibt’s den Trailer zu „Neon in alter Vertrautheit“:
https://www.youtube.com/watch?v=7RSto_STBRw
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