St. Pauli ist für viele ein geflügeltes Wort. Ein Ort der Sünde und Sehnsucht. Doch was denken die Menschen, die da wohnen, leben und arbeiten über ihren Kiez? Gespräche mit sechs St. Paulianerinnen und St. Paulianern in den Stunden, in denen sich das Viertel in eine Feiermeile verwandelt. Zweiter Teil: die bürgernahe Beamtin Margot Pfeiffer & Julia Staron/ Lars Schütze vom BID
Auszug aus unserer Titelgeschichte „Kiez. Zwischen Abscheu & Hoffnung“, erschienen im August 2017. Text: Sara Lisa Schäubli / Fotos: Philipp Jung
21 Uhr: Bürgernahe Beamtin Margot Pfeiffer
Freitagabends dreht die Polizeibeamtin Margot Pfeiffer gern noch eine Runde auf St. Pauli, um sich den Beginn des Nachtlebens anzuschauen. Ihr Reviergebiet umfasst 0,9 Quadratkilometer. Seit 1983 ist Margot Pfeiffer hier auf den Straßen unterwegs. Sie kennt keine andere Wache als das PK 15, besser bekannt als Davidwache. „Und es war mir noch keinen Tag langweilig“, sagt sie und lacht.
„St. Pauli hat eine lange Geschichte als sozial schwacher Stadtteil, das verbindet. Niemand guckt doof, wenn ein Transvestit über die Straße geht, und es gibt kreative Proteste wie im Falle der Esso-Häuser. St. Pauli lebt“, sagt Pfeiffer.
Beim Schlagermove kriegt sie Komplimente für ihr Outfit
Als eine von vier bürgernahen Beamten ist es ihre Aufgabe, präventiv tätig zu werden, bevor es knallt. Dazu gehören ganz viel Reden und ganz viel Zuhören. „Es ist wichtig, ansprechbar für die Bevölkerung zu bleiben“, sagt sie. Dass ihr jemand von der anderen Straßenseite oder aus einem Ladeneingang einen Gruß zuruft, passiert ständig. „Ich genieße eine gewisse Akzeptanz im Stadtteil“, sagt sie diplomatisch, „na ja, wer seit 34 Jahren hier ist und immer noch freundlich gegrüßt wird, kann nicht alles falsch gemacht haben.“
Die Uniform hat bei den Touristen auch schon für kuriose Situationen gesorgt. Auf der Reeperbahn begegnete sie auf einem ihrer Rundgänge Olivia Jones mit einer großen Führung im Schlepptau. „Das ist unsere Lieblingspolizistin Frau Pfeiffer“, verkündete diese übers Mikrofon. Die beiden flachsten etwas hin und her, bis sich zwei ältere Frauen aus der Gruppe lösten und anfingen an Frau Pfeiffers Uniform herumzuzupfen. Die beiden waren überzeugt, dass die Stadtteilpolizistin nicht echt sei, sondern zum Amüsierprogramm gehöre. Auch der Schlagermove sei ein Event, bei dem ihr etliche Male jemand ein Kompliment für ihr „Outfit“ mache, sagt Margot Pfeiffer.
Tagtäglich ist sie als Polizeibeamtin mit den Nöten und Wünschen der St. Paulianerinnen und St. Paulianer konfrontiert: nicht noch mehr Gentrifizierung, weniger Veranstaltungen und weniger saufende und wildpinkelnde Menschen. „Die Menschen hier möchten aus ihrem Haus in der Hopfenstraße oder Kastanienallee rausgehen und nicht in einer Kloake stehen“, so Pfeiffer.
22:30 Uhr: Business Improvement District (BID)
Die beiden Quartiermanager des BID reeperbahn+ Julia Staron und Lars Schütze sitzen auf einer Terrasse am Spielbudenplatz und schauen dem Treiben unter ihnen zu. Das Konzert drinnen ist gerade zu Ende gegangen.
„St. Pauli ist für mich eine Haltung“, sagt Julia Staron. Der Codex: Ein dörfliches Gefühl von Solidarität minus den Neid und die Missgunst. „Hier geht es nicht darum, welches Auto du fährst“, ergänzt Lars Schütze.
„Es gibt viele Gruppen, die gerne sagen: Das ist ,mein‘ St. Pauli“, dann fragt Julia Staron jeweils: „Welches St. Pauli meinst du denn: Das der Hafenstraße, des Milieus, der Kneipiers, der Musiker?“ Diese Gespräche, in denen St. Pauli für sich selbst beansprucht wird, sind für Julia Staron die einzigen Momente, wo auf St. Pauli Intoleranz herrscht.
„Natürlich ist es unser Job, für Tourismus zu sorgen, aber wir wollen einen nachhaltigen Tourismus, der unseren Stadtteil nicht aussaugt.“ Das heißt für sie konkret nicht nur die Zahlen erhöhen, sondern als „Miteinander“ wachsen sowie die Anwohner mit ihren Sorgen und kritischen Stimmen ernst nehmen. Alle Projekte des BID reeperbahn+ sind für die beiden Quartiermanager Ausdruck dessen.
Eine Aktion, die für besonders viel Aufmerksamkeit gesorgt hat: „St. Pauli pinkelt zurück“. Verschiedene Flächen auf St. Pauli bestrichen sie mit einem wasserabweisenden Lack. Wer daran pinkelte, pinkelte sich selbst an. Die Schilder „Hier nicht pinkeln! Wir pinkeln zurück. Dein St. Pauli“ hängen noch vereinzelt, ob der Lack noch irgendwo dran ist, wissen die beiden nicht.
Darum gehe es aber auch nicht in erster Linie: „Anwohner haben mir berichtet, dass sie sich das erste Mal wahrgenommen gefühlt haben mit diesem Problem“, so Staron. Doch wie viele Touristen hält St. Pauli aus? Julia Staron: „Ich finde es jetzt schon grenzwertig.“