Sönke Fock über Ausbildungsmarkt und Perspektiven

Sönke Fock, Vorsitzender der Geschäftsführung in der Agentur für Arbeit Hamburg

Ein Interview mit Sönke Fock, Vorsitzender der Geschäftsführung in der Agentur für Arbeit Hamburg, über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Ausbildungsmarkt und Perspektiven

Sicherlich hat sich durch die Corona-Pandemie einiges verändert am Ausbildungsmarkt, aber für Unternehmen wie auch Berufseinsteiger gilt, weiterhin langfristig zu planen. In naher Zeit werden viele Fachkräfte in die Rente gehen und den Unternehmen fehlen, deshalb sind sie angewiesen auf gut ausgebildeten Nachwuchs, idealerweise aus ihrem eigenen Betrieb.

Herr Fock berichtet über die aktuelle Situation und gibt aus seiner Erfahrung heraus persönliche Tipps, auf die man achten sollte, wenn man sich über seine Ausbildung Gedanken macht. Ebenfalls gibt es seitens der Agentur für Arbeit verschiedene Angebote zur Unterstützung, um schon rechtzeitig ein gutes Gespür für einen erfolgversprechenden Einstieg ins Berufsleben zu entwickeln. Grundvoraussetzung für Zufriedenheit und Erfolg im Berufsleben ist vor allem das zu machen, was einem wirklich liegt und Freude macht.

Herr Fock, vor einem Jahr haben wir mit Ihnen schon einmal gesprochen und die Welt sah noch ganz anders aus. Sie benannten für Ende September 2019 noch 11.500 offene Stellen, denen insgesamt 9.000 Bewerbende gegenüberstanden. Dann kam Corona und die Welt hat sich für uns alle dramatisch verändert. Spiegelt sich dies auch im Angebot von Lehrstellen wider?

Sönke Fock: Ja, wir erkennen, dass das Gesamtangebot an freien Ausbildungsstellen in Hamburg insgesamt niedriger ausfällt als im Vorjahr. Zahlreiche Unternehmen und damit auch Ausbildungsbetriebe haben in einer von Kurzarbeit geprägten Zeit deutlich weniger zu tun, erzielen weniger Umsatz, mussten vielleicht sogar Personal entlassen. Es gibt aber auch zahlreiche Unternehmen, die ihr Ausbildungsniveau halten und händeringend Nachwuchskräfte suchen. Das ist gut und eröffnet damit nach wie vor einen grundsoliden Berufseinstieg.

Gibt es aus Ihrer Sicht Branchen, bei denen das Ausbildungsangebot stabil im Vergleich zu den Vorjahren geblieben ist? In der Gastronomie und Veranstaltungsbranche wird es sicherlich spürbare Veränderungen geben.

In den nächsten zehn Jahren werden branchenübergreifend knapp 188.000 beschäftigte Mitarbeitende in Hamburger Unternehmen in den Ruhestand gehen, alle sind heute 55 Jahre alt und darüber. Und, der überwiegende Anteil in Höhe von 163.100 Menschen – oder anders formuliert, erstaunliche 86,7 Prozent davon – sind Fach- und Führungskräfte, mit entsprechend langjährigem Knowhow und Berufserfahrung.

Diese frei werdenden Arbeitsplätze werden nicht durch künstliche Intelligenz, Automatisierungen oder qualifizierte Einwanderung ersetzt werden können. Daher werden und sind langjährig beschäftigte Arbeitnehmer insbesondere durch junge Beschäftigten zu ersetzen sein, die über eine berufliche Ausbildung verfügen müssen. An- und ungelernte Arbeitskräfte dagegen werden zukünftig größte Herausforderungen haben, einen Job zu bekommen oder ihre Arbeitslosigkeit zu beenden, weil sie von den Unternehmen seltener nachgefragt werden.

Talente, Neigungen und Fähigkeiten in der Berufswahl

Es scheint, dass sich Jugendliche nicht mehr unbedingt an Trendberufen orientieren, sondern eher an der Frage, welcher Beruf ist in einer unüberschaubaren Welt verhältnismäßig sicher. Können Sie so einen Wandel bestätigen?

Persönliche Sicherheit ist ein Aspekt bei der Berufswahl, der in diesen Zeiten an Bedeutung gewinnt. Ja, das nehmen wir in den Beratungsgesprächen mit den Jugendlichen durchaus wahr. Aber, Sicherheit hin oder her, Trendberufe wurden in der Vergangenheit auch nicht selten durch ein cleveres Marketing oder sogar durch Fernsehserien gepusht. Berufseinsteigende können oder müssen nach absolvierter Ausbildung über 40 Berufsjahre absolvieren. Wer also nicht seine persönlichen Talente, Neigungen, Fähigkeiten, aber auch sein (lacht) persönliches Unvermögen in die Berufswahl einfließen lässt und nur auf Sicherheit fährt, wird schnell unzufrieden. Clevere Personalentscheider durchschauen das ohnehin.

Die letzten Jahre waren ja vom demografischen Wandel beeinflusst und Unternehmen haben versucht, frühzeitig Fachkräfte für die Zukunft auszubilden und an sich zu binden. Ist es so geblieben oder handeln Unternehmen und Betriebe jetzt doch notgedrungen wieder kurzfristiger?

Die Hamburger Wirtschaft bekennt sich sehr deutlich zur beruflichen Ausbildung und besetzt jährlich über 13.000 betriebliche Ausbildungsplätze. Das sind 13.000 ganz persönliche Angebote, sich nach einer dreijährigen Berufsausbildung ein sicheres Einkommen zu erwirtschaften, unabhängig von staatlichen Leistungen und immer mit der Option, sich nach der Berufsausbildung fortzubilden, ein Studium zu beginnen oder Karriere zu machen. Die Berufsausbildung ist und bleibt für mich das Fundament für eine berufliche und persönliche Stabilität.

Man liest immer häufiger, dass es eigent­lich mehr auf die sogenannten „Soft Skills“, also die Persönlichkeit des Menschen ankommt, um erfolgreich zu sein. Und doch scheint es so, dass Bewerber am Ende wegen ihres Notendurchschnitts vorschnell aussortiert werden. Wie beurteilen Sie diesen Umstand?

Natürlich gibt es bestimmte Auswahlkriterien, die Unternehmen für sich definiert haben, um geeignete Bewerbende zu finden, die den zum Teil sehr hohen schulischen Anforderungen in der Berufs- oder auch Fachschule gewachsen sind. Kommunikative oder handwerklich geschickte Talente erhalten aber auch bei nur ausreichender Note in einem Hauptfach ihre Chance auf ein Vorstellungsgespräch, wenn sie sich gut, offen und glaubwürdig präsentieren. Das können Jugendliche zuvor üben, die Berufsberatung in der Jugendberufsagentur Hamburg unterstützt sie dabei vielfältig. Dazu bieten wir auch berufsvorbereitende Bildungsangebote an, die die persönliche Berufswahl schärfen.

In Hamburg gibt es über 600 verschiedene Studiengänge

Gerade viele Abiturienten wollen ja häufig erst einmal eine Ausbildung machen, um dann zu studieren. Für die Ausbildungsbetriebe eine eher unglückliche Situation. Wäre für beide Parteien nicht eine noch stärkere Forcierung der dualen Ausbildung spannend? 

Für viele Abiturienten ist der Berufseinstieg über eine Ausbildung ein richtig guter Weg, weil sie sich im Alter von 17 oder 18 noch kein Studium zutrauen oder auch nicht genau wissen, ob sie überhaupt studieren möchten. Das ist ein Entscheidungsprozess, der notwendig ist und der Zeit braucht. Aber, fast alle mittelständischen und größeren Unternehmen in Hamburg bieten sogenannte duale Studiengänge an.

In Hamburg sind es über 600 verschiedene Studiengänge, die zur Auswahl stehen. Spannend ist, dass diese Angebote in allen Bereichen zu finden sind: Wirtschaft, Technik, Handwerk, Sozialwesen, Verwaltung, Gesundheit, Kultur. Also vielleicht über ein duales Studium nachdenken. Praktisch lernen und studieren ist ein sehr guter Weg anspruchsvoll ins Berufsleben zu treten. Über www.karriere-dual.de sind alle wichtigen Informationen dazu eingestellt.

Was sind für Sie die entscheidenden Faktoren, auf die sich ein Jugendlicher besinnen sollte, um für sich den richtigen Ausbildungsplatz oder das geeignete Studium zu finden?

Zeit und Kommunikation. Es gibt Jugendliche, die wissen schon im Alter von zehn Jahren, was sie werden wollen und verfolgen diesen Weg unbeirrt. Aber es gibt auch sehr viele, die haben keine richtige Vorstellung von ihrer beruflichen Zukunft. Die eigene Berufswahl ist aber ein Entscheidungsprozess, der Zeit beansprucht und nicht an einem einzigen Nachmittag gelingen kann. Die persönliche Berufsorientierung beginnt zu Hause, wird in der Schule vertieft, reift über Praktika, entsteht im Schülerjob, festigt sich, wird verworfen und braucht vielleicht mehrere Anläufe.

Daher macht es durchaus Sinn, sich früh zu fragen, welche Tätigkeiten und Berufsbilder interessieren, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen, was gar nicht in Frage kommt. Hilfreich ist es dabei, sich mit dem eigenen Umfeld auszutauschen. Freunde, Eltern, Lehrer, Verwandte können gute Berater sein. Und natürlich empfehle ich meine Kolleginnen und Kollegen unserer Berufsberatung.

Berufsberaterinnen sind an jeder Hamburger Schule

Wie kann die Agentur für Arbeit in diesem Kontext unterstützen? Wie sehen Ihre Beratungsangebote aus? 

Die Berufsberaterinnen und -berater sind an jeder Hamburger Schule zu finden, sie informieren und beraten vor Ort, gemeinsam mit den Berufskoordinatoren der jeweiligen Schule. Sie sind Fachleute zu allen Fragen der Berufsorientierung und -wahl, ob Sek I oder Sek II. Egal, ob Ausbildung, Studium oder Au-Pair, die Berufsberater kennen sich mit allen Themen sehr gut aus und beraten individuell.

Neben der individuellen „Schülerberatung“ gibt es zahlreiche Internet-Angebote, richtig gut und hilfreich sind www.abi.de, www.planet-beruf.de oder ganz neu „Check U“ – ein Tool, um sich besser einschätzen zu können. Jugendliche können sich auch in ihrer Jugendberufsagentur melden, die es in jedem Bezirk gibt. Dort können sie sich ebenfalls vollumfänglich beraten lassen.

Nicht immer ist der erste Anlauf der richtige. Scheitern ist aber leider auch häufig mit einem Makel behaftet. Was geben Sie jemanden mit auf den Weg, damit er den Mut nicht verliert?

Ja, das kommt leider gar nicht so selten vor. Für den betroffenen Azubi natürlich unangenehm. Aber es gibt immer einen Ausweg aus dieser Situation. Wichtig ist, dass junge Auszubildende sich so schnell wie möglich ihrem Ausbildungsbetrieb anvertrauen und vermeintliche Probleme offen ansprechen. Ist tatsächlich die falsche Berufsentscheidung getroffen worden, müssen Alternativen gesucht werden. Auch hier hilft die Berufsberatung mit der Ausbildungsvermittlung. Und natürlich ist es wichtig, auch diese Herausforderungen mit Freunden und Eltern zu diskutieren. Das hilft ungemein und entlastet entsprechend.

In einem Berufsleben ist nicht immer alles Sonnenschein. Mit Ihrer eigenen Berufserfahrung, was sind für Sie die wichtigen Kriterien, um auch in schwierigen Phasen die Motivation zu behalten und am Ende ein gutes Maß an Zufriedenheit aus dem beruflichen Alltag zu ziehen?

Es gilt, die Frage ehrlich zu beantworten, was wirklich wichtig im Leben ist: Gesundheit und eine für mich sinnvoll und leistbare Aufgabe.

www.arbeitsagentur.de/vor-ort/hamburg/startseite


 Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Ausbildung, 2021. Das Magazin ist seit dem 19. September 2020 im Handel. Bestellt euch das Heft oder Blättert hier durch das Magazin! 

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