An einem schönen Frühlingsabend ist es so weit. Ich schwinge mich auf mein Rad und fahre los zu meinem ersten Speeddating. 30 Euro musste ich für meine Teilnahme bezahlen – Getränke nicht inklusive. Der Veranstalter rechtfertigt diesen Preis damit, dass Teilnehmende die Chance auf bis zu 20 einzigartige Dates innerhalb von zwei Stunden haben. Ich bin gespannt. Und dann stehe ich auch schon vor dem Lokal, in dem alles stattfinden soll. Auf den ersten Blick läuft der normale Betrieb. Draußen sitzt eine Familie, die Tochter ist in ihre Schulbücher vertieft, die Mutter beschäftigt sich mit dem Sohn. Daneben trinken zwei Freundinnen in der Sonne ihre Aperol. Auch nicht schlecht und bestimmt entspannter als mein Vorhaben, denke ich, aber ich ziehe das jetzt durch, gehe rein. Es ist voll und laut und offensichtlich keine geschlossene Speeddating-Gesellschaft.
Ich frage einen Mann, der mit einem iPad an einem Tisch sitzt, ob er für den Veranstalter des Speeddatings arbeitet. Er verneint und sagt, dass er zu dem Französisch-Stammtisch gehöre. Oh, là, là. Aber dann sehe ich, wo ich hin muss: Direkt hinter dem Stammtisch-Mann steht ein knallorangefarbenes Schild des Dating-Veranstalters – und die Dating-Teilnehmer. Ich reihe mich ein.
Speeddating: Kennenlernen reihum
Lukas*, der Speeddating-Moderator, stellt sich mit einem kräftigen Händedruck vor. Er hakt meinen Namen auf seinem Tablet ab, drückt mir einen Teilnehmerbogen in die Hand. Darin einzutragen sind Namen und Teilnehmernummer meiner kommenden Gesprächspartner. Daneben ist noch Platz für Notizen und eine sogenannte „Herz-Spalte“. Mit einem Kreuz kann ich festhalten, welchen Teilnehmer ich wiedersehen möchte. Noch fix ein Namensschild plus Nummer auf mein Oberteil geklebt: Jetzt bin ich offizielle Teilnehmerin der Speeddating-Runde. Lukas erklärt mir, dass ich mich an jeden freien Tisch im näheren Radius setzen kann. Wir Frauen bleiben sitzen, die Männer müssen die Tische nach jeder Gesprächsrunde wechseln. Ich setze mich zunächst an einen Tisch, der von zwei Säulen eingerahmt ist. Hier bin ich von dem Trubel ein bisschen abgeschirmt. Ich schaue mich um. Hinter mir sitzen Freundesgruppen. Ja, ich erlebe es gerade hautnah: Wer sich auf den Speeddating-Zirkus einlässt, wird von den Außenstehenden belächelt.
Auf der Suche nach dem „Match“
Dann kommt Daniel* (*alle Namen wurden von der Redaktion geändert) an meinen Tisch und fragt, ob er sich setzen kann. Ich nicke. Daniel gesteht, dass er nicht zum ersten Mal an einem Speeddating des Veranstalters teilnimmt. „Beim letzten Mal hat es mit keiner Frau gematcht“, sagt er. Das „Match“ ist also auch beim Speeddating ein Ding. Heute geht das so: Nach dem Abend haben alle Teilnehmer Zeit, sich zu überlegen, ob sie jemanden aus der Runde wiedersehen möchten. Am nächsten Tag schickt der Veranstalter dann eine E-Mail. Geben sowohl die Frau, als auch der Mann an, dass sie Interesse aneinander haben, ist es ein „Match“ und der Veranstalter verschickt die jeweiligen Kontaktdaten. Ganz schön umständlich, finde ich – aber nun ja.
Jedes Klingeln, ein neuer Mann
Lukas bimmelt mit einer Fahrradklingel in der Hand: Das Zeichen, dass es losgeht. Fünf Minuten haben Daniel und ich Zeit, uns zu unterhalten. Und zack! Ring, ring! Trotz der Kürze der Zeit kenne ich jetzt Daniels komplette berufliche Laufbahn. Als hätte er sich bei mir für einen neuen Job vorgestellt. „Oh, schade schon vorbei“, sagt er. Ich lächle höflich. Er zieht weiter. Auf den freien Platz setzt sich Robert*. Sofort fragt er mich, was ich von einem Mann erwarte. Ich verstehe nicht ganz, worauf er hinaus will. Gegenfrage: Was möchte er denn genau wissen? Standarddinge wie Loyalität, Ehrlichkeit, Treue? Ich komme mir ein wenig blöd vor. Ring, ring.
Beim letzten Mal hat es mit keiner Frau gematcht
Speeddating-Teilnehmer
Der nächste Teilnehmer kommt ein wenig schwankend an meinen Tisch. Und gibt mir erst seine Hand, nachdem er seine Bierflasche abgestellt hat. Seine Augen sind glasig. Ein bisschen kann ich es nachvollziehen, dass er sich entweder die ganzen Runden schön oder sich einfach nur Mut antrinkt. Ring, ring. Julius* setzt sich und bittet gleich mal darum, dass es doch nicht so ein langweiliges Gespräch wird, wie die vorherigen. Ich schlage vor, dass wir uns einfach ganz normal unterhalten. Machen wir. Er erzählt, dass er eine Schwäche für braune Locken habe. Seine Ex-Freundin hätte auch welche gehabt. Ich, Trägerin von braunen Locken, weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Muss ich auch nicht, denn er redet einfach weiter: „Ich habe mir vor Kurzem ein Segelboot gekauft.“ Ich hoffe, dass die Fahrradklingel mich bald erlöst.
Speeddating, hier ist nichts romantisch
Dann ist Pause. Ich stehe auf und muss das alles erst einmal sacken lassen. So viele Eindrücke, so viele unterschiedliche Persönlichkeiten. Ich gehe raus und stelle mich zu den anderen Teilnehmern. Ich blicke in einige enttäuschte Gesichter. Es fehlen zwei Männer, um die Gruppe geschlechtergerecht aufzuteilen. Wir Frauen müssen also zweimal aussetzen. „Es hätte doch so romantisch werden können, so wie in den Hollywood-Filmen. Wo sich ein Typ und eine Frau beim Speeddating treffen und dann funkt es einfach“, sagt Teilnehmerin Lena*. Aber an diesem Speeddating-Format ist nichts romantisch. Ich empfinde die Veranstaltung nicht besser, als Online-Dating. Es ist wie Swipen, nur von Angesicht zu Angesicht. So schnell wie die Männer die Plätze wechseln, so schnell habe ich sie auch schon wieder vergessen. Unter den Frauen haben sich Freundinnen zusammen angemeldet. Ich frage, was denn wäre, wenn sie beide an demselben Mann interessiert sein würden. „Dann lasse ich Tina* den Vortritt, sie ist schließlich länger Single als ich“, sagt Veronika*.
Wiederholung? Unwahrscheinlich.
Es geht weiter. Timo* ist extra aus Lübeck gekommen. Dort würden die Speeddating-Events wegen zu geringer Teilnehmerzahl immer wieder abgesagt werden. Stolz berichtet er, dass er sich extra einen roten Pullover angezogen hat. „Rot ist meine Lieblingsfarbe“, sagt er. Er guckt mich an – ich trage ein schwarzes Oberteil – und er fragt mich, ob schwarz meine Lieblingsfarbe sei. Dann muss ich aussetzen. Moderator Lukas setzt sich zu mir und fragt, ob ich schon einen Mann favorisieren würde. Nein, Interesse habe ich bis jetzt an keinem. In den folgenden Runden soll sich das leider auch nicht ändern. Am Ende des Abends stehe ich wieder mit Lena*, Tina* und Veronika* draußen. „Wir müssen unser eigenes Speeddating veranstalten“, sagt Lena. Die Idee finde ich gar nicht schlecht. Allerdings ist mein Bedarf an Speeddating erst mal gedeckt.
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 06/2023 erschienen.