Der Curling-Club Hamburg hat Sportgeschichte geschrieben – und kämpft wegen der Energiekosten um seine Existenz
Text: Mirko Schneider
Sabine Belkofer-Kröhnert (54) schaut verblüfft. „Das können Sie nicht von mir verlangen. Ich bin noch nicht aufgewärmt“, sagt die Präsidentin des Curling-Clubs Hamburg mit flehentlichem Augenaufschlag. Doch wenige Sekunden später kommt Belkofer-Kröhnert der Bitte nach, ihr Curling-Können zu demonstrieren. Grazil stößt sie sich aus den Startblöcken ab, gleitet mit ausgestrecktem rechten Bein und einer glatten Extrasohle unter dem linken übers Eis der 42 Meter langen rechten Außenbahn der vereinseigenen Halle Eckelmann-Jahr-Rink an der Hagenbeckstraße und lässt den 20 Kilo schweren, blauen Curling-Stein mit ihrer rechten Hand kurz vor der roten Linie los. Zielsicher gleitet er übers Eis und kommt im aus vier Elementen (weißer Mittelpunkt, rote, weiße und blaue Linie) bestehenden Curling-Haus zum Stehen. Belkofer-Kröhnert wirkt erleichtert. Ehrgeizig ist sie immer noch.
1986 trat sie in den aktuell 170 Mitglieder starken Curling-Club Hamburg ein. Und seit September dieses Jahres ist sie dessen Präsidentin. Ihre Ziele? „Den Club zu erhalten. Die hohen Energiekosten machen uns sehr zu schaffen. Wenn es uns in zehn Jahren noch gibt, wäre das ein Erfolg“, sagt sie.
Die perfekten Bedingungen für Curler gibt es nur in Hamburg
Gäbe es den Curling-Club Hamburg nicht mehr, wäre dies für die Sportstadt Hamburg ein riesiger Verlust. Der Verein hat den Curlingsport in Hamburg über Jahrzehnte etabliert. Es ist der größte Club Deutschlands, der einzige im Norden. Mit einem bundesweiten Alleinstellungsmerkmal: einer eigenen Curling-Halle! „Curling-Eis muss hundertprozentig plan – also eben – sein, damit die Curling-Steine gut laufen“, erklärt Belkofer-Kröhnert. Dies wird bewerkstelligt durch eine aufwendige Prozedur mit einer speziellen, energieintensiven Eismaschine. Alle anderen deutschen Clubs spielen in Eishockeystadien, die perfekten Bedingungen für Curler gibt es nur in Hamburg.
„Curling ist eine Strategiesportart, die körperlich einige Fähigkeiten erfordert, sie ist auf dem Eis total undemokratisch“
Sabine Belkofer-Kröhnert
Doch der Curling-Club Hamburg lässt sich nicht nur darüber definieren. Sondern zunächst über die Passion aller Mitglieder für diese Sportart. Die wie folgt funktioniert: Vier Spieler pro Team spielen jeweils zwei Steine Richtung Curling-Haus. Punkte gibt es pro Durchgang (End) immer nur für ein Team. Und zwar so viele Punkte, wie Steine des eigenen Teams ohne Unterbrechung durch einen anderen Stein dem Mittelpunkt am nächsten liegen. Gespielt werden acht Ends, bei Meisterschaften zehn. „Curling ist eine Strategiesportart, die körperlich einige Fähigkeiten erfordert“, führt Belkofer-Kröhnert aus. „Und“, fügt sie lachend hinzu, „sie ist auf dem Eis total undemokratisch.“
„Ein echter Curler verliert lieber, als unehrenhaft zu gewinnen“
Denn in jedem Viererteam gibt der Mannschaftsführer (Skip) nahe am Curling-Haus stehend den Ton an und bestimmt die Taktik. Alle Spieler sind miteinander verkabelt, bei Titelkämpfen kann jedes Wort von den Zuschauern mitgehört werden. Wird ein Stein gespielt, wischen zwei der vier Spieler vor diesem mit Besen das Eis. „Ein Stein wird nie gestoßen, sondern einfach losgelassen und besitzt dann eine Drehbewegung mit oder gegen den Uhrzeigersinn, den Curl. In welche Richtung er curlt, wird durch das Wischen beeinflusst. Ebenso die Länge seiner Bahn. Gute Wischer können die Länge des Gleitens des Steins um drei bis vier Meter verlängern“, so Belkofer-Kröhnert. Der Skip selbst spielt die letzten beiden Steine. Wie faszinierend das ist, zeigen schon die Trainingsspiele an diesem Abend. Den gegnerischen Stein rausschießen? Einen Block setzen? Welche Taktik des Gegners antizipieren? Das Spiel bietet viele Variationsmöglichkeiten.
Und liebenswerte Besonderheiten! „In unserer Clubliga lädt nach Spielen der Sieger den Verlierer stets auf ein Getränk ein. Diese Tradition wird hochgehalten und ist kennzeichnend für die schöne und freundliche Atmosphäre hier im Verein“, sagt die frühere deutsche Juniorenmeisterin Maike Beer (26). Und Belkofer-Kröhnert ergänzt: „Curling ist ein schottischer Sport. Fairplay wird großgeschrieben. Schiedsrichter gibt es nicht. Die Spieler machen alles unter sich aus. Ein echter Curler verliert lieber, als unehrenhaft zu gewinnen.“ Ebenfalls typisch britisch ist die Whisky-Geschichte. „Früher war es so: Gelang einem Team ein Eight-Ender, also acht Punkte in einem End, wurde es automatisch lebenslang Mitglied im Royal Caledonian Curling Club, dem Mutterclub des Curlens, und es bekam jedes Jahr eine Kiste Whisky nach Hause geschickt“, sagt Belköfer-Kröhnert schmunzelnd.
Zweimal bei Olympia
Zur ruhmreichen Historie ihres Clubs hat sie wiederum viel beigetragen. 2002 startete sie bei Olympia im amerikanischen Salt Lake City, holte mit ihrem Team den fünften Platz und löste den damaligen Curling-Boom mit aus. „Ich hatte damals die Olympia-Qualifikation mit meinem Team verpasst, weil wir wegen einer verletzten Spielerin nicht antreten konnten. Doch die damals beste deutsche Curlerin Andrea Schöpp verzichtete aus persönlichen Gründen auf Olympia. Ich erhielt also im Jahr 2001 an Heiligabend einen Anruf vom Bundestrainer. Er sagte, wenn ich Zeit hätte, wäre ich dabei. Das war ein traumhaft schönes Erlebnis“, erinnert sich Belkofer-Kröhnert.
„Ein echter Curler verliert lieber, als unehrenhaft zu gewinnen.“
Sabine Belkofer-Kröhnert
Eine ähnlich märchenhafte Geschichte erlebte der mehrfache Hamburger Meister Sven Goldemann (53), der sich gemeinsam mit John Jahr, Peter Rickmers, Christopher Bartsch und Felix Schulze 2014 für die Winterspiele im russischen Sotschi qualifizierte. „Das Sotschi-Abenteuer war der absolute Höhepunkt meiner sportlichen Laufbahn. Wir waren ja alle Amateure und plötzlich interessierten sich nach der Qualifikation für die Olympiade so viele Medien für uns, dass wir in den sechs Wochen vorher kaum mehr zum Trainieren kamen. Es war alles sehr aufregend, ein Glücksgefühl fast wie bei der Geburt eines Kindes“, erinnert sich Goldemann. „Wir wurden leider nur Zehnter, lebten aber den olympischen Gedanken ,Dabei sein ist alles‘.“
„Eine Option ist es, die laufende Saison vorzeitig abzubrechen“
Um weiter dabei zu sein, die Hamburger Meisterschaft in Turnierform, den Hamburger Hafenpokal und die Hamburger Club-Liga austragen und beste Trainingsbedingungen bieten zu können, braucht der CurlingClub Hamburg allerdings eine Lösung für die gestiegenen Kosten. „Der Hamburger Sporbund hat Entlastungen angekündigt. Wie genau diese aussehen, ist aber noch offen. Eine Option ist es leider, die von Oktober bis März laufende Saison vorzeitig abzubrechen“, sagt Belkofer-Kröhnert. Für die treuen Mitglieder, trotz Corona verzeichnete der Club keine Austritte, wäre dies sehr schade. Eine Beitragserhöhung jedoch lehnt Belkofer-Kröhnert ab. „Das wäre der falsche Weg“, sagt sie. Und: „Wir sind gerade dabei, wieder Spieler im Herren-, Frauen-, und Juniorenbereich aufzubauen, die an den deutschen Meisterschaften teilnehmen können. Wir werden unser Bestes geben, damit unser geliebter Curling-Club Hamburg weiterbestehen kann.“