Spreehafen statt Party

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Unser Autor wäre letzten Sommer fast in die Harburger Chaussee gezogen. Die neue Szene-Adresse. Im Ernst?

Eigentlich bin ich sehr zufrieden mit der Lage meiner Wohnung. Ich wohne im Grindelviertel, umgeben von kleinen Läden, Cafés und der Uni. Zum Kiez sind es etwa zehn Fahrradminuten, ins Schanzenviertel komme ich auch zu Fuß. Ich kann, ohne zu übertreiben, von großem Glück sprechen, eine bezahlbare Wohnung in dieser Lage gefunden zu haben.

In diesem Frühjahr waren auch Freunde von mir auf der Suche nach einem neuen Zuhause. WG-geeignet sollte es sein, günstig und irgendwo da, wo auch was los ist. Gar nicht so leicht in Hamburg. Zumindest dachte ich das immer.

Weil die Mieten zwischen Uni und Ottensen zu hoch sind, suchen meine Freunde im Hamburger Süden – und ziehen dort kurze Zeit später in große Wohnungen mit Dielenboden und dem Deich des Spreehafens auf der anderen Straßenseite. Die neue Szene-Adresse heißt fortan Harburger Chaussee.

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Von dem Geld, das man auf St. Pauli für ein WG-Zimmer ausgeben muss, bekommt man hier eine große Dreizimmerwohnung. Entlang der Straße zwischen den S-Bahn-Stationen Veddel und Wilhelmsburg reiht sich ein günstiges Wohnhaus an das nächste. Aus den großen Fenstern der alten Rotklinkerbauten blickt man auf die im Wasser treibenden Hausboote, Hafenkräne und die im Licht schillernde Elbphilharmonie. Eine Idylle, die auch vom permanenten Lärm der vorbeifahrenden Lkws nicht gestört werden kann.

Kein Wunder also, dass junge Leute hierher kommen. Als ich beim Umzug helfe, muss ich sogar aufpassen, die Möbel nicht versehentlich in die Wohnung einer ebenfalls einziehenden WG zu stellen. Es fällt auf, dass sich zwischen die alt eingesessenen Arbeiterfamilien immer mehr Studenten mischen und das Straßenbild stark verändern. Bei schönem Wetter stellen diese nämlich auch mal ihr Sofa vor den Hauseingang und trinken Bier, während am Deich die Hipster-Kolonnen auf Rennrädern in Richtung Wilhelmsburg vorbeizieht.

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Begeistert von der Harburger Chaussee, ziehen viele weitere Freunde von mir ebenfalls an den Deich. Auch ich denke das erste Mal kurz darüber nach, meine Wohnung im Grindelviertel aufzugeben.

Denn vieles spricht dafür: Mit dem Fahrrad sind es nur wenige Minuten zu den Raves am Rande Wilhelmsburgs und auch das Dockville mit all seinen Schwester-Festivals ist von der Harburger Chaussee nur einen Katzensprung entfernt. Große Open Airs, geheime 24-Stunden-Technopartys oder eskalative Einweihungsfeiern – irgendwo ist immer etwas los. Im Zweifel müssen wir nur die am Deich entlanglaufenden Leute fragen, wo sie gerade hingehen. Auf den Kiez muss hier im Sommer niemand mehr fahren. Der unentdeckte Süden ist viel spannender.

Regelmäßig fahre ich von zu Hause aus zur Harburger Chaussee, irgendjemanden treffe ich dort immer. An warmen Sommertagen springen wir zur Abkühlung in den Spreehafen, nehmen die Musikbox mit an den Deich, grillen, trinken Bier und schauen uns abends die Sonne an, wie sie hinter den Hafenkränen untergeht. Oft schlafen wir draußen ein oder bleiben bis zum Morgen wach und freuen uns über den fast schon kitschigen Anblick des Sonnenaufgangs.

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Die Besuche in der Harburger Chaussee haben viel von Urlaub. Besonders dann, wenn man morgens das Frühstück gleich wieder mit an den Deich nimmt und beim Essen aufs Wasser schauen kann. Während man sich den Frischkäse aufs Brot schmiert, ist es egal wie groß die Augenringe sind. Das Gefühl, aussehen zu können wie man will, lässt die Harburger Chaussee in manchen Momenten urbaner als das schicke Grindelviertel wirken.

Doch der Charme des Abgeschlagenseins hat auch Nachteile. Wenn wir mal kein Essen mehr haben oder zwischendurch Durst bekommen, gehen wir zum Kiosk – leider die einzige Einkaufsmöglichkeit. Wer mehr als Bier, Yum-Yum-Suppen oder Tiefkühlpizza will, fährt mit dem Fahrrad auf die Veddel zum Penny oder ins Reiherstiegviertel. Wenn die letzte S-Bahn in der Woche um halb eins abgefahren ist, muss man entweder den Nachtbus nehmen oder Fahrrad fahren. Der Weg über Veddel, Elbbrücken und Hammerbrook in die Stadt dauert allerdings eine halbe Stunde.

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So wohl ich mich im Hamburger Süden fühle, so schön ist es aber auch, irgendwann wieder nach Hause zu fahren. Ich freue mich darüber, mein Bett mitten in Hamburg stehen zu haben und alles zu Fuß erreichen zu können, wenn wir jetzt, wo es wieder kälter wird, die Nächte wieder auf dem Kiez verbringen.

Auch wenn vieles dafür spricht: In die Harburger Chaussee werde ich nicht ziehen. Aber ich will mir dort für den nächsten Sommer eine eigene Sockenschublade einrichten. Mit allem, was man so braucht. Man kann ja nie genau sagen, wie lange der nächste Besuch auf dem Deich dauern wird.

Text & Fotos: Jannis Hartmann

UNI EXTRADieser Text ist in der aktuellen Ausgabe von SZENE HAMBURG UNI EXTRA erschienen.

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