Stadt.Land.Fluss – Idyll mit politischer Botschaft

So geht Gemeinschaft #2: Seit einem Jahr wohnen die Mitglieder des generationenübergreifenden „Stadt.Land.Fluss“-Wohnprojekts in Ochsenwerder. Ihr Motto: Solidarität, Inklusion, Nachhaltigkeit.

Ja, die Bullerbü-Sehnsucht spielte auch eine Rolle, als im Jahre 2010 fünf Familien beschlossen, für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt aufs Land zu ziehen. Aber nein, das Wohnprojekt „Stadt.Land.Fluss“ in Ochsenwerder ist nicht einfach nur ein privates Naturidyll für gestresste Großstädter. „Wir haben eine explizit politische Dimension“, sagt Karoline Redlich, die sich gemeinsam mit ihrem Ehemann dem Projekt anschloss. „Wir sind ein kleines gesellschaftliches Abbild und wollen einen solidarischen gesamtgesellschaftlichen Gedanken leben.“

19 Kinder und 30 Erwachsene unter einem Dach

Ein gesellschaftliches Abbild zu sein und nicht in anonymer Nachbarschaft wie in der Stadt zu leben, das bedeutet, Menschen aus allen Altersgruppen und sozialen Schichten zu vereinen. In Ochsenwerder ist das der Fall: Rentner, zwei jugendliche Geflüchtete, alleinerziehende Mütter mit Assistenzbedarf, die von der „alsterdorf assistenz ost“ unterstützt werden, Klempner, Bootsbauer, Tischler und junge Akademikerfamilien leben hier unter einem Dach – mittlerweile 19 Kinder und 30 Erwachsene. Die Jungen bringen den Rentnern die Einkäufe, die Lehrer helfen den jungen Geflüchteten bei ihrem Schulabschluss und die alleinerziehenden Mütter profitieren davon, dass ohnehin immer andere da sind, die sie entlasten und unterstützen können. Eine Utopie auf 3.500 Quadratmetern – fast schon zu schön, um wahr zu sein.

Wie kann eine solche Gemeinschaftlichkeit gelingen?

„Einfach nur gemeinsam zu wohnen, bedeutet noch keine Inklusion“, stellt Karoline Redlich klar. Deswegen findet seit sechs Jahren einmal die Woche ein Plenum statt, in dem Fragen der Gartenplanung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Finanzen und ­der Integration ins Dorfleben besprochen werden. Der Weg dorthin war weit: Nach vier Jahren der Immobiliensuche erhielt die Gruppe 2014 die Zusage für das Gelände rund um „Rieges Gasthof“ am Ochsenwerder Kirchendeich. Mit einiger Unterstützung: Die Wohnhäuser gehören der Baugenossenschaft „Wohnreform eG“, die Bewohner haben Anteile gezeichnet und zahlen je nach Einkommen bis zu 8,10 Euro Miete pro Quadratmeter. Insgesamt 18 Wohnungen sind seit 2015 mithilfe eines Architektenbüros und der Betreuung von „Stattbau Hamburg“ entstanden – aufgeteilt in drei Häusern: im „Saal“, im „Gasthof“ und im „Gartenhaus“.

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Assimilation im Dorf

Das alte Saalgebäude, das für die Dorfbewohner mit vielen Erinnerungen verbunden ist, konnte erhalten und saniert werden und soll den Dorfbewohnern weiterhin als öffentlicher Raum mit Kulturveranstaltungen zur Verfügung stehen. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Assimilation im Dorf, denn die Skepsis der Anwohner gegenüber dem neuen Wohnprojekt war ­anfangs groß. „Die Leute dachten an eine Kommune und hatten deswegen bestimmte Bilder im Kopf“, erzählt Karo­line Redlich. „Das Gute ist, dass wir viel Gartenfläche haben. Die Leute kommen oft vorbei, bleiben am Zaun stehen und stellen Fragen.“ So komme man mit den Nachbarn ins Gespräch und gewinne ­Vertrauen. Ein Jahr nach dem offiziellen Einzug im Sommer 2017 gibt es in dem großen Gemeinschaftsgarten übrigens auch schon einen ansehnlichen Abenteuerspielplatz für die Kinder – ein bisschen Bullerbü-Träumerei gehört eben auch dazu.

Text: Ulrich Thiele

www.wohnprojekt-slf.de


 Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, August 2018. Das Magazin ist seit dem 28. Juli 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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