Cafés und Geschäfte zu, Veranstaltungen abgesagt, Kultur eingestampft: Die Corona-Krise hat auch Hamburgs Studierende hart getroffen, weil ihnen die Nebenjobs weggebrochen sind. Vielleicht gehen sie trotzdem als Gewinner aus der Krise
Text: Max Nölke
Zu viel Monat am Ende des Geldes: Wer studiert, kennt das Dilemma womöglich. Ausgereizter Dispo, von Nudeln mit Ketchup ernähren und durch einen minimalistischen Lebensstil die letzten Münzen wahren – um sich dann irgendwie über den Ersten des nächsten Monats zu robben. In der Rückschau auf die eigene Studienzeit lassen sich diese prekären Verhältnisse wunderbar verklären, gegenwärtig sind sie mitunter vertrackt, in einer Pandemie sogar äußerst brenzlig.
Viele Studierende befinden sich momentan in solch finanziellen Nöten. Und das ist ausnahmsweise mal nicht ihrer oft monierten Lethargie zuzuschreiben, sondern weil jungen Menschen im Lockdown reihenweise die Möglichkeiten weggebrochen sind, neben dem Studium Geld zu verdienen.
Von Verlierern und Verlierern
Lange schlichen die Studierenden ein wenig unter dem Radar durch die Corona-Krise. Es ist noch immer viel über die Kinder als Verlierer der Pandemie zu lesen. Weil ihnen entscheidende Monate in der Entwicklung genommen würden, weil sie die Bildungslücken mit dem wegfallenden Präsenzunterricht nicht wieder auffüllen könnten. Und weil Kinder in der Politik ja sowieso ständig zu kurz kämen.
Und wenn die Kinder es schon schwer haben, wie ist es dann erst um Erwachsene bestellt, die sich ihrer Existenz bedroht fühlen, die um ihre Jobs bangen müssen. Und die im Zweifelsfall auch noch das Familienleben samt Homeschooling meistern müssen. Und mit all den Unternehmen, die wegsterben, wollen wir erst gar nicht anfangen. Schlimm und Schlimmer. Und die Studierenden? Um die ist es erstaunlich lange still geblieben. Gut, Online-Vorlesungen und ewiger Mailverkehr sind nervig, aber ja wohl nicht existenzbedrohend, so hieß es. Doch der Ton ist mittlerweile ein anderer. Studierende gehören gleichermaßen zu den großen Verlierern der Krise.
Vor allem Studierendenjobs und Praktika brachen weg
Mal abgesehen vom emotionalen Wert, den ein Studium in seiner Ursprungsform mit sich bringen kann, sind es auf dem Arbeitsmarkt vor allem Studierendenjobs und Praktika, die im Lockdown weggefallen sind. Laut einer Analyse des Indeed Hiring Lab aus dem vergangenen Herbst sank die Anzahl an Stellenausschreibungen für Studierendenjobs auf dem Berufsportal „Indeed“ im September 2020 um 51 Prozent zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr. Inserate für Praktika brachen zeitweise um 45 Prozent ein. Der Gesamtarbeitsmarkt ist weniger stark betroffen: Hier lag der Rückgang der Stellenausschreibungen im September bei 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Dabei ist Hamburg im Deutschlandvergleich, zusammen mit Frankfurt, am stärksten betroffen. Über das Jobportal gab es in Hamburg im Vorjahresvergleich 56 Prozent weniger Stellenausschreibungen für Studierendenjobs (Frankfurt: 57 Prozent). „Auf Studierende wird in Krisenzeiten als erstes verzichtet, um zunächst die Stammbelegschaft sichern zu können“, sagt Annina Hering, Ökonomin im Indeed Hiring Lab, zu den Ergebnissen der Studie.
„Gerade die klassischen Studierendenjobs in der Gastronomie oder in der Kultur und Hotellerie sind weggefallen“, erklärt Daniela Janßen, Leiterin des Hochschul-Jobportals „stellenwerk“, das 2007 als Gemeinschaftsprojekt der Universität Hamburg, der HAW Hamburg und der Technischen Universität Hamburg gestartet ist.
Vor allem im ersten Lockdown Mitte März sei der Markt stark eingebrochen, mittlerweile habe sich vieles stabilisiert. Auch weil sich neue Jobmöglichkeiten aufgetan hätten. „Im Bereich der IT werden vermehrt studentische Hilfskräfte gesucht, Architekturbüros brauchen Personal, außerdem Einzelhändler, die verstärkt Online-Shops aufgebaut haben.“ Lieferdienste und Logistikunternehmen suchen händeringend Minijobber. Und auch private Nebenjobs, wie Nachhilfe, seien gefragt wie nie.
„Ich hatte nur noch sieben Euro auf dem Konto“
Mehr als 100.000 Menschen studieren in Hamburg. Einer von ihnen ist Jonas, 27 Jahre alt. Er steckt in den Endzügen seines Masters in Digitaler Kommunikation. Weil auch die Skatehalle I-Punkt Skateland am Berliner Tor im November ein zweites Mal in den Lockdown musste, hat er seinen Nebenjob verloren.
Jonas hat auf 450-Euro-Basis einmal die Woche in der Halle gearbeitet. Mit zusätzlich 400 Euro vom Bafög-Amt kam er damit immer ganz gut über die Runden, erzählt er. 450 Euro haben oder nichthaben: Die Abwägung stellte sich Jonas nie. Er ist auf den Nebenverdienst angewiesen. „Und plötzlich hatte ich am Anfang des Monats nur noch sieben Euro auf dem Konto“, sagt er. „Für die Miete musste ich meine Mutter anpumpen.“ Eine Rückendeckung, auf die nicht jeder zählen kann. Und die gemeinhin auch nicht unerschöpflich ist.
Für ihn kam die Rettung mit der staatlichen Überbrückungshilfe. Weil Jonas an einer staatlich anerkannten Hochschule immatrikuliert ist, kann er Hilfsgelder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beantragen. Das sind monatlich zwischen 100 und 500 Euro. Je weniger auf seinem Konto ist, desto mehr darf er beantragen. Kann Jonas nachweisen, dass er weniger als 500 Euro zur Verfügung hat, darf er 100 Euro an Zuschuss beziehen, steht sein Kontostand bei unter 100 Euro, darf er mit 500 Euro rechnen. Und das, auch wenn bereits Darlehen, Stipendien oder sonstige Unterstützung bezogen werden. Zurückzahlen muss der Student die Überbrückungshilfe nicht.
„Es läuft echt unkompliziert und gut“
Mittlerweile beansprucht Jonas seit fünf Monaten die Hilfsgelder des Staates und hat sich den ein oder anderen Kniff überlegt, um den Höchstsatz zu beziehen. „Im März musste ich zum Beispiel Semestergebühren bezahlen, das sind 330 Euro, ganz schön happig für Studis“, erzählt er. „Da habe ich die Überbrückungshilfe erst beantragt, nachdem das Geld vom Konto gezogen wurde.“ Denn somit lag er unter der 100-Euro-Grenze und bekam den Höchstsatz ausgezahlt.
Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Studierender das Geld Anfang, Mitte oder Ende des Monats beantragt. „Es dauert drei, vier Tage, dann kommt die Bestätigung, wenn deinem Antrag stattgegeben wurde und am nächsten Tag ist das Geld da. Das läuft schon echt unkompliziert und gut.“ Eine ähnliche Hilfe leistet die Förderbank KfW. Dort können sich Studierende Geld leihen. Der Studienkredit von bis zu 650 Euro muss zurückgezahlt werden, bis Dezember 2021 entfallen dafür allerdings keine Zinsen.
Mit der Überbrückungshilfe und dem Bafög-Geld schafft Jonas es mittlerweile sein ein paar Monaten über die Runden. Einzig größere Geldbeträge, die nicht in raten zahlbar sind, bereiten ihm Probleme. Daher hätte er sich zusätzlich zum Hilfsgeld eine Art Bonus für die Studiengebühren gewünscht.
Bars, Restaurant und Cafés geschlossen
Auch Anna verlor mit dem Lockdown ihren Nebenjob. Die 24-Jährige studiert im Bachelor Ökotrophologie und hat bis letztes Jahr auf 450-Euro-basis im „Café LilliSu“ in Altona gekellnert. Den ersten Lockdown im März letztes Jahr haste sie noch durchgestanden, gewartet bis das „LilleSu“ wieder öffnet. Mit Rücklagen und Unterstützung der Eltern hiße die oberste Prämisse: Haushalten. „Bio-Produkte im Supermarkt waren nicht drin. Dafür fehlte mir das Geld.“
Im Sommer 2020, als sich nicht nur Hamburg vermeintlich über dem Berg sah, gab es unter Auflagen wieder eine Art Normalbetrieb im „Café LilleSu“. Anna fing wieder an zu kellnern und konnte sich finanziell etwas Luft verschaffen.
Mit Beginn des zweiten Lockdowns im November ging die Unsicherheit wieder los: „Ich bin auf die Nebeneinnahmen angewiesen, daher habe ich gekündigt und mich anderweitig umgeschaut.“ Für sie persönlich war das ein kleiner Glücksgriff: Sie heuerte in einem Unternehmen an, das online Rezepte entwickelt und Ernährungsratgeber schreibt. Dort bekam sie anfangs sogar einen Coworking Space bezahlt, von wo aus sie arbeiten konnte, mittlerweile ist sie wieder an den hauseigenen Schreibtisch gewechselt und arbeitet von dort aus.
Für die Ökotrophologie-Studentin hat sich durch den Lockdown insoweit ein neues Fenster eröffnet: „ich bin froh, dass ich meinen jetzigen Nebenjob mit dem Wissen aus dem Studium verknüpfen kann.“ Auf Kellnern, sagt sie, habe sie sowieso keine Lust mehr gehabt.
Gehen Studierende als als Gewinner aus der Krise?
Daniele Janßen vom „Stellenwert“ glaubt, das Arbeitsleben werde sich nach Corona grundlegend verändert haben. „Der markt“ wird flexibler, viele Unternehmen werden auf remote setzen, Arbeit, die im Homeoffice funktioniert.“ Davon könnten Studierende profitieren. „Sie sind mit digitalen Medien aufgewachsen, haben meist eine offene Einstellung gegenüber neuen Themen und Arbeitsfeldern, was Ihnen hilft, mit Veränderungen umzugehen“, glaubt sie. Ist Corona überwunden, werden viele Unternehmen mit Vorsicht reagieren, sich flexibel absichern. Dann könnten Studierende als günstige Lösung gesehen werden und Positionen besetzen, die Firmen noch nicht als volle Stelle ausschreiben möchten. Viellicht gehen Studierende so als große Gewinner aus der Krise.
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