Interview. Ob als tragische Drag Queen Hedwig oder als fantastische Figur Starman – Sven Ratzke ist ein Vollblut-Entertainer. Am 26. und 27. Februar 2017 tritt er im Schmidt Theater auf.
Szene Hamburg: Du bist mit deiner David Bowie-Show „Starman“ weltweit unterwegs. Was macht diese so erfolgreich?
Sven Ratzke: Ich sage immer, die Show ist wie ein Acid-Trip, nur hat man am nächsten Tag keinen Kater (lacht). Ein Punkt ist natürlich die Musik von David Bowie. Aber ich übernehme nicht einfach seine Songs, sondern mache sie mir zu eigen. Die Show ist wie eine kleine Zeitreise, von London, wo Bowie bei seinem Label anfing, weiter nach Hollywood und New York zu Andy Warhol bis nach Berlin. Dazu erzähle ich fantastische Anekdoten, in die ich ein paar Fakten mische. Der Zuschauer weiß nie genau, was er glauben soll und was nicht. Bowies Songs stecken voller abstruser Geschichten, die die Leute mit in andere Welten nehmen.
Eine Show, so rätselhaft wie Bowie selbst?
Ja, genau. Bowie hat mich schon immer fasziniert und inspiriert, wie er sich in den 70er-Jahren ständig verwandelt hat von Ziggy Stardust zum Thin White Duke. Man wusste nie genau, wer er ist, er hat immer Masken getragen. Ich lebe als Künstler auch lieber in Rätseln, und möchte die Zuschauer immer wieder überraschen. Nur in meinen Emotionen, wenn ich zum Beispiel singe, trage ich eine offene Ehrlichkeit nach außen.
Spürst du einen Druck, den der Name David Bowie mit sich bringt?
Nein, daran denke ich überhaupt nicht. Als ich 2015 diese Show machen wollte, musste ich von David Bowie persönlich die Genehmigung einholen. Und er fand es gut. Ich habe mich reif genug gefühlt, seine Songs mit meinen Vorstellungen zu füllen und es mittlerweile oft erlebt, dass ich die Leute damit so berühre, dass sie sich von den Bowie-Songs lösen und auf das Neue einlassen konnten.
Davie Bowie war eine Ikone. Gibt es das heute überhaupt noch?
Er hatte den Mut, sich immer wieder ganz neu zu erfinden und hat unterschiedliche Musikstile entscheidend geprägt wie den Glam-Rock der siebziger. Sein musikalischer Einfluss ist überall zu hören. Beeindruckt hat mich, dass er bei allem, was er tat, die absolute Kontrolle hatte. Seine Musik, ob man sie mag oder nicht, war immer von Qualität. Diesen Mut, immer wieder was Neues zu kreieren, sehe ich heute nicht mehr so oft.
David Bowies Kunst war oft ein gesellschaftspolitisches Statement. Wie ist das bei dir?
Ich singe jetzt keine politischen Lieder, wie Wolf Biermann. Aber, was ich für Shows mache und wie ich diese auf der Bühne lebe, ist auch ein Statement. Mir ist wichtig zu zeigen, dass man anders sein darf und nicht in Schubladen denken sollte. Im Leben gibt es nicht nur eine lange Straße, sondern ganz viele Seitenwege. Dieses Schwarz-Weiß-Denken finde ich schrecklich und sehr schade.
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Du warst vor Kurzem mit dem Musical Hedwig & The Angry Inch im Schmidts Tivoli. Wie würdest du die Figuren Hedwig und Starman beschreiben?
Das interessante an den Figuren ist, dass ich sie so ausfüllen kann, wie ich es mir vorstelle. Nicht wie bei den kommerziellen Musicals, wo alles vorher festgelegt ist. Ich mag beide Figuren sehr gerne, gerade weil sie so unterschiedlich sind. Hedwig ist schillernd, obwohl sie alles verloren hat, aber nicht heulend in ihrer dunklen Kammer hockt, sondern protestierend auf die Straße geht und ihre Emotionen zeigt. Ich möchte aus dem Tragischen eine positive Energie rüberbringen, denn das bedeutet Bewegung. Hedwig ist eher Garagen-Rock, während Starman eleganter ist.
In Hedwig gehst du auf engen Körperkontakt mit einigen Zuschauern. Weißt du vorher, bei wem du dich auf den Schoß setzten kannst?
Ja, es gibt den kurzen Moment, wenn ich mich im Saal umschaue, in dem ich weiß, für wen das okay ist. Vielleicht habe ich das ein bisschen von meiner Mutter, einer Psychiaterin, mitbekommen, aber sicher auch durch meine langjährige Erfahrung. Ich möchte schließlich niemanden ärgern, der das ganz schrecklich findet.
Die Presse hat dich als Gossenprinz, Paradiesvogel oder Diva betitelt. Wie siehst du dich?
Das ist ein Mechanismus der Presse, mich mit einem Aufkleber versehen zu wollen. Weil ich eben nicht in eine Schublade passe, und es in Kürze nicht beschreibbar ist, was ich mache. Wenn ich nur ein Wort benutzen dürfte, würde ich sagen „Entertainer“. Ich mache Shows, in denen unterschiedliche Genres aufeinandertreffen wie Musik und Impro-Comedy, ich erzähle Geschichten und ein Hauch Cabaret ist auch dabei.
Du lebst in Amsterdam und in Berlin. Was verbindet dich mit Hamburg?
Im Schmidt Theater zu spielen, ist wie ein Nachhause kommen, weil ich dort in den letzten fünf Jahren so oft aufgetreten bin und die familiäre Atmosphäre sehr mag. Ich habe sogar mal in Hamburg gelebt, von meinem dritten bis zum fünften Lebensjahr, als meine Mutter hier studiert hat. Ich weiß noch, dass ich in einem antiautoritären Kindergarten war, allerdings nicht lange, weil die Kinder dort von den Bäumen gekackt haben. Das war meiner Mutter doch zu anarchisch. / Foto: Hanneke Wetzer
Starman im Schmidts Tivoli, 26.-27.2.17
Hedda Bültmann leitet das Theater-Ressort. Ihre Kritiken schreibt sie gerne leise vor sich schimpfend. Auch ein bisschen Theater. Für die Kollegen 😉