Tagein, tagaus wirbeln knapp zwei Millionen Menschen durch Hamburg. Wir fischen sie für einen Moment aus ihrem Alltag und lauschen ihren Geschichten. Diese Woche sind wir André begegnet
Protokoll:Rosa Krohn
„Ich komme aus Syrien. Bevor ich 2015 mit meiner Familie nach Deutschland gekommen bin, war ich einer von 20 Millionen Einwohnern und einer von nur eine Million Christen. Meine Familie, das sind mein Sohn und ich hier in Hamburg. Meine Frau kümmert sich in Aleppo um ihre kranke Mutter und ist deswegen mit meiner Tochter zurück nach Syrien gegangen. Nach Deutschland können sie nicht mehr zurück, weil ihnen der Aufenthalt gekündigt wurde. Ich versuche gerade wieder Arbeit zu finden, um mich einbürgern zu lassen und dann als Sponsor meine Familie zurückzuholen.
„Ich bin zu alt“
Vor Kurzem bin ich 60 geworden und suche jetzt schon seit fünf Jahren nach einem Job. Ich habe viele Deutschkurse gemacht und auch einen deutschen Führerschein. In Syrien habe ich Französische Literatur und Sprache studiert und ein hier anerkanntes Diplom. Ich wollte gern als Dolmetscher arbeiten. Das hat aber nicht geklappt. Deswegen bewerbe ich mich zum Beispiel als Busfahrer. Aber ich bekomme nur Ablehnungen und keine Begründungen. Ich glaube, ich bin zu alt. Sie wollen junge Leute.
Dass ich schon so lange nicht mehr arbeiten kann, verletzt meine Ehre. Ich habe mein ganzes Leben mein Geld selbst verdient. In Syrien war ich Unternehmer, hatte eine Modefirma und bin regelmäßig nach Paris gefahren und habe Damenmode importiert. Die Firma gibt es heute nicht mehr. Sie wurde im Krieg zerstört.
„Nach Syrien zurück ist für mich keine Option“
Wenn ich zurückginge, müsste ich von vorn anfangen. Doch die syrische Regierung unterstützt die Menschen nicht, wie hier in Europa. Es gibt viel Korruption. Menschen sterben vor Hunger – es ist ein Land im dauerhaften Kriegszustand. Wenn ich sehe, was in der Ukraine passiert, macht mich das sehr traurig. Ich fühle, was die Ukrainer fühlen. Jeden Moment kann eine Bombe einschlagen. Ich verstehe nicht, warum sich nicht an einen Tisch gesetzt und miteinander gesprochen wird – ohne Waffen. Sie sind verrückt. Die Menschen verlieren ihre Wohnung, ihre Arbeit, ihre Existenz und ich weiß auch, was sie erwartet, wenn sie flüchten. Auch dann ist es nicht leicht. Mein Plan ist es, es weiter zu versuchen. Nach Syrien zurückzugehen, ist für mich keine Option.“