Tagein, tagaus wirbeln knapp zwei Millionen Menschen durch Hamburg. Wir fischen sie für einen Moment aus ihrem Alltag und lauschen ihren Geschichten. Diese Woche sind wir Andreas begegnet
Protokoll:Rosa Krohn
„Der Platz hier am Hühnerposten ist mein Lieblingsort. An kalten Tagen gehe ich meist in die Bücherhalle und bei gutem Wettersitze sitze ich einfach hier und füttere Tauben. Diese Friedlichkeit ist einfach schön. Ich bin jetzt 63 und seit vier Jahren arbeitslos. Damit mir zu Hause die Decke nicht auf den Kopf fällt, gehe ich gern raus. Zuletzt habe ich als leitender Buchhalter gearbeitet. Die Firma ist Konkurs gegangen und sich mit 60 noch mal zu bewerben, da ziehen die Leute nur die Augenbrauen hoch. Man könnte zwar von meiner jahrelangen Erfahrung profitieren, aber ich bin eben alt. Zwar wird es einem nie so direkt gesagt und am Anfang haben mich die Absagen und all die Ausreden auch wütend gemacht. Doch mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Auch bei der Arbeitsagentur haben sie akzeptiert, dass es für mich nichts mehr gibt.
„Zurück auf null“
In meinem Berufsleben bin ich viel rumgekommen. Eine Weile war ich als freiberuflicher Dozent im Osten von Dresden bis nach Bergen auf Rügen unterwegs. Die Lehrtätigkeit war meine Berufung. In den 1990er-Jahren durfte ich sogar mal eine Klasse mit Einzelhandelskaufleuten übernehmen. Da kam ich rein, habe mich vorgestellt und mich nach dem Wissensstand der Klasse erkundigt. Ein Desaster. Ich bat sie, alles wegzuschmeißen. Zurück auf null. Und dann habe ich mit ihnen von vorn angefangen. Wenn ich mal mitbekam, dass es abseits des Unterrichts Probleme gab, mit Behörden oder dem Arbeitsamt, dann haben wir auch solchen Dingen mal eine Stunde gewidmet. Mein Problem war irgendwann, dass die Arbeit nicht mehr so gut bezahlt wurde und das Hin und Her hat sich nicht mehr gelohnt. Also habe ich die Stelle in der Buchhaltung angenommen.
Offen für Australien
Als die Firma vor knapp drei Jahren Konkurs ging, kam mir das gelegen. Ich hatte keine Lust mehr auf den Job. Eine Zeit lang habe ich noch freiberuflich Nachhilfe gegeben. Tja, und inzwischen macht es mir Spaß, Tauben zu füttern (lacht). Ich stehe morgens gegen 8 Uhr auf, telefoniere mit Freunden und gehe frühstücken. Immer mit dabei: mein kleines Radio und meine Kopfhörer. Ich setze mich dann in einen Laden in der Mönckebergstraße und schaue, wie die Leute vorbeischlendern. Dann komme ich hier her. Ich fühle mich pudelwohl allein. Es wird so oft gesagt: ‚Allein gleich einsam.‘ Aber ich komm unheimlich gut mit mir klar, ich mag mich. Natürlich habe auch ich Phasen, in denen ich sage: ‚Andreas, du siehst scheiße aus‘. Aber solche Phasen hat doch jeder. Gerade kann eigentlich alles so bleiben. Ich bin aber immer offen für Neues. Wenn mich jemand fragt, ob ich Lust hätte, ’n Jahr mit nach Australien zu gehen, würde ich das machen – aber nur in der Sommerzeit!“