Anita: „Die Anthroposophie sagt: Alles in Rhythmen.“

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Foto: Kevin Goonewardena

Tagein, tagaus wirbeln knapp zwei Millionen Menschen durch Hamburg. Begleitet von hvv switch fischen wir sie für einen Moment aus ihrem Alltag und lauschen ihren Geschichten. Diese Woche sind wir Anita begegnet.

Protokoll & Foto: Kevin Goonewardena

„Ich bin 1992 mit meinen Eltern wegen des Jugoslawienkrieges aus dem Kosovo nach Hamburg gekommen, damals war ich fünf. Die ersten Jahre haben wir in verschiedenen Flüchtlingsheimen gewohnt, keine einfache Zeit. Hamburg hilft Menschen wie mir, sich selbst auszuprobieren und kennenzulernen. Das habe ich gemacht, ich habe mich in Hamburg so ausgelebt, wie ich es mir als Jugendliche immer ausgemalt habe. Und als Mutter kann ich jetzt rückblickend sagen: Zum Glück ist alles gut gegangen. Und ich muss nicht sagen, ‘Das hätte ich gerne gemacht’.

„Streiten muss man lernen“

In Hamburg und anderen Großstädten scheinen viele zu denken, dass jeder und alles austauschbar ist. Das finde ich schade. Die Bereitschaft, an etwas zu arbeiten und sich Konflikten zu stellen, nimmt ab. Das kommt meiner Meinung nach daher, dass die Großstadt einem den Schein vermittelt, dass es so viele andere Menschen um einen herum gibt, die man wie Unterhosen austauschen könne. So geht jedem Menschen etwas verloren, wenn man nicht lernt, miteinander zu streiten. Das muss in einer Großstadt wie Hamburg gelernt werden. Was groß im Kommen ist, ist dieses Selfcare-Arschloch, was sich nur um sich selbst kümmert, mit so einer inneren Fuck-You-all-Haltung.

Achtsam sein, meditieren, beten, alle schön und gut, um mit sich selbst klarzukommen, aber bitte, bitte scheut nicht den Konflikt mit anderen, euch und eure Gefühle zu erklären und andere daran teilhaben zu lassen. Immer alles austauschen, auswechseln zu wollen, kostet viel mehr Energie, als das Gespräch zu suchen. Pflegt doch mal eure Freundschaften!

Hamburg, eine Durchfahrtsstadt?

Mir wurde mal gesagt, wenn man wirklich jede Ecke von Hamburg kennt, dann bleibt einem nur in die nächstgrößere Stadt zu gehen, Berlin beispielsweise. In Hamburg kann man unterschiedlichste Menschen treffen, hier trifft sich wirklich alles. Diesen Umstand und die Möglichkeiten, die man hier hat, schätze ich sehr. Aber Hamburg ist auch irgendwie so eine Durchfahrtsstadt. Ich habe viele Leute kennengelernt, die nur kurzzeitig hier waren und dann weiterzogen. In Hamburg gibt man und nimmt sich was mit und dann geht es für viele Leute, die ich in den fast 30 Jahren, die ich hier nun schon lebe, kennengelernt habe, weiter. Die Anthroposophie sagt immer: Alles in Rhythmen.

Ich mag’s, das Hamburg weiterhin politisch ist. Die Demos, die gute linksorientierte, grün-versiffte Stimmung, die mag ich gerne. Auch wenn ich da jetzt ein bisschen raus bin. Hamburg war schon immer eine geballte Kulturstadt für mich, das hat sich die Stadt bewahrt: Konzerte, Partys und Lesungen.

Heute kann ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen auszugehen. Ich habe immer noch viel Energie, ich glaube, deswegen kann ich auch eine Klasse so gut handeln, da kommt ja unglaublich viel Energie von den Kindern und Jugendlichen auf einen zu. In der Elternzeit musste ich dann neue Wege finden. Ich hatte einfach keine Kraft mehr, das kommt jetzt so langsam wieder. Jetzt spanne ich mir meinen eigenen neuen Kosmos durch die Möglichkeiten, sich neu kennenzulernen, die es jetzt gibt. Ich habe durch die Waldorfpädagogik und die Anthroposophie ganz viel Werkzeug mitbekommen.

„Der Hafen ist nicht meins“

Was ich in Hamburg nicht so mag, ist der Hafen. Ich bin ´ne Zeit lang mit meinen Leuten auf Dächer gestiegen, durch diese Dachluken, die oft unverschlossen waren. Geklingelt, gesagt man habe den Schlüssel vergessen oder Ähnliches und dann über den obersten Stock aufs Dach, oft nachts. Es gibt viele Hochhäuser in Hamburg, von denen man einen Rundumblick hat.

Wenn man dann gefragt hat, was den Leuten am besten gefällt, haben die meisten gesagt, die Lichter am Hafen. Ich konnte dem nie was abgewinnen, ich musste immer an die Menschen denken, die tagsüber geschlafen haben, um nachts ihre Familien zu ernähren. Wenn ich Richtung Hafen gucke, sehe ich ganz viel Metall, ich sehe Kräne, ich sehe laute Dampfer, die wirklich nicht umweltfreundlich sind. Ich stelle mir das alles sehr kühl vor. Ich schaue nicht darauf und denke: Ist das schön.

Aber Wasser verbinde ich schon mit Hamburg. Ich kann Euch raten: Macht mal eine schöne Kanalfahrt, angefangen auf der Alster. Nicht die Einstündige für Touristen, sondern die große, die Zweistündige. Was ich mir für Hamburg wünsche? Dass die Mieten runter gehen.“

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