Tagein, tagaus wirbeln knapp zwei Millionen Menschen durch Hamburg. Begleitet von hvv switch fischen wir sie für einen Moment aus ihrem Alltag und lauschen ihren Geschichten. Diese Woche sind wir Osama begegnet.
Protokoll: Kevin Goonewardena
„In meiner Heimat, dem Jemen, wird man immer danach beurteilt, ob man sich religiös verhält oder nicht. Alle sind super eng miteinander: Familie, Freunde, Nachbarn, man hat eigentlich keine Privatsphäre. Egal was man macht, wohin man geht, man steht immer unter Beobachtung. Alle wissen immer alles. Das ist in Deutschland ganz anders und in Hamburg sowieso. Das Problem für mich ist, ich bin überhaupt nicht religiös. Deswegen konnte ich im Jemen nicht so leben, wie ich wollte: Bier auf der Straße trinken, so wie jetzt gerade, oder meine Frau in der Öffentlichkeit küssen, daran wäre überhaupt nicht zu denken gewesen. Im Jemen ist die Gesellschaft einfach eine andere, denn wenn man nicht religiös ist, dann ist vieles nicht möglich. Und ist man gläubig, dann wird man durch die religiösen Regeln beschnitten, auch wenn das natürlich viele Leute nicht so empfinden.
„Viele haben ein schlechtes Bild“
Das hier in Deutschland viele Leute ein schlechtes Bild vom Jemen haben, kann ich verstehen. Aber kennst du einen Deutschen, der schon einmal im Jemen gewesen ist? In den Medien hört man immer nur vom Bürgerkrieg, von Hunger, Armut, den generell sehr schwierigen Bedingungen. Das Leben im Jemen ist für die meisten Menschen tatsächlich nicht einfach und auch überhaupt nicht angenehm. Angenehm ist es nur, wenn man die finanziellen Möglichkeiten hat. Die Mittelschicht im Jemen lebt superluxuriös. Auch wenn ich sehr eingeschränkt gewesen bin, finanziell ging es meiner Familie und mir nicht schlecht. Um hier in Hamburg das Leben wie im Jemen führen zu können, müsste ich wohlhabender sein. Aber die Freiheit, das Leben so leben zu können, wie man sich das vorstellt, wiegt mehr, deswegen bin ich gegangen. Und wirklich schlecht geht es mir ja hier auch nicht.
Veränderung durch die Jugend?
Die Bevölkerung im Jemen ist sehr jung und wird noch jünger, denn sie wächst sehr schnell. Die Jugendlichen werden hoffentlich irgendwann vermehrt den Weg gehen, den ich gegangen bin und den auch viele andere meiner Landsleute gehen, die etwas vom Leben haben wollen. Sie werden diesen Weg gehen müssen, wenn sich im Jemen nichts ändert. Vor allem wenn man nicht zu denen gehört, die Geld haben oder sich nicht religiösen Regeln unterwerfen möchte. Trotzdem vermisse ich meine Heimat. Perfekt wäre für mich wohl eine Gesellschaft, die ein bisschen so ist wie im Jemen und ein bisschen so wie in Deutschland. Aber die gibt es nicht.
Neuanfang in Deutschland
Im Jemen war uns alles einfach zu viel. Deswegen habe ich mich vor etwas mehr als vier Jahren auf den Weg gemacht und mich um einen Masterstudiengang in Wirtschaftsökonomie bemüht. Im Jemen und später auch in Beirut habe ich BWL im Bachelor studiert. Mit dem Studiengang hat es nicht geklappt, dann habe ich einen Asylantrag gestellt und erst einmal zwei Jahre in Berlin gewohnt, bevor ich hier noch Hamburg gekommen bin. Hier mache ich gerade einem C1-Sprachkurs und warte mit meiner Frau auf unseren Nachwuchs. Wie unser Leben aussehen soll? Anders als es im Jemen war, natürlich, aber genaue Vorstellungen habe ich noch nicht. Ich genieße die Möglichkeiten hier und lasse die Dinge gerne auf mich zukommen.“