18.07. | Literatur | Beale Street Blues | James Baldwin

James Baldwin hat mit seinem Roman „Beale Street Blues“ bereits 1974 eine erschreckende Situationsbeschreibung des amerikanischen Gefängnissystems geboten
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Kritik

Seit dem Mord an George Floyd finden weltweit zahlreiche Proteste gegen den Rassismus der weißen Justiz in den Vereinigten Staaten statt. James Baldwin, der als schwarzer Schriftsteller und Bürgerrechtler als Ikone der Gleichberechtigung gilt, hat mit seinem Roman „Beale Street Blues“ bereits 1974 eine erschreckende Situationsbeschreibung des amerikanischen Gefängnissystems geboten – in dem er die Fortsetzung der Sklaverei mit anderen Mitteln sah.

Berichtet wird im Roman – der 2018 von „Moonlight“-Regisseur“ Barry Jenkins verfilmt wurde – aus der Perspektive der 19-jährigen Tish, die in einem New Yorker Schwarzenviertel aufgewachsen ist. Die Geschichte verläuft nicht chronologisch, sondern beginnt damit, dass Tish ihren Freund Fonny im Gefängnis besucht, um ihm ihre Schwangerschaft zu gestehen. Erst im Laufe des Buchs erfährt der Leser durch diverse Rückblenden den Grund für seine Festnahme: Officer Bell wollte sich wegen einer Lappalie an Fonny rächen. So wird ihm die Vergewaltigung einer Puerto-Ricanerin vorgeworfen, obgleich er die Tat offensichtlich nicht begangen hat. Miese Tricks führen dazu, dass er verhaftet wird. An Fonny wird ersichtlich, wie sehr die würdelosen und teilweise sadistischen Handlungen der Polizeigewalt sowie permanente Diskriminierung im Alltag den seelischen Zustand eines Menschen belasten.

Ambivalente Charaktere

Angenehm ist hierbei, wie Baldwin auf Pauschalisierungen verzichtet. Vielmehr setzt er auf ambivalente Charaktere; Fonnys fanatische Mutter etwa, der trotz ihrer übertriebenen Gottesfürchtigkeit Solidarität ein Fremdwort ist. Oder Officer Bell, der aufgrund seiner irischen Wurzeln als „Weißer zweiter Klasse“ gehandelt wird und versucht, seine Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren, indem er Frauen und Schwarze erniedrigt. Selbst der meist liebevolle Fonny schlägt Tish einmal und besitzt eine stark fragwürdige, machohafte Seite.

reale-street-blues-coverBaldwin führt vor Augen, was strukturell verankerte, rassistische Glaubenssätze aus und mit Menschen machen. Die Slang-Sprache ist überwiegend derb. So gehören Wörter wie „Schwanzlutscher“ oder „Fotzenfresse“ zum täglichen Vokabular. Nicht nur gegenüber den „Weißärschen“, sondern auch untereinander wird durchweg beleidigt und diskriminiert. Nur die Liebe zwischen Tish und Fonny bringt friedvolle Momente ein. Dort wird die einfache, ruppige Sprache abgelöst von literarischen, ruhigen Abschnitten voller Wehmut und Poesie.

In bedrückender Atmosphäre malt Baldwin das Porträt einer Gesellschaft, die auf Hierarchien fußt – abhängig von Ethnie, Klasse und Geschlecht. Inspiriert wurde der 1987 verstorbene Autor dabei von einem Freund, der unschuldig im Gefängnis saß. Der Originaltitel „If Beale Street Could Talk“ stammt übrigens von einem Jazz-Song, der genau so wehmütig und tragisch ist wie das Leben der beiden Liebenden.

/ Ingrun Gade

James Baldwin: „Beale Street Blues“, dtv, 224 Seiten, 20 Euro


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18. Juli 2021
04:35
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