SZENE HAMBURG: Frau Anders, Sie haben als Dramaturgin auf Kampnagel, am Deutschen Schauspielhaus und Chefdramaturgin am Thalia Theater bei Ulrich Khuon gearbeitet. Nach sechzehn Jahren kehren sie nun wieder nach Hamburg zurück. War das von Anfang an Ihr Plan?
Sonja Anders: Die Sehnsucht, zurückzukommen, war immer da, weil ich die Stadt, ihre Menschen und die Landschaft rund um Hamburg so liebe. Aber den großen Schlachtplan, wieder an ein Theater nach Hamburg zu kommen, hatte ich überhaupt nicht. Erst als mir gesagt wurde, dass Joachim Lux das Theater verlässt, hat es bei mir gezündet.
Es gibt zwei Arten von Intendantinnen: Die einen kommen aus dem Bereich der Dramaturgie – was bei Ihnen der Fall ist –, die anderen aus dem Bereich der Regie. Welche Tätigkeit harmoniert besser mit der Leitung eines so großen Hauses?
Ich glaube, es hat Vorteile, wenn man nicht inszeniert, weil man einfach mehr Raum hat für den Betrieb und die Mitarbeitenden. Aber ich muss ehrlich sagen, dass ich manchmal denke, es wäre schön, wenn ich mehr mit dem Ensemble und der Technik zu tun hätte. Insofern bin ich da ambivalent. Ich widme mich aber gerne dem Betrieb und den Strukturen und frage danach, wie man sich begegnen und gemeinsam entwickeln kann.
Das Theater in Zeiten von Empathielosigkeit: Für Anders Abbildung von Verstand, Geist und Seele
Worin sehen Sie generell die Aufgabe des öffentlich geförderten Theaters?
Theater sind extrem wichtige Orte der Anwesenheit und Auseinandersetzung. Unsere Öffentlichkeit verlagert sich immer mehr ins Netz und dies isoliert die Menschen voneinander. Deshalb ist mir wichtig, das Theater noch mehr zu öffnen und zu beleben. Außerdem ist das Theater einer der wenigen nicht-kommerziellen Orte der Auseinandersetzung mit Gegenwart durch Kunst. Wir müssen zwar zunehmend auf das Geld achten, haben gleichzeitig aber den Auftrag, einen Spielplan für alle anzubieten. Und noch ein dritter Punkt beschäftigt mich sehr: Welche Bedeutung hat das Theater in einer Zeit der Empathielosigkeit? Ich glaube, dass das Theater zutiefst berühren kann durch den gemeinsam geteilten Augenblick, durch die Tatsächlichkeit der Körper auf der Bühne. Religiös ausgedrückt könnte man sagen, wir bilden im Theater nicht nur den Verstand, sondern auch den Geist, die Seele.
Gespräche mit demokratiekritischen Menschen sind schwer für mich, aber es gibt auch unter ihnen solche, die erreichbar sind und diese Menschen sind eingeladen, sich mit uns auseinanderzusetzen.
Sonja Anders
In einer zunehmend diverseren Gesellschaft ist es nicht leicht, alle Zielgruppen zu adressieren. Wie erreicht man diejenigen, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben oder demokratischen Diskursen skeptisch gegenüberstehen?
Wir sollten gerade jetzt auch schwierige Diskurse führen. Gespräche mit demokratiekritischen Menschen sind schwer für mich, aber es gibt auch unter ihnen solche, die erreichbar sind und diese Menschen sind eingeladen, sich mit uns auseinanderzusetzen. Es gibt Themen, die diese Menschen umtreiben und nur, wenn wir miteinander sprechen, können Intoleranz, Abgrenzung und Wut vielleicht nachvollzogen und gekontert werden.
Sie sind Nachfolgerin von Joachim Lux, der das Thalia Theater sechzehn Jahre lang geleitet hat mit einer hohen Kontinuität im Ensemble und einer bundesweiten Strahlkraft. Wie fühlen Sie sich mit dieser Messlatte vor Augen?
Mehr als die Hälfte des festen Ensembles wird bleiben, und auch was Regie und Autorschaft angeht, wird es Kontinuität geben. Vorerst versuche ich aber, mir wenig Druck zu machen, denn ob man wirklich angekommen ist, zeigt sich frühestens in der dritten Spielzeit – das sagt meine Dramaturgin Nora Khuon immer. Jetzt planen wir erst mal mutig vorwärts für ein neues Thalia Theater.
Kritische Stimmen haben angemerkt, durch Ihre Wahl zur Intendantin würde sich am Thalia Theater gar nicht so viel ändern, weil Sie sich ästhetisch auf einer ähnlichen Wellenlänge wie Ihr Vorgänger bewegen. Sehen Sie das auch so?
Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir ähneln uns tatsächlich darin, dass wir die Öffnung des Theaters für politische Diskurse befürworten. Aber ich glaube, dass ich stärker als Joachim Stoffe und Reibungsflächen in der Gegenwart suche. Und natürlich setze ich mich als Frau stärker mit Feminismus und Themen der Gleichberechtigung auseinander. Auch Gefühle und Empathie sind mir sehr wichtig.
Viel leibt erhalten, einiges wird neu: Ein komplett weibliches Leitungsteam und mehr Verbindung zur freien Szene
Sie kommen mit zwei langjährigen Arbeitspartnerinnen nach Hamburg: der Regisseurin Anne Lenk und der Dramaturgin Nora Khuon. Damit wird das Thalia Theater zum ersten Mal in seiner fast 180-jährigen Geschichte von einem weiblichen Team geleitet …
Das ist auch wirklich höchste Zeit. Und wir wollen gleich in der ersten Spielzeit das Programm so bunt und divers wie möglich gestalten. Das heißt, dass sogar Männer inszenieren dürfen. (lacht) Wir wollen niemanden ausschließen. Alle Männer – ob queer oder hetero – sind herzlich eingeladen, teilzuhaben an unseren Gedanken. Den Diskurs finde ich sehr wichtig.
ich glaube, dass ich stärker als Joachim Stoffe und Reibungsflächen in der Gegenwart suche. Und natürlich setze ich mich als Frau stärker mit Feminismus und Themen der Gleichberechtigung auseinander. Auch Gefühle und Empathie sind mir sehr wichtig.
Sonja Anders
Verraten Sie schon etwas Konkretes zum Programm der ersten Spielzeit?
Zunächst bespielen wir eine Woche lang den Gerhart-Hauptmann-Platz. Danach eröffnen wir mit Shakespeare: Anne Lenk inszeniert „Was ihr wollt“ und auf der Bühne spielt das Orchester im Treppenhaus mit klassischen Instrumenten eine tragende Rolle. Danach werden wir einen Hamburger Stoff zeigen: „Marschlande“, ein Drama von Hannah Zufall nach einem Roman von Jarka Kubsova in der Regie von Jorinde Dröse. Es handelt von einer Hexenverbrennung in Ochsenwerder vor fast 500 Jahren. Dann zeigen wir noch eine Uraufführung von Klaus Manns erstem Roman „Der fromme Tanz“ in der Gaußstraße. Der israelische Regisseur Ran Chai Bar-zvi inszeniert diese Coming-out-Geschichte aus den 1920er-Jahren, die sich auch – aber nicht nur – an eine queere junge Community wendet. Wir bringen auch Inszenierungen aus Hannover mit, zum Beispiel „Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl. Außerdem zeigen wir „Gefährliche Liebschaften“ und viele Koproduktionen wie „Die kleine Meerjungfrau“, die gerade in Zürich einen triumphalen Erfolg feiert und Hamburger Drags einbindet. Es gibt also ein wirklich sehr buntes Programm mit elf Ur- und deutschen Erstaufführungen.
Die internationale Ausrichtung des Hauses – zum Beispiel mit den Lessingtagen – bleibt erhalten?
Die Lessingtage bleiben erhalten und dort laden wir auch weiter Gastspiele aus dem Ausland ein. Ansonsten wird es einen internationalen Fokus eher auf Koproduktionen geben. „Hope“, was wir mit Tanz und Musik mit den Niederlanden produzieren, ist ein gutes Beispiel.
Knüpfen Sie auch Kontakte zur freien Szene, wie Sie es in Hannover getan haben?
Ja. Wir möchten uns auch in Hamburg mit der freien Szene verbinden und neue Räume öffnen. Wir werden zudem eine kleine neue Spielstätte in der Gaußstraße haben. Im Foyer können dann Projekte des jungen Nachwuchses und der freien Szene stattfinden.