Theaterkritik: „Der Morgenstern“

Wandelnde Leichen und andere Pechvögel: „Der Morgenstern“ unter der Regie von Viktor Bodo im Deutschen Schauspielhaus
Einfach weitermachen wie bisher? – „Der Morgenstern“ bedroht die Welt (©Thomas Aurin)
Einfach weitermachen wie bisher? – „Der Morgenstern“ bedroht die Welt (©Thomas Aurin)

„Etwas Schreckliches wird passieren, das sagt der Stern“, unkt Pastorin Kathrine (Julia Wieninger), als sie in einer heißen Sommernacht das gleißende Licht eines neuen Gestirns erblickt. In der deutschsprachigen Erstaufführung der Theateradaption „Der Morgenstern“ nach dem gleichnamigen Roman des Norwegers Karl Ove Knausgård am Schauspielhaus erfüllt sich die Prophezeiung der Gottesfrau. Die apokalyptische Kraft des Himmelskörpers sucht die Stadt Bergen heim: Eine Gruppe mehr oder weniger vernetzter Einwohner erlebt die ganze Bandbreite des Schreckens, von Sucht und Eifersucht bis zu toten Kindern und wandelnden Leichen.

Viel schwarzer Humor: „Der Morgenstern“

Im von Viktor Bodo mit viel schwarzem Humor inszenierten Stück von Armin Kerber entfaltet sich ein Potpourri der Schicksale. Die Pastorin etwa ist von ihrem Mann (wunderbar spießig: Yorck Dippe) angeödet, wähnt sich aber von ihm schwanger. Ein ins Feuilleton strafversetzter Lokalreporter (Samuel Weiss) rehabilitiert sich mit einer Story über Ritualmorde, während sich sein Sohn (Leonard Tondorf) mit einem Jagdgewehr die Kugel gibt. Ein Philosoph (tiefgründig: Markus John) versagt als Vater, einem Kindergärtner (Maximilian Scheidt) rollt ein Baby vom Wickeltisch und ein Pathologe (Christoph Jöde) legt sein Skalpell versehentlich bei einem Wiederauferstandenen an.

Die Leben dieser und weiterer Pechvögel kreisen im Schauspielhaus wortwörtlich um das helle Licht von oben: Auf der Drehbühne rotiert ein labyrinthisches Gebäudeensemble, in dessen Räumen sich die Handlungsstränge abwechseln (Bühne: Jane Zandonai). Parallel werden auf eine Leinwand Filmmitschnitte des Bühnengeschehens projiziert, oft aus schrägen Perspektiven. So wird in der gelungenen Inszenierung jede Allzumenschlichkeit entlarvt; der Stern zerrt alles in sein unbarmherziges Licht – ohne allerdings die eigene Herkunft preiszugeben.

Der Morgenstern“ ist am 7., 18., 24. Juni 2023 und weiteren Terminen im Deutschen Schauspielhaus zu sehen. Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 06/2023 erschienen.

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