Für beide war es die Liebe ihres Lebens! Nun stehen sie sich vor Gericht gegenüber: Sie beschuldigt ihn der Vergewaltigung, er bestreitet den Vorwurf und vermutet ein Rachemotiv hinter ihrer Klage. „Sie sagt. Er sagt.“ nennt Ferdinand von Schirach sein jüngstes Gerichtsdrama. Große Bekanntheit erlangte der studierte Jurist durch seine Romane, Kurzgeschichten und Dramen, die sich mit Vorliebe uneindeutigen Fällen widmen. Kann ein Urteil gesprochen werden, wenn Aussage gegen Aussage steht? Das versuchen die Beteiligten in der von Axel Schneider inszenierten Bühnenfassung zum Auftakt der Saison in den Kammerspielen zu klären.
Sex mit dem Ex: einvernehmlich vom Anfang bis zum Ende?
Nach einer vierjährigen Affäre und anschließender Trennung lassen sich eine populäre TV-Moderatorin und ein angesehener Industrieller noch einmal auf gemeinsamen Sex ein. Ab hier gibt es zwei Versionen: Während des Akts habe sie ihre Meinung geändert und bat ihn, aufzuhören, doch aufgrund seiner körperlichen Überlegenheit rammelte er bis zum Orgasmus weiter, behauptet sie. Er hingegen beteuert, es habe einvernehmlichen Oralverkehr gegeben. Entwürdigend, aber für die Wahrheitsfindung offenbar notwendig, sind die detaillierten Schilderungen intimster Situationen. Dabei werden die Gesichter der Aussagenden großformatig auf die Bühnenrückwand projiziert. Klägerin und Beklagter äußern sich gleichermaßen überzeugend, das Publikum gerät in jenes Dilemma, in das von Schirach seine Leserschaft gern stürzt. Denn auch die Zeugenvernehmungen bringen keine Klarheit. Dass die Rechtsbeistände beider Parteien ihre Argumente durch absurd überspannte Vortragsweisen als Beinahe-Anwaltskarikatur diskreditieren, ist weniger eine Intention von Schirach, sondern die Entscheidung der Regie. Mit Spannung verfolgt das Publikum ein Verfahren auf der Bühne wie in einem Gerichtssaal, um am Ende von einer verblüffenden Wendung überrascht zu werden – sofern der Ausgang nicht aus der ZDF-Verfilmung bekannt ist.