Mit Arbeiten von mehr als 30 internationalen Künstlern beleuchtet die Ausstellung „Trauern“ Verlust und Veränderung. Wir sprachen mit der Kuratorin Brigitte Kölle über die unterschiedlichen Arten des Trauerns, über die politische Dimension des Gefühls und darüber, warum es großartig ist
Interview: Isabel Rauhut
SZENE HAMBURG: Brigitte Kölle, auf die er folgreichen Ausstellungen „Scheitern“ und „Warten“ folgt jetzt „Trauern“. Wie haben sich die Themen herauskristallisiert?
Brigitte Kölle: Eigentlich haben sie sich ganz organisch ergeben. Jedenfalls war das Ganze anfangs nicht als Reihe angelegt, macht als solche aber rückblickend sehr wohl Sinn. Die Themen Scheitern, Warten und Trauern verbindet ja, dass sie Brüche und „blinde Flecken“ markieren, in einem auf Reibungslosigkeit und Funktionieren hin getrimmten Tages- und Lebensablauf. Genau dies interessiert auch viele Künstlerinnen und Künstler: Gerade in diesen Leerstellen sind Innehalten, Reflexion – und auch Kreativität möglich. Trauer ist sehr individuell.
Wie haben Sie sich dem Begriff angenähert, wie haben Sie ihn eingegrenzt oder auch erweitert?
Es stimmt, DIE Trauer gibt es nicht. Jeder Mensch trauert anders. Und auch die Trauer eines Einzelnen wandelt sich und kann unterschiedliche Formen annehmen. Insofern hat die Ausstellung auch einen Titel in Verbform: trauern. Damit ist ein Moment der Prozesshaftigkeit, des Wandels angesprochen.
Ausgangspunkt der Ausstellung war meine Beobachtung, dass zeitgenössische Künstler sich verstärkt und in vielfältiger Form mit Verlusterfahrungen auseinandersetzen. Da berühren sich also die Kunst und das Leben – das finde ich persönlich sehr spannend. Was kann uns die Kunst erzählen? Welche Bilder finden Künstler für ganz elementare und zuweilen in höchstem Maße verstörende und erschütternde Verlusterfahrungen?
Auffällig angesichts der Arbeiten ist, wie politisch Trauer sein kann. Ob es Morde an Schwarzen oder Bilder aus dem Syrienkrieg sind.
Wenn man sich intensiv mit einem Thema beschäftigt, lernt man dazu. Für mich als Kuratorin war hierbei die Erkenntnis zentral, dass der gesellschaftliche und öffentliche Umgang mit Trauer ungeheuer viel auszusagen vermag über die Gegenwart, in der wir leben. Um wen trauern wir und um wen nicht? Es gibt gleichsam eine Hierarchie der Trauer. Darin liegt eine Wertschätzung und eine klare Wertung.
Im Booklet zitieren Sie Judith Butlers Frage „Welches Leben ist betrauernswert?“
Die amerikanische Philosophin Judith Butler hat sich nach 9/11 intensiv mit diesen Fragen beschäftigt und war für mich in dieser Hinsicht ein regelrechter „eye-opener“. In der Ausstellung spiegelt sich die Frage nach der unterschiedlichen Wertschätzung, die in unterschiedlichen Intensitäten von gesellschaftlicher Trauer zum Ausdruck kommt, in zahlreichen Positionen wider: Der US-amerikanische Künstler Dread Scott thematisiert die Polizeigewalt gegenüber Schwarzen (und das gesellschaftliche Desinteresse). Felix Gonzalez-Torres rückt die Verluste in der AIDS-Krise und Khaled Barakeh die Opfer des Syrienkrieges ins Blickfeld. Und der junge tschetschenische Künstler Aslan Ġoisum führt uns auf stille, aber eindrückliche Weise die Folgen der Zwangsdeportation unter Stalin vor Augen und was es heißt, seine Heimat zu verlieren.
„Trauer und Protest liegen nah beieinander“
Sind in diesem Zusammenhang auch die Bilder von Willem de Rooij zu sehen, die erst in den Titeln aufdecken, ob es sich um Trauernde oder Demonstranten handelt?
Trauer und Protest liegen nah beieinander. Wenn die ungleiche Verteilung von öffentlicher Trauer es vermag, gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen, dann kann sie auch dazu führen, diese nicht einfach stillschweigend hinzunehmen.
Willem de Rooij hat zwei Jahre lang Fotos aus Zeitungen, die Trauernde, Demonstrierende und Protestierende zeigen, gesammelt und diese ohne Quellenangaben auf großen Bildpanels zusammengefügt. So entsteht ein Bilderatlas einer medialen Repräsentation von Trauer und Protest.
Sehr bewegend sind Paul Fuscos Fotos der Trauernden, die dem ermordeten Robert Kennedy an den Bahngleisen Respekt zollten, als sein Leichnahm 1968 nach Washington, D.C. gebracht wurde. Eine Million Menschen sollen es gewesen sein. Wie kam die Dokumentarfotografie in die Ausstellung?
Die farbintensiven fotojournalistischen Arbeiten von Paul Fusco sind beeindruckend und haben andere Künstler zu eigenen Arbeiten inspiriert. Darunter Rein Jelle Terpstra aus Amsterdam, der den Blick von Fusco auf die vielen Trauernden aus dem Zug mit Kennedys Leichnam zurückwirft. Er zeigt die Fotos und Filme, die die Trauernden selbst gemacht haben. Schuss – Gegenschuss!
Und der französische Künstler Philippe Parreno hat auf der Grundlage von Fusco-Fotos einen Film gedreht, der wie eine Art surreales Reenactment der Szenerie daherkommt und damit die Frage stellt, was von dem Ereignis des Jahres 1968, das ja zugleich ein Abgesang auf die gesellschaftlichen Visionen eines Amerikas ohne Rassendiskriminierung war, in heutiger Zeit noch aktuell ist.
Betritt man die Ausstellung, hört man keltischheidnische Klagegesänge der Künstlerin Susan Philipsz. Wollen Sie den Besuch gleich zu Beginn mit Emotion aufladen?
Die Sound-Skulpturen von Susan Philipsz sind emotional und konzeptuell zugleich. Sie überwältigen nicht, obwohl sie berühren. Susan hat sich ein altes irisches Klagelied vorgenommen und es bis auf die Grundtöne reduziert. Sie singt einzelne Töne selbst, die über vier Lautsprecher auf unterschiedlichen Höhen des großen Lichthofs der Galerie der Gegenwart regelrechte Tonkaskaden bilden. Die menschliche Stimme ist zugleich körperlos als auch ungeheuer präsent – ein besonderes Erlebnis!
„Trauer ist der Beweis für unsere Liebesfähigkeit“
Wie wirkt es sich persönlich aus, sich so lange mit dem Thema Trauer zu beschäftigen?
Auf gewisse Weise musste ich mir im Laufe der Vorbereitung einen distanzierteren, fast analytischen Blick antrainieren: Wie ist das gemacht? Welche Aspekte thematisiert das Kunstwerk? Inwiefern bereichert und erweitert es die Bandbreite der gezeigten Werke? Es handelt sich hier schließlich nicht um die Vorbereitung einer Therapiesitzung, sondern um eine Kunstausstellung … Und dennoch geht das irgendwie ineinander über.
Denn dass die Künstler sich mit dem Thema beschäftigen, ist ihnen ein echtes, auch persönliches Bedürfnis. Und sie bieten damit gewissermaßen eine offene Flanke. Das ist für mich als Kuratorin, aber auch für die Besucher ein Geschenk.
Was sagt unser heutiger Umgang mit Trauer für Sie über unsere Gesellschaft aus?
Der gesellschaftliche Umgang mit Trauer impliziert eine Wertung, ein Ein- und Ausgrenzen. Und die Trauer sagt viel darüber aus, ob wir uns als verletzliche Wesen selbst akzeptieren und gegenseitig aushalten. Leider spricht die zunehmende Pathologisierung der Trauer eindeutig dagegen.
Letztlich ist die Trauer – so absurd das zunächst klingen mag – eine großartige Sache, denn sie ist der Beweis für unsere Beziehungs- und Liebesfähigkeit. Wenn uns alles und jeder egal ist, dann können wir keinen Verlust und damit keine Trauer empfinden. Und das wäre eine schreckliche Vorstellung!
Hamburger Kunsthalle/Galerie der Gegenwart: Trauern. Von Verlust und Veränderung, Eröffnung: 6.2., 19 Uhr, bis 14.6.
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Februar 2020. Das Magazin ist seit dem 30. Januar 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!