Osdorf und Lurup: 50 Jahre Warten auf die U-Bahn

Vor 50 Jahren wurde Osdorf und Lurup eine U-Bahn versprochen, die nie fuhr. Ohne Menschen wie Gerhard Sadler würde es dort wohl bis heute nicht mal eine Expressbuslinie geben
18 Stelen als Mahnmal für die seit 50 Jahren fehlende Schienenverbindung: „Zukunft bleibt!“ an der Bornheide (©Matthias Greulich)

Selbst in der Metrostadt Paris, so viel ist mal klar, wäre man stolz auf eine solche Verbindung gewesen: Alle 90 Sekunden im Zug von der Bornheide zum Bahnhof Altona, um dort bei Bedarf per Rolltreppe in die S-Bahn umzusteigen. Diese wegweisende U-Bahn hatte der Hamburger Senat am 14. November 1973 beschlossen und den ehrgeizigen Zeitplan gleich mitgeliefert. Um aufs Tempo zu drücken, war der Baubeginn der damaligen U4 an drei Stellen gleichzeitig geplant, schon 1983 sollte der erste Zug am Osdorfer Born einfahren. Für Menschen wie Gerhard Sadler war der geplante Schienenanschluss ein Argument, um in ein Reihenhaus am Rand der Großwohnsiedlung zu ziehen.

Wenn es ein langfristiges Verkehrskonzept in Hamburg gäbe, würde die Stadtbahn schon lange fahren

Gerhard Sadler

Ideen gab es viele

Baubeginn schon in zwei Jahren: Mit diesem Prospekt warb die SPD 1974 für die U-Bahn nach Lurup (©Repro: Sammlung Gerhard Sadler)

„Start schon in zwei Jahren“, steht auf dem Titelblatt einer achtseitigen Broschüre, die Sadler bis heute in einer Klarsichthülle verwahrt. „Das hat uns die SPD 1974 vor den Bürgerschaftswahlen in den Briefkasten geworfen“, sagt er und seine Augen blitzen, weil diese Bahn nie fuhr. Sadler, schlank, dichtes schlohweißes Haar, war ein junger Familienvater, als er zum Born zog. Er machte Karriere in der Verwaltung und brachte es bis zum Leiter der Zentralen Personaldienste der Stadt Hamburg. Dass der Dienstherr des heute 85-Jährigen den Bau Ende 1974 stoppte, lag an der Finanznot infolge der Ölkrise. Auf der langen Streichliste stand damals unter dem Großflughafen Kaltenkirchen auch der U-Bahn-Bau. Und als in den 1980er-Jahren die Fahrgastzahlen im HVV zurückgingen, war die U4 erst recht kein Thema mehr. Erst Anfang der 2000er-Jahre wollte Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) eine moderne Straßenbahn bauen, die Ende 2001 von der Koalition aus CDU, Schill-Partei und FDP beerdigt wurde. Als weitere Totengräber nach Ole von Beust (CDU) fungierten dessen Parteifreund Christoph Ahlhaus (2010) und Olaf Scholz (2011, SPD). „Wenn es ein langfristiges Verkehrskonzept in Hamburg gäbe, würde die Stadtbahn schon lange fahren“, glaubt Sadler.

Nur eine Schwebebahn hatten wir noch nicht

Gerhard Sadler

Im Ruhestand hatte der Osdorfer begonnen, sich ab 2003 für eine bessere Verkehrsanbindung des Osdorfer Borns zu engagieren, „weil eine Regierung einen Stadtteil, wie diesen, nicht hängenlassen kann“. Viele Ideen der Parteien hat er kommen und gehen sehen. Ein Spurbus, eine Metrobahn, eine S-Bahn ab Stellingen wurden ins Spiel gebracht. „Nur eine Schwebebahn hatten wir noch nicht“, kommentierte Sadler bissig, nicht ahnend, dass aktuell ganz in der Nähe die Idee einer Magnetbahn von Stellingen zu den Arenen im Volkspark geprüft wird.

Überfüllte Busse und ein Trauma

Ende März 2023 hielt Gerhard Sadler die Eröffnungsrede des Kunstobjekts „Zukunft bleibt!“ am Osdorfer Born (©Matthias Greulich)

Anstatt sich mit unausgegorenen Visionen zu beschäftigen, begann er mit der damaligen Sprecherin der Borner Runde, Maria Meier-Hjertqvist, für eine Expressbuslinie als Übergangslösung zu kämpfen. Um die Idee einer Busverbindung nach Berliner Muster, die nur an wichtigen Knotenpunkten hält, gegenüber Verkehrspolitikern und Vertretern der Verkehrsbetriebe mit guten Argumenten zu vertreten, brauchten die Engagierten einen langen Atem. Seit 2005 standen 161 Sitzungen, von denen jede mindestens vier Stunden dauerte, in seinem Terminkalender. Seit 2020 fährt die Linie X3, die anfangs kein einziger Entscheider gewollt hatte, nun vom Osdorfer Born in Richtung U-Bahn Meßberg. Als wichtigste Expressbuslinie der Stadt ist sie mit 12.000 Fahrgästen am Tag so gefragt, dass die Busse oft überfüllt sind.

Während in Kaltenkirchen nichts mehr an den Großflughafen erinnert, bleibt das Schienenversprechen im Osdorfer Born auch nach 50 Jahren ein Trauma. Der kunstsinnige Sadler engagierte sich mit anderen Aktiven für das Mahnmal „Zukunft bleibt!“, dessen 18 Betonstelen den nie gebauten Bahnhof darstellen. Auf der höchsten Stele hat das Künstlerkollektiv Baltic Raw Org ein quadratisches grünes U neben einem kreisrunden blauen S montiert. Also anders herum als im HVV, damit niemand auf die Idee kommt, einzusteigen.

Pop-up-Busspuren statt S-Bahn für den Osdorfer Born

Seit 2019, das hat Sadler registriert, ist nun eine S-Bahn in Planung: Die S32, die ab Dezember S6 heißen wird führt 8,3 Kilometer von der Holstenstraße im Tunnel bis zum Osdorfer Born, eine Verlängerung nach Schenefeld wäre möglich. Sadler müsste allerdings weit über 100 Jahre alt werden, um das zu erleben, denn vor 2040 wird nach Auskunft des Senats keine S6 Richtung Lurup fahren. „Realistischer ist Mitte oder Ende der 2040er-Jahre“, glaubt Christian Hinkelmann. Der Herausgeber des Portals Nahverkehr Hamburg hält die derzeitige Trasse für verbesserungswürdig. „Sie hat mehrere Webfehler“, sagt er, „am gravierendsten ist, dass sie nicht upgradefähig ist.“ Wenn öfter als zehn Minuten eine S-Bahn von Osdorf in die Innenstadt fahren solle, gäbe es Kapazitätsprobleme auf der Dammtorstrecke, auf der jetzt schon sehr viele Züge unterwegs seien. Auch die Finanzierung sei nicht sicher, die Strecke derzeit nicht wirtschaftlich, sodass Hamburg nicht mit Geld vom Bund rechnen könnte.

Was passiert bis dahin? Als weitere Übergangslösung will der grüne Verkehrssenator Anjes Tjarks bis 2030 ein Hochleistungsbussystem nach französischem Vorbild auf der Strecke des X3 einführen. Mobilitätsexperte Hinkelmann hält das für richtig, nur die geplante Umsetzung dauert ihm viel zu lange. „Mit Pop-up-Busspuren könnte man sofort eine Wirkung für die Menschen in Osdorf und Lurup erzielen“, glaubt er.

Diese Artikel sind zuerst in SZENE HAMBURG 01/2024 erschienen.

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