Das Studium soll die beste Zeit im Leben sein, doch viele Studierende waren dank der Pandemie noch nie auf dem Campus oder haben ein Seminar offline besucht. Zwei Studierende erzählen von Unsicherheiten, Auswegen und neuen Perspektiven
Text: Kevin Goonewardena
Der Beginn eines Studiums ist zweifelsohne auch der eines neuen Lebensabschnitts: Hunderttausende junge Menschen sind auf der Schwelle zum Erwachsensein und tauschen mit Beginn des ersten Semesters nicht nur den Schulbesuch gegen eine neue Form der Lehre und des Lernens ein. Doch gerade in der ersten Zeit dürfte die am Ende stehende Berufsausbildung für die meisten kaum eine Rolle spielen: Es locken unbekannte Städte, neue Menschen und bisher nicht gekannte Möglichkeiten. Am Ende des Studiums soll neben dem Abschluss häufig auch die abgeschlossene Selbstfindung stehen – und nicht weniger als die beste Zeit des Lebens.
Zwei Studierende berichten
Ist das in Zeiten einer Pandemie überhaupt möglich? Wie gestaltet sich der Uni-Alltag, wie das Leben und vor allem: Wie fühlen sich junge Menschen während dieser Zeit? Merle (24) und Alexander (22) haben uns genau das erzählt.
„Ich bin den ganzen Tag unterwegs“, erklärt Merle, stören tue mein Anruf aber dennoch nicht. Ich erreiche die 24-Jährige, die im Frühjahr diesen Jahres ihr Jurastudium in Hamburg begonnen hat, in Irland am Telefon. Ein paar Tage ist sie nun schon dort, bald geht es wieder zurück. Mal wieder richtig rauskommen, eine Sehnsucht, die auch Nicht-Studierende in den vergangenen eineinhalb Jahren nur allzu oft hatten. Viele haben auf Verwandtenbesuche, Familienfeiern und Urlaube lange verzichtet, kommen jetzt so langsam wieder raus und rein in ein Leben, in dem die Corona-Pandemie nicht mehr omnipräsent ist.
„Einen Prof habe ich bis heute nicht kennengelernt.”
Mit dem Start des Wintersemsters 2021/2022 Anfang Oktober sollen die weit über 40.000 immatrikulierten Student:innen der Uni Hamburg wieder in den Präsenzunterricht zurückkehren können, auch eine Orientierungswoche für Neuankömmlinge ist geplant – jene fand zum Start der vergangenen Semester nur digital statt. Fünf Zoom-Einführungen habe es in der ersten Woche gegeben, jeden Tag eine, erinnert sich Merle. „Das fand ich richtig blöd. Normalerweise wird einem in der ersten Woche alles gezeigt, man lernt die Leute kennen. Die Zoom-Meetings hat man sich alleine zuhause angucken müssen”, auch eine:n Professor:in habe sie bis heute nicht kennengelernt.
Sie weiß aber auch, dass die Uni keine Wahl hatte. „Was mich stört ist, dass es ganz viele verschiedene Onlineplattformen gibt. Teilweise ist es so, dass man auf unterschiedlichen Kanälen Materialien aus ein und demselben Kurs findet, die man sich dann auch noch selbst zusammen suchen muss. Das finde ich ziemlich schwach von der Uni Hamburg“, kritisiert sie die Digital-Performance der größten Hamburger Universität.
Nachholbedarf im Digitalen
Die größte staatliche Bildungseinrichtung der Hansestadt hat zwar, wie vielerorts Lehreinrichtungen in Deutschland, schon vor Corona deutlich Nachholbedarf auf digitalem Terrain gehabt, doch die Chance, die Pandemie als Gelegenheit wahrzunehmen und durch Investitionen den längst notwendigen Ausbau des entsprechenden Angebots anzuschieben, sieht Merle nicht genommen. Dabei begleitete uns alle Corona, als Merle ihr Jurastudium beginnt, schon seit einem Jahr.
„Manche Professor:innen haben ihre Vorlesungen live via Zoom abgehalten, andere haben sich nur einmal gefilmt und dann einzelne Videos hochgeladen. Material gab es oft auf einer anderen Plattform, kommuniziert wurde wiederum über einen dritten Kanal. Man musste sich alles selbst zusammensuchen und hat oft nicht mitbekommen, dass und wo es was zu finden gab.”
Wie ich nach ihren Schilderungen, hat auch Merle den Eindruck, dass es keinen roten Faden gegeben hat, oder zumindest glaube sie „hat den Verantwortlichen die Medienkompetenz gefehlt, da einen roten Faden rein zu bringen. So hat jede:r sein eigenes Ding gemacht.”
Alexander, Student der Medizin im dritten Semester, kann diese Erfahrungen nicht bestätigen. Er, so erzählt er mir, habe es in dem von der Uni und dem Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) betreuten Studiengang nicht mit unterschiedlichen Plattformen zu tun und keine Schwierigkeiten an Material zu kommen. Die fehlenden Orientierungseinheiten zum Semesterstart habe er gleichwohl vermisst.
Schwerer, leichter, alles beim Alten?
Welchen Einfluss hat nun aber die Pandemie genau auf den Fachinhalt, das Lernpensum, den Schwierigkeitsgrad eines während der letzten eineinhalb Jahre begonnen Studiums? Schnell wird klar, objektiv lassen sich die Auswirkungen für Studierende nicht messen. Da beispielsweise Prüfungsinhalte unbekannt sind, lässt sich nicht sagen, ob und wenn ja, was in welcher Form nun aufgrund der derzeitigen Situation angepasst oder komplett gestrichen wurde. Die wohl zwangsläufig aufkommenden Gerüchte, von denen Merle berichtet, die Prüfungen seien schwerer gestaltet worden, da sie von den Studierenden von Zuhause aus ohne Webcam- und sonstige Überwachung, dafür theoretisch mit Hilfe von Literatur, Notizen und Google hätten geschrieben werden können, lassen sich weder bestätigen, noch widerlegen.
Positive Erfahrungen
Das individuelle Gefühl eines jeden Studierenden ist hier maßgeblich für die Einschätzung eines veränderten Schwierigkeitsgrads des Studiums. Alexander beispielsweise glaubt nicht, dass die Prüfungsinhalte schwerer geworden sind. Er berichtet von seinem Gefühl, dass die Aufgaben leichter gestellt worden seien und dem Gesamteindruck, dass Uni und UKE ihm und seinen Kommiliton:innen in der Pandemie bisher wohlwollend gegenübertreten würden. So sei sogar eine Corona-bedingt ersatzlos gestrichene mündliche Prüfung für alle seines Studiengangs mit voller Punktzahl gewertet worden. Auch bei Jurastudent:innen wie Merle würden die Verantwortlichen Corona Rechnung tragen: Für den sogenannten Freischuss, einen Freiversuch vor dem ersten juristischen Staatsexamen für all diejenigen, die ihr Studium in einer bestimmten Zeit absolviert haben, haben sie und die Mitstudierenden nun mehr Zeit – die Pandemie-Semester werden nicht auf die Studiendauer angerechnet.
Der fehlende Austausch mit Kommiliton:innen und Lehrkörpern über den Stoff und der damit verbundene Umstand, sich viele Inhalte selbst beibringen zu müssen, stellt für alle Studierenden eine individuelle Herausforderung dar. Dass ein Studium durch Corona schwerer geworden ist, kann man pauschal jedoch nicht sagen. Alexander gibt zu bedenken, dass Selbstverantwortung im Studium sowieso gefragt sei, und zwar nicht nur in Corona-Zeiten.
Lebe lieber ungewöhnlich
Doch nicht nur der Unialltag, sondern auch das Leben drumherum ist bekanntermaßen für Studierende wie für die restliche Bevölkerung zeitweise nahezu zum Erliegen gekommen. Die physischen Auswirkungen, die die getroffenen Maßnahmen haben könnten, wurden in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert. „Am Anfang war die Zeit der Pandemie für mich von einer großen Unsicherheit geprägt”, erzählt Alex, „man wusste ja nicht, wie ansteckend das Virus ist, welche Folgen es hat, wie man es behandeln kann. Für mich war das alles eine große Wolke mit Fragezeichen drin. Ich wusste nur, dass das gefährlich und nicht normal ist”, der erste Lockdown habe das dann noch mal unterstrichen.
Ob spezielle Seelsorgeangebote für Studierende eingerichtet wurden, vermochten beide nicht zu sagen. Aber wie kamen sie denn selbst durch die vergangenen eineinhalb Jahre? Beide betonen, wie sehr ihnen der Umstand, aus Hamburg zu kommen, Freunde hier zu haben und auch vor dem Lockdown schon in Beziehungen gewesen zu sein, geholfen habe.
Neue Horizonte
Besonders hart getroffen habe es Studierende wie die Freundin Merles, die sie während eines Zoom-Chats kennenlernte, und die aus dem Ausland nach Hamburg gezogen ist. Für sie war alles neu, sie konnte nicht auf eine gewohnte Umgebung und einen festen Freundes- und Bekanntenkreis zurückgreifen.
Um nicht in ein Loch zu fallen, hat jeder einen eigenen Weg gefunden. „Was mein Freund und ich tatsächlich gemacht haben, war, dass wir viel mit dem Auto weggefahren sind und dann auch dort geschlafen haben. Wenn man im Auto pennt, trifft man nur mal im Supermarkt auf Leute und ist ansonsten ziemlich kontaktarm unterwegs. Dass, muss ich sagen, hat mich oben gehalten, denn in Hamburg fällt einem früher oder später die Decke auf den Kopf. Wir sind zum Beispiel nach Dänemark gefahren oder an die Mecklenburgische Seenplatte”, erzählt Merle und fügt an, dass sie auf diese Art und Weise wohl ohne Corona nicht gereist wären und auch an Urlaub in Deutschland nicht gedacht hätten.
Als Positives aus der Pandemie nimmt Alexander mit, dass er sich ganz bewusst und nur mit den engsten Freunden und Familienmitgliedern getroffen hat. Aber auch sein Blick auf die Gesellschaft habe sich verändert: „Mir ist noch mal bewusst geworden, wie wichtig Public Health-Themen sind, und Corona hat mir einmal mehr deutlich gemacht, dass die Politik und Wissenschaft auch in Zukunft eng miteinander verknüpft arbeiten sollten. Ich glaube, hätte man von Anfang an mehr aufeinander gehört, wäre man möglicherweise zu anderen Maßnahmen gekommen. Auch die Kommunikation zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft hätte klarer sein müssen.”
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Oktober 2021. Das Magazin ist seit dem 30. September 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!