Wacken: Nachhaltig headbangen

Das Wacken Open Air, mit mehr als 80.000 Zuschauern das größte Heavy-Metal-Festival der Welt, steht auch beim Thema Nachhaltigkeit im Fokus. Veranstalter und Festival-Mitgründer Thomas Jensen (56) und die Nachhaltigkeitsbeauftragte Insa Trede (22) erklären im Gespräch, wie sie mit dem Thema umgehen und welche Maßnahmen für ein Festival wie das Wacken genau die richtigen sind
Thomas Jensen und Holger Hübner: Die Wacken Open Air-Gründer arbeiten am klimaneutralen Festival (©WOA Festival GmbH)
Thomas Jensen und Holger Hübner: Die Wacken Open Air-Gründer arbeiten am klimaneutralen Festival (©WOA Festival GmbH)

Ein Open-Air-Festival mit mehr als 80.000 Menschen ist vom Grundprinzip her keine nachhaltige Veranstaltung, das Thema aber mittlerweile fest verankert bei der Umsetzung. Seit wann beschäftigt sich das Wacken Open Air mit dem Thema Nachhaltigkeit?

Insa Trede: Grundsätzlich ist es natürlich so, dass das Festival gerade aus Sicht der Umwelt nicht vollumfänglich nachhaltig sein kann, da sind wir aufgefordert, etwas zu tun. Festivals sollen dafür da sein, dass es den Menschen gut geht. Als das Thema Nachhaltigkeit noch nicht so in der Breite angekommen war, haben wir innerhalb des Unternehmens bereits begonnen, zum Beispiel das Mehrwegbecher-System zu implementieren, oder auch stetig das Abfallmanagement zu verbessern. Weiterhin arbeiten wir seit Jahren mit verschiedenen Werkstätten für behinderte Menschen zusammen, die bei uns im Lager die Pakete verschicken oder auch auf dem Festival mitarbeiten. Wir sind mittlerweile an dem Punkt, an dem wir überprüfen, was wir eigentlich schon alles beim Wacken machen, was wir verbessern sollten, um dann festzulegen, wo wir eigentlich hinwollen.

Du sagst, ihr wollt den Leuten ein Erlebnis, ein Event, für das sie auch viel Geld bezahlen, präsentieren. Sie sollen sich wohlfühlen, sorgenfrei Spaß haben. Wie schwierig ist es denn für euch als Veranstalter, diese Gratwanderung zu schaffen?

Insa Trede: Das eine grenzt das andere ja nicht aus. Nachhaltigkeit heißt auch nicht immer gleich, dass man Sachen verbietet, man muss andere Wege finden. Es geht auch nicht, dass wir jetzt von null auf hundert das ganze Festival umkrempeln. Das ist sicherlich auch allen klar. Was aber auffällt, ist, dass die Fans vermehrt interessiert und aktiv sind, auch Künstler-seitig werden viele Fragen zu den verschiedensten Bereichen gestellt. Was gut funktioniert und trotzdem den Leuten den Spaß belässt, ist, wenn man das Thema Nachhaltigkeit spielerisch aufzieht. Das machen wir zum Beispiel durch unsere Aktion #greenwacken, mit der wir die Fans auf den Social-Media-Kanälen zum Beispiel dazu aufrufen, die Campingplätze gepflegt zu hinterlassen. Dadurch können sie die dann ein Ticket für das nächste Wacken oder andere Preise gewinnen. Als Ergebnis hatten wir sauber hinterlassene Campingflächen. Die Leute finden es cool, solche Aktionen zu unterstützen und etwas Gutes zu tun.

Thomas Jensen: Beim Wacken ist einfach alles ein bisschen anders. Die Fans kommen nicht zu einer Veranstaltung, sie kommen nach Hause, da wirft niemand einfach so seinen Müll in die Ecke. Jeder hat auf seine eigene Art eine emotionale Bindung zu der Veranstaltung, zum Dorf und auch zu den Bauern. Wir sind eine Community.

Transparenz: ein hohes Gut

Vor welchen Hürden steht ihr denn, wenn ihr versucht, Nachhaltigkeit umzusetzen, also vor allen Dingen jetzt in Hinsicht auf die Behörden?

Insa Trede: Die Behörden sind offen für neue Konzepte. Im letzten Jahr hatten wir eine Brennstoffzelle auf dem Gelände, die mit Wasserstoff betrieben wurde und zu der es ein Sicherheitskonzept gab. Dem Antrag wurde zügig stattgegeben und auch unsere Ideen der verschiedenen Abfallkonzepte sind immer positiv aufgenommen worden.

Thomas Jensen: Da muss man auch auf die Historie eingehen. Zwischen uns und den Behörden ist ein hohes Level an Vertrauen herangewachsen über die Jahre. Das liegt zum einen an der starken Transparenz und der Offenheit, mit der wir allen beteiligten Behörden immer begegnet sind. Wir binden alle frühzeitig in alle Prozesse mit ein. Behörden sehen wir nicht als Verhinderer, nicht als Gegenspieler, ganz im Gegenteil – sie sind unsere Partner, fast wie Stakeholder.

Wie stehen die Bewohner des Dorfes Wacken zum Thema Nachhaltigkeit? Müsst ihr viel Aufklärungsarbeit leisten?

Thomas Jensen: Für die Wackener war das Thema Müll schon immer präsent, wenn es um das Festival geht. Da wurde viel diskutiert, aber wir haben immer eine Lösung gefunden, die Berge zu entsorgen und die Gemeinde hilft dabei, das Festival nach dem es zu Ende gegangen ist, aufzuräumen. Ich sehe das nach wie vor als Symbiose. Nachhaltigkeit ist keine alleinige Aufgabe für ein Festival. Vielmehr ist Nachhaltigkeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich jeder, der hier auf dem blauen Planeten wandelt, widmen muss. Das sollte mittlerweile überall angekommen sein.

Insa Trede: Da würde ich auch vielleicht noch mal anknüpfen. Ich glaube, für viele ist auch der persönliche Draht zu Thomas Jensen und Holger Hübner (zweiter Wacken Open Air-Gründer, Anm. d. A.) immer ein wichtiger Punkt gewesen. Die Wackener schätzen den direkten Kontakt und wissen, dass immer ein Ansprechpartner da ist. Das zu erhalten, ist eine Priorität. Transparenz ist auch in diesem Falle wichtig, ich würde es nicht unbedingt Aufklärung nennen.

„Die Kreislaufwirtschaft ist so ein bisschen unser Traum“

Das Team von  #greenwacken (©WOA Festival GmbH)
Das Team von  #greenwacken (©WOA Festival GmbH)

Mehrfach wurde aus den Wacken-Reihen verlautbart, dass euer erklärtes Ziel ein klimaneutrales Festival ist. Ganz konkret: Wie weit seid ihr?

Insa Trede: Ja, das ist natürlich generell ein großes Ziel, und das erreicht man jetzt ja nicht von einem aufs nächste Jahr. Das muss klar sein. Grundsätzlich ist es aber auch dafür, um überhaupt klimaneutral werden zu können, erst mal wichtig, dass man eine vernünftige Datengrundlage hat. Diese Datenerfassungen sind nicht einfach. Was haben wir bei der Anreise für Emissionswerte? Wie viel emittieren wir auf dem Festival? Diese Fragen sind in der Strategie, die wir gerade entwickeln, komplett verankert. Wir denken immer: Wo stehen wir gerade, und wo wollen wir hin? Und dann kommt eine Liste an Maßnahmen, aber wie kommen wir dahin?

Das erste Ziel derzeit ist, erst mal zu reduzieren, wo es geht. Man muss auch klar sagen, dass die Wirtschaftlichkeit, die auch eine Säule der Nachhaltigkeit ist, im Moment vieles noch ein bisschen verhindert. Wir setzen zum Beispiel Brennstoffzellen ein, aber wenn es in Relation zu den jetzt genutzten Energiequellen wie Generatoren das Zehn- oder gar das Zwanzigfache kostet, ist es uns leider auch nicht immer möglich, die derzeit umweltverträglichste Lösung anzubringen. So ehrlich müssen wir sein. Wir kämpfen um jede mögliche Förderung und innovative Lösung, um das große Ziel irgendwann zu erreichen. Wir begeben uns auf den Weg, aber wir schaffen das nicht von heute auf morgen. Wenn man in den nächsten zehn Jahren schaut, dass wir wirklich sagen können, dass wir 75 Prozent an Emissionen reduziert haben, dann ist das schon ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Thomas Jensen: Ganz konkret arbeiten wir mit Professor Braungart vom Forschungs- und Beratungsinstitut EPEA zusammen, der das Cradle-to-Cradle-Konzept entwickelt hat. Die Kreislaufwirtschaft, die ist natürlich so ein bisschen unser Traum. Du behältst alles in einem Kreislauf, in einem Fluss und im Idealfall verbesserst du durch dein Handeln vielleicht sogar einige Aspekte, sagen wir mal den Ackerboden zum Beispiel. Es geht nicht nur um Recycling, dabei verschlechterst du dich immer um eine Stufe. Es geht darum, Konzepte und Ideen zu finden, die zu einer Verbesserung beitragen. Ich sag mal Urin wird aufbereitet und wird wieder zu Bier – das ist natürlich übertrieben. Müll sammeln und Müll vermeiden, das ist das eine, aber gar keinen Müll entstehen zu lassen – das ist das Ziel. Produktionswege zu finden, bei denen so clever produziert wird, dass die Stoffe im Fluss bleiben, das wollen wir erreichen.

Das Festival könnte darunter leiden

Insa Trede: Cradle-to-Cradle geht noch einen Schritt über diese Kreislaufwirtschaft im reinsten Sinne hinaus. Man arbeitet nicht nur so, dass man auf null kommt, sondern es sich im Fluss befindet. Wenn für jeden Festivalbesucher ein Baum gepflanzt und dadurch mehr CO2 gebunden wird, als man vorher hatte, das wäre ein Beispiel für eine gewinnbringende Aktion. Nehmen wir als anderes Beispiel eine Pagode auf unserem Festival: Cradle-to-Cradle setzt voraus, dass alles, was in dieser Pagode ist, erneut benutzt werden kann. Selbst wenn sie im Sturm kaputt geht, dann kommt sie zum Hersteller zurück, und wird aber nicht entsorgt, sondern daraus kann eine neue Pagode hergestellt werden, und man kann sie dann wieder einsetzen.

Nachhaltigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich jeder widmen muss

WOA-Gründer Thomas Jensen

Thomas Jensen: Es ist auch noch viel Grundlagenforschung nötig, wir müssen erst mal auch verstehen, was wir jetzt jahrelang gemacht haben. Wir wollen da alle gerne mehr machen, das ganze Team steht dahinter. Liegt auch an den guten Resonanzen, auch auf Business-Konferenzen. Die Augen sind schon nach Wacken gerichtet, weil wir bei vielen Dingen immer schon Vorreiter waren. Nimm aber noch mal die Brennstoffzelle vom letzten Jahr: Das hatte jetzt keinen großen Effekt, vielmehr war es ein erster Schritt. Dennoch war es ein Sicherheitsrisiko und ein Produktionsrisiko, wenn da kein Strom rausgekommen wäre, wäre die Mobilität eingeschränkt gewesen. So ein Festival ist immer wie eine Operation am offenen Herzen, und wir können eben nicht üben. Jeder Schritt muss gut überlegt sein, wenn wir alle Nachhaltigkeitsideen auf einmal umsetzen, könnte das Festival drunter leiden.

Insa Trede ist die Nachhaltigkeitsbeauftragte des Wacken Open Air (©WOA Festival GmbH)
Insa Trede ist die Nachhaltigkeitsbeauftragte des Wacken Open Air (©WOA Festival GmbH)

„Wacken soll Spaß machen“

Kommen wir zur Einstellung der auftretenden Künstler. Ihr sagt selbst schon, einige haben auch Fragen zur Nachhaltigkeit. Wie ist das Thema bei den Künstlern verankert?

Thomas Jensen: Die Künstler sind ja ein Spiegelbild der Gesellschaft, und dementsprechend ist die Bereitschaft zur Nachhaltigkeit groß, sehr groß. Das Thema ist angekommen, wir haben es auch bei uns in den Wacken-Werten implementiert. Das Thema begleitet uns bei allem, was wir tun, und ich glaube, dann hast du auch irgendwann eine Schwungmasse. Am liebsten hätten wir einen Lawinen-Effekt, soweit sind wir noch nicht, aber es fängt an zu rollen.

Energie, Mobilität, Müll, Regionalität, Mehrwegprodukte, Cashless System – die Liste der Punkte, die beim Wacken für Nachhaltigkeit sorgen können, ist lang. Welche haben Priorität?

Insa Trede: Wenn man nachhaltig denkt, sollte man immer übergreifend und alles umfassend mitnehmen. Was sich immer mehr bei meiner Arbeit herauskristallisiert, ist, dass wir vier zentrale Themenfelder haben, darunter ganz viele einzelne Bereiche, die unterschiedlich auf diese einzahlen. Das ist einmal das Nährstoffmanagement, so nenne ich es lieber als Abfallmanagement, weil Nährstoff kann wieder Nährstoff werden – der Kreislaufgedanke.

Dann ist es einmal ganz klar die Energieproduktion, also alles, was Strom benötigt. Unsere eigene Mobilität so wie die unserer Produktion auf dem Gelände, die unserer Partner, aber auch vor allem eben die der Fans. Als vierten Bestandteil sehe ich da auch ganz klar, dass wir etwas für die Region tun, dass wir regionale Partner auswählen, dass wir was fürs Dorf tun, dass wir die Leute alle mitnehmen, dass wir was für unsere Fans tun, aber auch für unser Team. Wir alle gemeinsam sind Wacken – das darf nie vergessen werden, dieser Gedanke ist bei allem übergeordnet.

Thomas Jensen: Wichtig ist, dass Wacken immer noch Wacken bleibt. Wacken ist ein Ort der Freiheit. Wir wollen den Leuten nicht vorschreiben, wie sie anzureisen haben – das muss ein natürlicher Prozess werden. Angebote, Aufklärung, so wollen wir die Leute mitnehmen. Wacken soll Spaß machen! Die Fans sind bereit, mitzuarbeiten, das haben wir bei der Future Factory 2019 gelernt. #greenwacken war bei den letzten beiden Editions ein großer Erfolg, das kam ganz tief aus der Community, und das macht mich unglaublich stolz auf die Metal-Szene.

Auf unseren Feldern stehen bis auf einige Wochen im Jahr, Kühe und es wächst Gras – da ein klimaneutrales Festival hochzuziehen, ist eine ganz besondere Aufgabe

Insa Trede, Nachhaltigkeitsbeauftragte des Wacken Open Air

Wacken nimmt vor allen Dingen für die Metal-Community als auch für die Festival-Community eine große Vorreiterrolle und auch Vorbild-Funktion ein – jetzt auch beim Thema Nachhaltigkeit?

Thomas Jensen: Wir wissen schon, dass wir aufgrund der Festivalgröße und der Bekanntheit im Fokus stehen, auch beim Thema Nachhaltigkeit. Holger Hübner und ich haben jahrelang viele Entscheidungen aus dem Bauch getroffen, doch für diese Aufgabe haben wir unlängst unser Team verstärkt. Wir wollen vor allem mit jungen Mitarbeiter:innen, die wesentlich besser im Thema sind, als ich das jemals sein könnte, in Zukunft besser aufgestellt sein. Produktion, Artist Booking, Promo, mir fallen auf der Stelle gleich viele Themen sein, bei denen nachhaltiger gearbeitet werden kann und muss. Wir wollen das Gute ausbauen und noch besser machen und unserer Verantwortung gerecht werden. Wenn nicht immer alles gleich auf Anhieb klappt, plädiere ich aber auch dafür, die Verantwortlichen nicht gleich auf die Anklagebank zu setzen.

Insa Trede: Wir befinden uns alle derzeit in einem Lernprozess. Jeden Tag kommen neue Produkte, neue Ideen auf den Markt – die muss man alle ausprobieren, sonst kann man die Potenziale nicht erkennen. So gehen wir das auch an, dass wir mal pilotieren, dass wir mal in einem Bereich was austesten, und genau das ist es ja auch, was es letztendlich ausmacht. Nur so kann man zum Erfolg kommen.

„Wacken lernt nie aus!“

Ove Petersen, CEO von GP Joule, der Unternehmensgruppe, mit der ihr auch beim Wacken zusammenarbeitet, hat ganz locker gesagt, dass es gar nicht so kompliziert wäre, ein klimaneutrales Festival zu veranstalten. Klingt ziemlich einfach, oder?

Insa Trede: Es kommt immer darauf an, wo das Festival stattfindet. Beim Wacken gibt es keine Infrastruktur, die müssen wir komplett aufstellen. Bei einem Festival in einer Stadt zeigen sich beispielsweise völlig andere Herausforderungen als bei uns. Da kann man Ökostrom nutzen und alle können mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Auf unseren Feldern stehen bis auf einige Wochen im Jahr Kühe und es wächst Gras – da ein klimaneutrales Festival hochzuziehen, ist eine ganz besondere Aufgabe.

Thomas Jensen: Ich freue mich, wenn es ein urbanes Festival schafft, komplett klimaneutral zu sein. Wir in Wacken werden auch in der Zukunft mutiger werden, um unser Festival noch nachhaltiger zu gestalten – ohne den Spaß dabei zu vergessen!

Was plant ihr beim Wacken im Bereich Nachhaltigkeit in diesem Jahr?

Insa Trede: Alle Bereiche, die wir angesprochen haben, werden 2023 ausgebaut. Die Sammelaktion für Schlafsäcke, bei der knapp 1000 Schlafsäcke zusammenkamen, wurde gut angenommen und demnach ausgeweitet, wir wollen alternative Angebote zur Anreise schaffen, sodass wir den Nahverkehr attraktiver machen – das sind nur zwei Beispiele. Wir sind an vielen Projekten dran und hoffen, bis zum Festival im August noch einiges umsetzen zu können. Und: Wir sind auch immer offen für neue Ideen, das Wacken lernt nie aus!

Dieser Text ist zuerst im Nachhaltigkeitsmagazin von SZENE HAMBURG erschienen.

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