Seit letztem Jahr gibt es in Deutschland Cannabis auf Rezept. Die Nachfrage ist riesig, Tendenz steigend. Um den Bedarf decken zu können, will der Hamburger Hendrik Knopp den Stoff jetzt tonnenweise importieren. Und vielleicht auch bald selbst anbauen.
Text: Ilona Lütje
Hendrik Knopp nimmt einen tiefen Schluck von seinem Darjeeling-Tee und hebt den Zeigefinger: „Nee, mit Drogen hatte ich noch nie was am Hut.“ An diesem Tag ist der 46-Jährige direkt vom Flughafen zum Interview gekommen. Denn seit einigen Monaten hat er eine zweite Heimat: Kanada. Hier ist der Sitz seines Unternehmens Nuuvera, das im vergangenen Frühjahr ins Cannabis-Geschäft eingestiegen ist und nach dem Börsengang im Januar schon gleich vom Marktführer Aphria gekauft wurde. Nachdem Knopp zwei der zehn Gründer kennengelernt hatte, war er von „Die spinnen doch“ schnell zu „Großartige Chance“ gewechselt. Schließlich ist Cannabis in vielen Ländern der Welt für die Therapien von Krankheiten wie Parkinson, Epilepsie, HIV oder Multiple Sklerose längst erfolgreich im Einsatz. So stieg er damals schnell mit ins Boot und ist nun als Deutschland-Chef dafür zuständig, den Markt hier zu erobern.
„Der Bedarf wird explodieren“
Dass die Zeit reif dafür ist, zeigen die Zahlen: Ging man beim Start der medizinischen Cannabis-Vergabe im März 2017 noch von 5.000 Patienten aus, lagen bis zum Jahresende bereits 13.000 Anträge bei den drei großen Krankenkassen AOK, Barmer und TK vor. Der Deutsche Hanfverband geht bereits davon aus, dass die Zahl der Patienten in den nächsten Jahren auf 800.000 steigen wird. Man müsse dafür nur auf andere Staaten schauen, in denen medizinisches Cannabis schon länger erlaubt sei und die Cannabis-Patienten ein Prozent der Bevölkerung ausmachten, erklärt Kommunikationsmanager Sascha Waterkotte. „Der Bedarf wird explodieren und darauf müssen wir vorbereitet sein“, so der Cannabis-Lobbyist. Im Klartext bedeutet das: „Deutschland muss entweder mehr Anbau-lizenzen ausschreiben oder den Import immens steigern.“ Aktuell hat die Cannabis-agentur der Bundesregierung über eine europaweite Ausschreibung zu entscheiden. 118 Unternehmen hatten sich beworben, um ab 2019/20 den Anbau von 6,6 Tonnen Canna-bis für vier Jahre zu übernehmen. Zehn sind noch im Rennen. „Wir sehen dem Ausgang des Verfahrens positiv entgegen“, sagt Knopp als Jurist sehr diplomatisch. Ob sein Unternehmen dabei ist, bestätigt er nicht. Verständlich, schließlich handelt es sich um ein geheimes Verfahren. Allerdings, so betont Knopp: „Wenn wir uns beteiligen würden und den Zuschlag bekämen, müssten wir auf jeden Fall zusätzlich importieren. Anders kann man Lieferengpässe auf Sicht sonst nicht vermeiden.“ Pro Jahr will Nuuvera darum bald 1.200 Kilogramm als Blüte oder Öl importieren. Das sei als Öl- oder Tablettenform für die Patienten wesentlich einfacher zu konsumieren. In Bad Bramstedt baut das Unternehmen bereits einen riesigen Cannabis-Tresor. Für mehrere Millionen Euro entsteht auf dem Grundstück eines ehemaligen Maschinenbauers ein Hochsicherheitslager für das importierte Medizinal-Cannabis. Geplant ist, die Apotheken und Krankenhäuser von hier aus ab Spätsommer zu versorgen.
Extrem optimierter Cannabis-Anbau
Angebaut wird das Cannabis „extrem optimiert“, wie Knopp betont, in der Nähe von Toronto vom neuen Eigentümer Aphria, der von Anfang an als Partner mit im Boot war. Der habe bereits seit vielen Jahren interna-tional Erfahrung mit dem Anbau von Medizinal-Cannabis und rund 40 reine Sortenk vorrätig. 10 bis 20 davon werden immer aktiv angebaut und ständig auf THC-Gehalt und andere Inhaltsstoffe vom eigenen Labor AvantiRX kontrolliert. „Wir stellen das Produkt nach dem GMP-Standard der Pharmaindustrie her“, betont Knopp. So wisse man genau, welche Bestandteile die jeweilige Sorte hat und könne eine konstante Therapie gewährleisten. „Wenn ich was auf der Straße kaufe, weiß ich doch gar nicht, was ich da bekomme. Wie viel THC und CBD ist enthalten und ist das Gras mit Pestiziden, Schimmel oder Schwermetallen belastet?“, so Knopp. „Im Schwarzmarkt gibt es keinen Verbraucherschutz. Die Industrie optimiert das Cannabis und sichert die Sortenreinheit und medizinische Qualität.“ Und die Effektivität: „Normales Cannabis blüht einmal im Jahr. Im Gewächshaus können wir die Zyklen manipulieren und die Pflanze vier- bis sechsmal im Jahr zum Blühen bringen.“Und das hat seinen Preis. Der wurde von der Preisfindungskommission auf 24 Euro pro Gramm festgesetzt. „Das ist viel, wenn man bedenkt, dass der Straßenpreis bei 6 bis 8 Euro liegt“, so Knopp. Möglicherweise ein Grund, warum die Kassen aktuell noch recht zögerlich mit den Bewilligungen seien. Ein Drittel der Anträge wurde in 2017 bereits abgelehnt. Dass der Preis zu hoch angesetzt ist, glaubt auch Waterkotte vom deutschen Hanfverband. Gepaart mit zu wenig Wissen über Wirksamkeit und zu viel neuem Verwaltungsaufwand sei häufig reine Willkür für abgelehnte Anträge zu vermuten. „Je mehr Informationen und Fortbildungen es auf diesem Gebiet geben wird, umso mehr wird Cannabis auch entstigmatisiert“, ist sich Waterkotte sicher. Das beträfe nicht nur die Kassen, sondern auch die Ärzte: „Leider wird häufig erst mal das altbewährte schulmedizinische Arsenal losgeballert.“ „Die Aufklärung ist unseregrößte Herausforderung“, be-stätigt denn auch Hendrik Knopp und ergänzt: „Wir haben über 380.000 aktive Ärzte, aber nur maximal 800 verschreiben überhaupt Medizinal-Cannabis.“ Jetzt müsse man die Ärzte nicht nur davon überzeugen, dass Cannabis als Medizin eine therapeutische Wirkung hat, sondern ihnen auch Angst nehmen: „Viele befürchten, dass nur Junkies in die Praxis kommen und sich gutes Zeug auf Kassenkosten verschaffen wollen. Das ist Quatsch. Es gibt eine stetig wachsende Patientenzahl, die bewusst alternative Therapieformen mit Medizinal-Cannabis nachfragt.“ Knopp sieht es daher auch als seine Aufgabe, die fehlenden Informationen und Studien bereitzustellen. Geplant ist darum ein großes Informationsportal, auf dem sich Patienten und Ärzte darüber schlau machen können, was Cannabis eigentlich kann. Darüber hinaus wurde ganz aktuell ein medizinischer Direktor eingestellt, der – selbst Arzt – auf Veranstaltungen und Kongressen auf Augenhöhe die Kollegen aufklären kann.
Kein kollektives Koma
Dabei helfe auch immer ein Blick in andere Länder: „Man sieht in den regulierten Staaten, dass die Gesellschaft nicht in ein kollektives Koma verfallen ist“, sagt Knopp. Für die Therapien stünden in Kanada mehrere 100 Sorten zur Verfügung, aus denen sich die Patienten –häufig Kriegsverteranen, Krebs-erkrankte und HIV-Infizierte – die für sie verträglichste Sorte aussuchen könnten. Nach rund 20 Jahren Erfahrung ist Can-nabis ab Juli 2018 hier auch als Freizeitdroge ganz offiziell erlaubt. Knopps Unternehmen bereitet sich in Kanada aktuell akribisch auf den Start vor, produziert bereits riesige Mengen für den freien Markt. Während aktuell rund 40 Kilo pro Tag produziert werden, soll die Anbaumenge jetzt auf 400 Kilo pro Tag steigen. Hierfür baut Aphria aktuell ein neues Gewächshaus mit über 100.000 Quadratmeter Anbaufläche.
Legalisierung ein logischer Schritt?
Dass auch in Deutschland die Legalisierungsdebatte in vollem Gange ist, überrascht Knopp nicht. „Wenn die Gesellschaft akzeptiert, dass es ein Rauschbedürfnis gibt, wäre die Legalisierung ein logischer Schritt“, sagt er und betont, dass Jugendschutz und die weitere Versorgungsicherheit der Patienten mit Medizinal-Cannabis dabei oberstes Gebot haben. Wenn man sich dafür entscheide, solle man auf jeden Fall langsam beginnen. „Die Apotheke könnte für den Anfang ein guter Abgabeort sein“, findet Knopp. „Jede Gesellschaft muss für sich die besten Rahmenbedingungen finden, auf welche Art und in welchem Umfang sie den Zugang zu Konsum-Cannabis ermöglicht.“ So sei man in Kanada schon lange weg vom Rauchen. Vielmehr fokussiere man sich dort auf Produkte wie Öle und Kapseln, und in Zukunft auch auf cannabishaltige Getränke, Backwaren und Kaugummis. Knopp: „Der Gesetzgeber und die Verbraucher geben vor, in welcher Form und in welcher Konzentration man das Produkt konsumieren möchte. Wir stellen sicher, das beste Produkt auf legalem Weg zum Kunden zu bringen.“
Dieser Text ist ein Auszug aus SZENE HAMBURG, April 2018. Das Magazin ist seit dem 29. März 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!