Annabelle Möhnle über die Arbeit beim WEISSEN RING: „Letztlich ist es ganz viel Empathie“

Annabelle Möhnle ist ehrenamtliche Opferberaterin beim WEISSEN RING. Ein Gespräch über Hilfe und warum sie Betroffenen wie Helfenden gut tut
Annabelle Möhnle: „Wir versuchen, Betroffenen die Hilfe zu geben, die sie brauchen“ ©Markus Gölzer

SZENE HAMBURG: Annabelle, was machst du genau beim WEISSEN RING?

Annabelle Möhnle: Wir beraten Opfer von Kriminalität jeglicher Art– ob Wohnungseinbrüche oder Straftaten wie Körperverletzung oder Sexualdelikte. Wir versuchen, Betroffenen die Hilfe zu geben, die sie brauchen. Ich selbst bin weder Rechtsanwältin noch Psychologin, sondern versuche, an die entsprechenden Fachleute zu vermitteln. Das kann mal besser, mal weniger gut funktionieren. Der WEISSE RING übernimmt finanziell die Erstberatungen in solchen Fällen. Auch bei der Anzeigenerstellung bei der Polizei helfen wir. Wir unterstützen da, wo sonst nicht aufgefangen wird.

Was kann weniger gut funktionieren?

Psychotherapeutische Unterstützung ist schwer zu finden. Es gibt zu wenig Plätze. Gerade wenn wir wie in den meisten Fällen davon ausgehen, dass sie nicht eigenfinanziert werden kann, weil das sehr, sehr teuer ist. Lange Wartelisten und wenig Plätze: Das ist eine Problematik. Um diese etwas aufzufangen, helfen uns Psychologinnen und Psychologen und Einrichtungen, Hilfesuchende im Rahmen von zwei, drei Therapiestunden zu stabilisieren. Die Kosten übernimmt der WEISSE RING.

Bist du verpflichtet, in bestimmten Fällen die Behörden zu informieren?

Wir informieren niemanden. Das ist ganz wichtig! Ich nehme als Opferberaterin den Fall auf, schreibe oder lasse von der Person aufschreiben, um was es geht. Ich erwähne bei jedem Gespräch von Anfang an: Ich bin nicht die Polizei. Wer hier herkommt, muss nicht beweisen, was passiert ist. Wir glauben der Person. Wir möchten helfen. Es muss keine Beweise geben und keine Anzeige. Ich wiederhole: Das ist ganz wichtig!

Jeder Mensch geht anders mit Gewalterfahrung um. Woher weißt du, wie du Betroffenen am besten begegnest?

Wir durchlaufen eine Schulung, ein Grundseminar und Aufbauseminare. Wir lernen: Wie geht man mit Personen um, die in schwierigen Situationen stecken. Letztlich ist es ganz viel Empathie. Wir gucken was los war, entscheiden situativ. Es gibt Personen, die können strukturiert darlegen, was passiert ist. Und es gibt Personen in einer schlechten psychischen Verfassung. Pausen sind auch mal wichtig und richtig.

Wer hier herkommt, muss nicht beweisen, was passiert ist. Wir glauben der Person. Wir möchten helfen

Annabelle Möhnle

Prävention kann einen Großteil der Straftaten trotzdem nicht verhindern 

Hast du auch von den Opfern gelernt?

Absolut. Es ist unglaublich, was manche Menschen aushalten müssen. Wir haben mit Straftaten wie Sexualdelikten zu tun, die sehr einschneidend sind. Grundsätzlich ist jede Straftat einschneidend. Viele sind stark und gefasst. Es ist ein Riesenschritt, sich an uns zu wenden. Auch hier das Stichwort Empathie. Wir lernen, uns in die Lage hineinzuversetzen. Wobei das gar nicht richtig geht, wenn einem das nicht selbst widerfahren ist. Wir haben gelernt, dass wir auch mit Kleinigkeiten unterstützen können. Wir können das große Programm auffahren, finden psychologische Unterstützung, begleiten zum Gericht. Und es gibt Fälle, wo es gut ist, jemanden zu haben, der einem zuhört. Oder wir helfen, die Anzeige zu formulieren. Dann ist das die Hilfe, die in dem Moment gebraucht wird. In manchen Fällen können wir Unterstützung bei der Stellung von Anträgen anbieten. Das kann zum Beispiel ein Antrag auf Unterstützung beim Sozialen Entschädigungsgesetz (SGB XIV, ehemals das Opferentschädigungsgesetz) oder beim Fonds sexuellen Missbrauchs (EHS) sein, der Betroffenen von sexuellem Missbrauch im institutionellen oder familiären Bereich zusteht.

Unternehmt ihr präventiv etwas, um zu verhindern, dass Leute Opfer werden?

Prävention ist ein gutes Stichwort. Ich habe eine weitere Rolle beim WEISSEN RING bei den jungen Mitarbeitenden, der „Jungen Gruppe“. Da kümmern wir uns vorrangig um öffentlich wirksame Aktionen. Wir wollen junge Menschen für den Verein gewinnen, aufmerksam machen, dass es uns gibt und präventiv vor möglichen Straftaten warnen. Letztes Jahr gab es eine bundesweite Kampagne: „Sicherer Heimweg“. Wir haben Bierdeckel verteilt mit dem Claim: „Feiern, aber sicher“. Mit Tipps wie: „Behalte dein Getränk im Auge.“, „Wenn du nach Hause gehst – wähl den Weg, den du kennst.“ Wir wissen aber: Selbst wenn wir präventiv an solche Themen herangehen, verhindert das nicht die Straftat. Auch wenn ich sehr gut auf mein Glas aufpasse, dann ist da vielleicht doch der eine unbeobachtete Moment.

Was ist dein Lieblingsargument für ein Engagement beim WEISSEN RING?

Wir haben einen Running Joke: Es macht Spaß. Wobei Spaß bei einer schweren Thematik wie der Opferberatung natürlich nicht das richtige Wort ist. Tatsächlich ist die „Junge Gruppe“ eine coole Truppe, die sich in Hamburg einmal im Monat trifft. Das größte Argument ist, dass ich mich beim WEISSEN RING ganz anders engagieren kann als im beruflichen Alltag. Hier kann ich gewinnbringend für andere ein bisschen freier meine eigenen Interessen einbringen. Und ich bin mal in einer anderen Bubble.

Beim WEISSEN RING ist Raum für unterstützende Ideen 

Welche Aufgabenbereiche bietet ein Ehrenamt beim WEISSEN RING?

Die Haupttätigkeit ist die Opferberatung, die Unterstützung von Menschen in Krisensituationen aufgrund von Straftaten. Diese kann auf verschiedenen Wegen stattfinden: persönlich, beim Opfertelefon oder in der Onlineberatung.
Gerade bei der „Jungen Gruppe“ geht es um Öffentlichkeitsarbeit. Wir verteilen Flyer, Sticker, halten Vorträge, zum Beispiel an Unis, entwickeln PR-Aktionen. Wir haben bei Läufen mitgemacht wie dem HafenCity Run. Wir versuchen uns Dinge einfallen zu lassen, die Spaß machen und die Öffentlichkeit reinziehen. In Niedersachsen hat die „Junge Gruppe“ einen Werbefilm gedreht. In Bremen haben sie eine total coole Aktion gemacht: Sie haben Brustbeutel für Obdachlose produziert, damit die sicher und wasserdicht ihre Wertsachen verstauen können. Es gibt viele coole Ideen. Eigentlich sind denen bei uns keine Grenzen gesetzt. In manchen Bundesländern wurden von den jungen Mitarbeitenden Pub-Quiz oder Poetry-Slams veranstaltet. Jedes Mitglied kann Ideen einbringen, muss das dann im Prinzip nur vorantreiben. Klar, man muss gucken, wie wird das finanziert. Bei der Brustbeutel-Idee gab es einen Partner, der das mitgetragen hat. Unsere Aktionen sind immer adressatengerecht. Für ältere Menschen geht’s um den Enkeltrick und andere Betrugsmaschen. Wir wollen die ganze Bandbreite an möglichen Delikten abdecken.

Diese True-Crime-Bewegung muss man kritisch sehen, weil da natürlich Sensationsgier auf Kosten der Opfer bedient wird

Annabelle Möhnle

Muss man Vorkenntnisse mitbringen?

Es ist keine Voraussetzung, rechtliche, psychologische oder therapeutische Kenntnisse mitzubringen. In der Opferberatung hospitiert man, guckt: Ist das überhaupt was für mich? Dann gibt es ein breites Schulungsangebot von der WEISSEN RING Akademie, in dem man sich für spezielle Bereich ausbilden lassen kann – wenn man möchte. Es gibt zum Beispiel Seminare zu Viktimologie, um Opfer verstehen zu können, zu Interkulturalität zum besseren Verständnis zwischen unterschiedlichen Kulturen, wir haben Menschen, die sich auf Betroffene aus der Gehörlosen-Community spezialisiert haben.

Du hast Kriminologie studiert, in deiner Freizeit engagierst du dich beim WEISSEN RING. Du verbringst viel Zeit mit Verbrechen. Warum?

Das ist immer die böse Falle. (lacht) Ich habe mein Abitur gemacht und danach – typisch – wusste ich nicht, wohin es gehen soll. Dann bin ich drauf gestoßen, dass man Kriminologie studieren kann. Das ist in Deutschland ein Masterstudiengang. Ich habe zuerst Sozialwissenschaften im Bachelor studiert, um mich breit aufzustellen. Im Anschluss Kriminologie. Ja, ich höre True Crime, irgendwie habe ich eine Faszination für Kriminalität. Wobei: Diese True-Crime-Bewegung muss man kritisch sehen, weil da natürlich Sensationsgier auf Kosten der Opfer bedient wird. Wir stellen gerade einen Podcast auf die Beine: „LautStark – (K)ein True Crime-Podcast“. Da sind wir wieder bei der Öffentlichkeitsarbeit: Wir sind hier, um zu unterstützen. Wir schlachten diese Geschichten nicht aus, sondern klären auf. Wenn so etwas passiert, dann gibt es Hilfe vom WEISSEN RING. Als Ehrenamtliche kann ich mich sinnvoll einbringen, konkret Menschen helfen. Das nehme ich selbst positiv für mich mit.

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