„Wem gehört das Land?“ – Theater trifft Wirklichkeit

Nach „Cum-Ex Papers“, „Tax for free“ und „Die Krebsmafia“ inszeniert Helge Schmidt am Lichthof Theater mit „Wem gehört das Land?“ eine „Recherche zum bodenlosen Handel mit Ackerflächen“
Bauern als Zielscheibe des Großkapitals: „Wem gehört das Land?“ (©Judith Weßbecher)

SZENE HAMBURG: Helge, du hast im Lichthof Theater bereits mehrfach dokumentarische Stücke auf Basis investigativ journalistischer Recherchen auf die Bühne gebracht. Inwiefern ist die Theaterbühne ein geeigneter Ort, Aufklärungsarbeit zu leisten und an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken?

Helge Schmidt: Wenn ich journalistische Enthüllungen zum Cum-Ex-Skandal, zum illegalen Handel mit Krebsmedikamenten oder zum Handel mit Ackerland lese, habe ich oft das Gefühl, mich in einer Art Echoraum aufzuhalten, in dem es kaum Austausch mit anderen Menschen gibt, weil die Begegnungsräume immer mehr verschwinden. Im Theater kann ich diese Themen mit anderen zusammen erleben. Das ist eine demokratische Erfahrung, auch wenn sich dadurch noch nichts verändert.

Im Bereich des Dokumentartheaters gibt es die Bürgerbühnen oder Gruppen wie Rimini Protokoll, die betroffene Menschen auf die Bühne holen, die mit ihrer Biografie authentisch für Themen einstehen, die in den Stücken verhandelt werden. Du arbeitest aber mit Schauspielern und eröffnest somit einen fiktionalen Rahmen für das dokumentarische Material …

Ich arbeite in der Tat mit Narrativen, die dem Publikum vertraut sind. Das kann zum Beispiel ein Wirtschaftsthriller sein, oder man verlegt die ganze Geschichte in ein fiktives Dorf. Das macht es oft einfacher, die Sache zu verfolgen. Außerdem haben Schauspieler ganz andere Fähigkeiten als Laien. Und die möchte ich gerne nutzen. Dokumentarisch im engeren Sinn sind bei mir nur die eingespielten Interviews.

Du arbeitest mit Überzeichnungen und satirischen Elementen. Wie machst du dem Publikum klar, wo die Grenzlinie zwischen Dokumentarischem und Theatralischem verläuft?

Die Grenze wird durch die Darstellung gezogen, denn alles, was wir sagen, basiert auf Fakten. Wenn es in „Tax for free“ heißt „Olaf Scholz erinnert sich nicht“, können wir durch die Art der Darstellung natürlich Zweifel an diesem Satz anmelden. Diese Grenze muss man aber nicht markieren. Das Publikum versteht, welche Haltung wir dazu haben.

Wem gehört das (Acker-)Land?

In deinem neuen Stück „Wem gehört das Land?“ geht es um den enthemmten Handel mit Getreide und Ackerflächen. Wo setzt ihr mit eurer Kritik an?

Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 sind die Preise für Ackerland extrem explodiert. Der Immobilienmarkt war zusammengebrochen, die Zinsen gingen in den Keller, also suchte man nach Anlagemöglichkeiten mit Wertstabilität. Da bot sich Ackerland an, weil kein neues mehr geschaffen wird, sondern die Flächen sogar eher wieder schrumpfen und der Anbau zusätzlich Rendite verspricht. Die durch die Investorennachfrage hochgetriebenen Preise führen dazu, dass Bauern das Land nur noch pachten können. Aber auch die Pachtpreise sind oft nicht mehr bezahlbar. Das treibt die industrielle Landwirtschaft auf großen Flächen voran, bei der mit weniger Arbeitskräften mehr Ertrag erzielt wird.

Mit welchen negativen Auswirkungen?

Es entstehen Nutzungskonflikte, die nicht leicht zu lösen sind, denen man sich aber stellen muss. Auf diesen Flächen kann kein Moor wiedervernässt, kein Öko-Landbau betrieben, kein Schutz der Artenvielfalt gewährleistet werden. Durch Photovoltaik wird das Problem noch verschärft. Die Anlagen sind sehr günstig geworden und haben einen hohen Wirkungsgrad. Es ist lukrativ, riesige Ackerflächen zu kaufen oder zu pachten, um darauf Solaranlagen zu errichten.

Verdrängung und neokoloniale Strukturen

Dokumentarisches Theater mit Zynismus und Humor: Regisseur Helge Schmidt (©Felix L. Salazar)

Es sind oft komplexe Sachverhalte, mit denen ihr das Publikum konfrontiert. Auch die Cum-Ex-Geschäfte haben ja wahrscheinlich nur deshalb so lange funktioniert, weil ihre Strukturen so verworren sind …

Das ist ein Narrativ, das den Tätern in die Karten spielt. So komplex ist es am Ende nicht. Man lässt sich eine Steuer erstatten, die man nie bezahlt hat. Mit dem Ackerland ist es ganz ähnlich. Es gibt Gründe für Pachtpreise und dass mit Ackerland gehandelt werden darf. Es gab Gesetze, die dafür sorgen sollten, dass Bäuerinnen und Bauern ein Vorkaufsrecht haben. Aber Dinge, die einmal gut gedacht waren, müssen nicht für immer gut funktionieren. Das gilt auch global. Wenn ein Kleinbauer in Afrika oder Indonesien mit einem Agrarkonzern aus den USA konkurriert, hat das nichts mehr mit marktwirtschaftlichem Wettbewerb zu tun. Das ist eine Verdrängung, die neokoloniale Strukturen wiederbelebt. Diese Dinge lassen sich relativ einfach erklären.

Wie gehen du und die drei Darsteller bei der Stückentwicklung vor?

Wir haben eine Idee davon, was wir wollen, und trauen uns zu, unsere Themen – die einen ja auch erschrecken können – mit Spaß auf die Bühne zu bringen. Wir entwickeln das Stück dann zusammen aufgrund des Materials, das ich zusammensuche. Auch die Bühnenbildnerin und der Musiker bringen ihre Ideen ein, etwa dass ein Paragraf aus der Bayerischen Verfassung als Lied vertont werden soll.

„Wir genießen den Schutz des Theaters“

Für deine erste Inszenierung am Lichthof Theater „Cum-Ex Papers“ wurdest du mit dem Faust-Theaterpreis ausgezeichnet, und das Stück wurde auch überregional in den Medien gefeiert. Setzt dich der Erfolg unter Druck, diesen selbstauferlegten „Best-Practice-Standard“ zu halten?

Natürlich greift man als Künstler mit allem, was man tut, auf Dinge zurück, mit denen man gute Erfahrungen gemacht hat. Aber gleichzeitig möchte man sich auch weiterentwickeln. Ich denke, das ist ein ganz normaler Prozess, der in meinem Fall vielleicht etwas spezieller ist, weil das dokumentarische Genre vergleichsweise überschaubar ist und so ein Preis entsprechend stärker wahrgenommen wird. „Wem gehört das Land?“ wird aber viel atmosphärischer sein als „Cum-Ex Papers“, weil dem Publikum die Agrarwelt dann doch leichter verständlich ist und wir weniger erklären müssen. Es geht uns um eine Entfremdung von den landwirtschaftlichen Abläufen, die inzwischen ja auch hoch technisiert sind. Wie soll ein Bauer, der allein eine 400-Hektar-Soja-Farm betreibt, noch ein Verhältnis zu seinem Boden haben?

In deinen Stücken werden skandalöse Fakten und personenbezogene Anschuldigungen schonungslos auf die Bühne gebracht. Macht man sich auf diese Weise nicht auch Feinde? Wurden dir schon strafrechtliche Konsequenzen angedroht?

Nein. Ich glaube, wir genießen den Schutz des Theaters, weil verhältnismäßig wenige Leute unsere Stücke sehen, und eine Klage die Aufmerksamkeit nur steigern würde. Politik und Menschen des öffentlichen Lebens müssen aushalten, dass man ihr Handeln kritisiert. Es geht uns auch nicht darum, jemanden auszustellen oder vorzuführen. Wenn die ALDI-Stiftung in Ackerland investiert, ist das nicht per se schlecht. Das Land kann trotzdem sinnvoll genutzt werden. Das Problem ist ein systemisches, und wir müssen wirklich kein Mitleid mit Milliardär*innen haben. Am Ende geht es eben auch um Umverteilung.

„Wem gehört das Land?“ feiert am 9. Februar 2024 Hamburg-Premiere am Hamburger Lichthof Theater, weiter Vorstellungen: 10., 16.–18.2.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2024 erschienen.

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