Noch lachen sie: Als Martha und George um zwei Uhr nachts von einer Party ins präsentable Eigenheim torkeln, fallen sie kichernd gemeinsam aufs Sofa. Schlagartig ändert sich die Stimmung, als George erfährt, dass seine Frau noch Gäste eingeladen hat: den jungen Nick und seine Ehefrau, die anstelle eines Vornamens nur den Kosenamen „Süße“ („Honey“ im Original) vom Autor zugeteilt bekam. Das Vier-Personen-Stück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ ist Edward Albees bekanntestes Drama, die gleichnamige Verfilmung mit Elizabeth Taylor und Richard Burton ein Klassiker.
„Wer hat Angst vor Virgina Woolf?“: Ehekrieg in kalter Atmosphäre
Darin rechnet Albee schonungslos mit US-amerikanischen Akademiker-Kreisen ab. In der verbleibenden halben Nacht kämpfen die etablierten Eheleute vor ihren Besuchern eine vernichtende Schlacht mit perfiden Mitteln: Sie beleidigen, demütigen und zerfleischen sich verbal wechselseitig – durch enthemmenden Alkohol zusätzlich stimuliert. Da sie verwandte Seelen sind, können sie sich besonders gut verletzen. Trotz empfundener Peinlichkeit bleiben die beiden Gäste, auch sie geben unter dem Einfluss von Hochprozentigem intime Geheimnisse preis – und liefern sich somit aus.
Verschiedene, allesamt brüchige Allianzen betont Harald Weilers tolle Inszenierung: die kurzfristige Verbrüderung der beiden Männer, die erotische Eskapade zwischen Nick und Martha, die herablassende Hilfestellung der Hausherrin gegenüber Nicks namenloser Frau. Diese Figur spielt Nayana Heuer großartig, als Neuzugang die Entdeckung des Abends. Anika Mauer und Luc Feit überzeugen als brillant boshaftes Paar ebenso wie Lennart Hillmann in der Rolle des ambitionierten Aufsteigers. Die Sprache der neueren Übersetzung von Alissa und Martin Walser ist drastisch und korrespondiert mit dem Bühnenbild: Ohne etwas Persönliches strahlt das Haus die Stimmung des einzigen Einrichtungsgegenstands aus: ein Deko-Fisch, kalt wie die Atmosphäre.
„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, Ernst Deutsch Theater, 2., 4.–9., 11., 13. und 14. Februar 2025
Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2025 erschienen.