Wiebke Bolduan: Comics, Humor und Gedanken

Wiebke Bolduan hat von der Behörde für Kultur und Medien ein Residenzstipendium im mare-Künstlerhaus, dem ehemaligen Wohnhaus von Roger Willemsen, erhalten. Ein Gespräch über ernste Angelegenheiten, lustige Zeichnungen und warum das gut zusammenpasst
Wiebke Bolduan
Stipendiatin im mare-Künstlerhaus – und Organisatorin des Comicfestival Hamburg: Wiebke Bolduan (©Marie Becker)

SZENE HAMBURG: Wiebke, Gratulation zum Residenzstipendium. Was erhoffst du dir davon?

Wiebke Bolduan: Ich erhoffe mir Zeit für mein neues Projekt, das im Verlag Reprodukt erscheinen soll. Und Ruhe, um mich darauf zu fokussieren. Es ist auch der Ort selbst. Ich habe mir vorher angeguckt, wie die Gegebenheiten von dem Stipendium sind. In meiner neuen Geschichte geht es um eine große Abgeschiedenheit, einen Rückzug. Es kam mir vor, als würde sich das ganz gut ergänzen mit der Atmosphäre vor Ort.

Wie ist da die Atmosphäre so?

Sehr eindrucksvoll mit dieser Villa. Gleichzeitig nicht einschüchternd. Die Leute, die uns rumgeführt haben, waren sehr herzlich. Ich habe eine von den beiden Personen, die da auch ihre Zeit verbringen, schon getroffen. Die hat einen sehr konzentrierten, motivierten Eindruck gemacht. Was ich auch gut fand: Man kann arbeiten, muss aber nicht zwangsläufig etwas präsentieren. Man hat seinen Arbeitsrhythmus, kann sich austauschen, aber nichts muss.

Der Comic bietet eine besondere Leseerfahrung durch sein eigenes Tempo

Wiebke Bolduan

Mit dir ziehen eine Bildende Künstlerin und ein Literaturübersetzer, der auch Musiker ist, ein. Ihr seid eine Art WG. Sind gemeinsame Projekte geplant?

Eigentlich macht jeder seine eigene Kreation. Aber wenn man sich austauscht über seine Ideen, kann man sich gegenseitig Inspiration geben. Das passiert automatisch, wenn man so lange Zeit miteinander verbringt. Und man interagiert nicht nur mit den Leuten, sondern auch mit dem Ort.

Wiebke Bolduan: „Comic, eine Verbindung aus Roman und Bildender Kunst“

Bezeichnest du dich selbst als Comiczeichnerin oder Graphic-Novel-Autorin?

Ich würde Comiczeichnerin sagen. Was ich produziere, nenne ich persönlich manchmal auch Graphic Novel. Es fühlt sich passender an für den Umfang der Bücher, aber ist vor allem wegweisender für das Publikum. Letztendlich ist „Graphic Novel“ auch eine Art Marketingbegriff. Es wurde geschaffen, um die Comics aus dieser vermeintlich clownigen Ecke rauszuholen. Ich finde „Comic-Roman“ auch ganz schön.

Was kann das Genre Comic, was Literatur oder Bildende Kunst nicht können?

Ich würde sagen, Comic ist ein Teil von beidem. Es ist eine Verbindung aus Roman und Bildender Kunst. Ob es etwas hat, was die anderen Genres nicht können? Es hat etwas Visuelles und etwas Textliches und schafft eine andere Wirkung der Geschichte. Beim Roman lesen stellt man sich das vor, was der Text beschreibt, beim Comic bekommt man ein Bild mitgeliefert. Der Comic besteht aus den Comicpanels, den einzelnen Bildern, aber zwischen diesen Bildern passiert die Bildfolge. Das ist total interessant. Der Comic bietet eine besondere Leseerfahrung durch sein eigenes Tempo und eine eigene Spannung.

Was kann das Genre Comic nicht?

Ich muss im Comic reduzieren, vereinfachen, während man im Text detailliert beschreiben kann. Ich muss überlegen: Wie kann ich das ins Bild packen, was lagere ich auf den Text aus, in der Sprechblase, in den Dialog. Ich kann nicht diese Position, die von außen beschreibt, einnehmen. Ich habe einen Dialog und ein Geschehen, muss gucken: Wann wird das Bild zu viel, wie viele Elemente bringe ich rein, ich muss konzentriert reduziert arbeiten. In einem Text muss man sich vielleicht manchmal nicht so kurz fassen.

Humor geht gut Hand in Hand mit nachdenklichen Themen

Wiebke Bolduan

Haben die Gedanken recht?

Selbstportrait Wiebke Bolduan
Wiebke Bolduan, gezeichnet von – richtig – Wiebke Bolduan (Zeichnung: Wiebke Bolduan)

In deiner Geschichte „Warnebi“ gehts um das Gefühl, dass im Leben etwas nicht passt, ohne dass man es genau benennen könnte. In „Viktoria Aal“ beschreibst du eine Autorin, die unzufrieden ist mit sich selbst. Deine Figuren sind oft Suchende. Bist du auch eine Suchende?

Ja, schon. Ich nehme das als etwas wahr, was viele Menschen miteinander teilen: Oft kann man gar nicht benennen, wonach man genau sucht. Das ist spannend und immer die Frage in meinen Geschichten. Es gibt einen Konflikt, ich suche nach einer Antwort, dann merke ich: Okay, die Antwort ist nicht eindeutig, es gibt nicht die perfekte, richtige Antwort. Es gibt viele Antworten. Ich muss endlich irgendeinen Weg gehen, kann aber auch nicht so richtig wissen, wo er endet.

In „Gedanken über Gedanken“ fällt der Satz „Du bist nicht, was du denkst“. Was ist man dann?

In dem Comic-Essay geht es darum, wie man sich selbst von seinen Gedanken überwältigen lässt. Ich wollte darauf hinaus, dass man sich auch mal von ihnen distanzieren kann. Um es grob zu sagen: Es ist eine Funktion vom Gehirn, Gedanken zu produzieren, aber die sind nicht immer richtig. Das ist nicht immer die Realität. Wenn ich negative Gedanken habe, bin ich nicht automatisch diese negativen Gedanken.

Kontrollieren wir unsere Gedanken oder kontrollieren unsere Gedanken uns?

Ich glaube, man kann seine Gedanken nicht kontrollieren. Die werden immer kommen. Man kann aber lernen, wie man besser mit ihnen umgeht. Dass man nicht sofort auf jedes Gedankenkarussell einsteigt, jede Gedankenschleife mitgeht. Dass man nicht alles für bare Münze nimmt, was man denkt.

Du erzählst von durchaus ernsten Angelegenheiten wie Selbstakzeptanz, Körperlichkeit oder Zwischenmenschlichkeit. Dein Strich ist umso heiterer und reduzierter. Ist dieser Kontrast beabsichtigt?

Eigentlich schon. Gerade beim Zeichnen merke ich, dass da der Humor sehr rauskommt, gut Hand in Hand geht mit nachdenklichen Themen. Vielleicht ist das auch eine Stärke vom Comic, dass es das so gut vereinen kann. Man sieht das Bild, lacht, gleichzeitig muss man mit der Geschichte dahinter schlucken. Da mag ich schon. Es ist auch Pragmatismus dabei. Je klarer und reduzierter Figuren und Orte gebaut sind, desto besser kann ich sie immer und immer wieder reproduzieren.

Ich würde dafür plädieren, nicht so perfektionistisch zu sein

Wiebke Bolduan

Wiebke Bolduan: Vernetzen, lesen und lernen

Du hast Illustration an der HAW Hamburg studiert. War von Anfang an klar, dass du Comiczeichnerin werden willst?

Ich habe als Kind nicht superviel Comics gelesen, aber gern sequenziell erzählt und gezeichnet. Schon sehr comicmässig. Das ist nie verloren gegangen. Das Studium hab ich auch deshalb angefangen, weil ich mir dachte, das ist ein Studium, in dem ich viel zeichnen kann, wo ich Comics machen kann. Ich wusste, dass Grafisches Erzählen in Hamburg in diesem Studiengang ein Schwerpunkt sein kann. Ich wollte einen Raum haben, die Ruhe, den Fokus, um das weiterverfolgen zu können.

Deine Abschlussarbeit „Warnebi“ hat den GINCO Award in der Kategorie „Selbstverlag“ bekommen. Bist du für den Vertrieb von Buchladen zu Buchladen getingelt?

Ich habe das Buch drucken lassen in einer kleinen Auflage und bei Festivals verkauft. Man könnte das natürlich auch an Buchläden schicken, aber ich habe das im kleinen Rahmen gehalten. Es hat sich trotzdem ganz okay rumgesprochen. Das ist ein gutes Gefühl: Selbst wenn es nicht bei einem Verlag klappt, hat man die Möglichkeiten, ein Buch zu produzieren und das an Leute zu bringen. Gerade in der Comicszene, die immer noch sehr DIY ist, muss man nicht den Stift für immer weglegen, nur weil die Verlage „Nein“ sagen.

Welchen Tipp gibst du jungen Leuten, die mit dem Gedanken spielen, Comiczeichner zu werden?

Ich würde vorschlagen, sich mit der Comicszene zu vernetzen. Gibt es in der eigenen Stadt ein Comicfestival, irgendwelche Gruppen, die sich treffen? Alle können Comics zeichnen, niemand muss sich davon abhalten lassen. Ich weiß, wie es ist, perfektionistisch beim Zeichnen zu sein, aber gerade beim Comic geht es darum zu erzählen. Ich würde dafür plädieren, nicht so perfektionistisch zu sein, viele Comics von anderen Zeichnenden zu lesen, um sich mit verschiedenen Erzählweisen vertraut zu machen. Mir hat es während des Studiums total geholfen, die Comicszene in Hamburg kennenzulernen.

Du organisierst das Comicfestival Hamburg mit, das vom 4. bis 10. Oktober stattfindet. Was erwartet die Besucher?

Am Freitag wird es ein Programm im Museum für Kunst und Gewerbe geben rund um die Künstlerin Anna Haifisch und ihr Thema der „Funny Animals“. Abends eröffnen die verschiedenen Ausstellungen vom Gängeviertel bis nach St. Pauli mit nationalen und internationalen ComiczeichnerInnen. Das ganze Wochenende gibt es Comiclesungen, Workshops, Kinderprogramm und dieses Jahr sogar zwei Messen!

Das Comicfestival Hamburg findet vom 4. bis 10. Oktober auf St. Pauli und im Gängeviertel statt

Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 09/2024 erschienen.

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