Wohnungsmarkt – Ungebremste Mieten und schamlose Vermieter

Foto: Birgit Otte

Der Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg, Siegmund Chychla, im Gespräch über die gescheiterte Mietpreisbremse und rücksichtslose Vermieter.

Dieser Tage drängt sich wieder ins öffentliche Bewusstsein, was von manchen schon fast als gottgegeben hingenommen zu werden scheint: Die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Hamburg ist erschreckend. Mietpreise, die einem noch vor wenigen Jahren lächerlich überteuert vorkamen, sind inzwischen Normalität. Die horrenden Summen sind nicht nur ein Smalltalk-Dauerbrenner auf Partys – sie geben Grund für ernsthafte Existenzängste, die längst nicht mehr nur Geringverdiener betreffen, sondern bis in die Mittelschicht reichen.

Und so ist es kaum verwunderlich, dass sich die Ereignisse irgendwann überschlagen, wie es in jüngster Vergangenheit der Fall war. Was ist passiert?

Zunächst verschafften Anfang Juni rund 3.000 Menschen aller Couleur ihrem Ärger Ausdruck, als sie beim „MietenMove“ auf die Straße zogen und in der Innenstadt drei Stunden lang „für eine solidarische und soziale Wohnraumpolitik“ in Hamburg demonstrierten.

Die unwirksame Mietpreisbremse

Ein beliebtes Motiv war dabei der Miethai. Gemeint sind jene Immobilienbesitzer, die sich ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit selbst bereichern. Das Netzwerk „Recht auf Stadt“, das die Demo mitinitiierte, wirft Miethaien wie dem skandinavischen Immobilienunternehmen „Akelius“ vor, Immobilien in Szenevierteln im großen Stil aufzukaufen, Sanierungen vorzunehmen und sie anschließend für maßlos erhöhte Preise wieder auf den Markt zu werfen.

Auch das jüngste Ereignis hat zur Zuspitzung des Konflikts beigetragen: Die ohnehin kraftlose Mietpreisbremse wurde vom Landgericht für unwirksam erklärt, sie hat für alle Verfahren, die vor September 2017 eingereicht wurden, keine Rechtskraft. Das Landgericht Hamburg wies in zweiter Instanz die Klage eines Mieters aus Ottensen ab, der nach der Einführung der Mietpreisbremse im September 2015 in eine Wohnung in Ottensen gezogen ist.

Dort zahlte er 14,01 Euro pro Quadratmeter. Laut Mietenspiegel liegt die ortsübliche Miete allerdings bei nur 8,75 Euro. Das heißt, die Miete hätte eigentlich bei dem erlaubten Aufschlag von zehn Prozent nur maximal 9,63 Euro betragen dürfen. Das Landgericht gab bei der Berufungsverhandlung an, dass der Hamburger Senat zu spät öffentlich begründet habe, warum der Wohnungsmarkt in Hamburg angespannt sei. Erst im Jahr 2017 sei eine öffentliche Begründung erfolgt. Als der Altonaer Bürger den Mietvertrag im September 2015 abschloss, hätte die Begründung also bereits veröffentlicht sein müssen.

Der Mieterverein zu Hamburg wirft dem Senat nun handwerkliche Fehler vor. Im Gespräch erklärt dessen Vorsitzender, Siegmund Chychla, was passiert ist und was sich in Zukunft auf dem Wohnungsmarkt ändern muss.

SZENE HAMBURG: Herr Chychla, das Landgericht Hamburg hat aus formellen Gründen die Mietpreisbremse für ungültig erklärt – und Sie sind dementsprechend sauer.

Siegmund Chychla ist der Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg.

Siegmund Chychla: Die Mietpreisbremse ist ohnehin keine richtige Bremse. Die vielen Ausnahmen und Inkonsequenzen haben dazu geführt, dass dieses Instrument kaum gewirkt hat. Und dann kam das i-Tüpfelchen, als Mitte 2017 mit der Entscheidung des Amtsgerichts Altona bekannt wurde, dass der Senat bei Erlass der Verordnung möglicherweise handwerkliche Fehler gemacht hat. Wir haben damals schon gesagt, dass der Verordnungsgeber Klarheit schaffen und nachbessern muss. Bedauerlicherweise haben unsere Hinweise nicht gefruchtet, weil die Behörde an ihrer Rechtsauffassung festhielt. Drei Jahre nach Erlass der Verordnung hat nun auch das Landgericht dem Hamburgischen Senat ins Stammbuch geschrieben, dass die Verordnung nicht ordnungsgemäß erlassen wurde.

Wie hat der Senat damals auf ihre Forderung geantwortet?

Der Senat hat sich stets auf die Rechtsposition zurückgezogen, dass es in Hamburg nicht notwendig ist, die Begründungen von Verordnungen zu veröffentlichen. Angesichts der extremen Unsicherheit hätte aber eine umsichtige Verwaltung sämtlichen Zweifeln Rechnung tragen müssen. Ich wähle immer einen überspitzten Vergleich: Wenn bei einem Mixer die Gefahr besteht, dass er Schaden anrichtet, gibt es vom Hersteller eine große Rückrufaktion.

Die Stadtentwicklungsbehörde sagt, bei der Urteilsverkündung in Altona handele es sich um einen Einzelfall und Klagen wegen überhöhter Mieten wären weiterhin möglich.

Das Landgericht ist eine Berufungsinstanz der Amtsgerichte, und es gibt viele Amtsgerichte, die auf diese Entscheidung gewartet haben. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sie sich in Zukunft bei gerichtlichen Verfahren nicht gegen das Urteil des Landgerichts entscheiden werden. Man kann unter diesen Umständen keinem Mieter guten Gewissens raten, gegen zu hohe Mieten zu klagen. Die Rechtsunsicherheit führt dazu, dass er am Ende vermutlich auf den Kosten sitzenbleibt.

Abgesehen von den formellen Fehlern: Sie sagten ja schon, dass die Mietpreisbremse sowieso kaum gewirkt hat. Warum?

Weil es zu viele Ausnahmen gibt. Alle Wohnungen, die nach dem 1. Oktober 2014 gebaut worden sind, unterliegen zum Beispiel nicht der Verordnung. Auch umfangreiche Modernisierungen sollen die Anwendung der Mietpreisbremse ausschließen. Der gröbste Fehler ist aber, dass der Vermieter die zu viel gezahlte Miete nicht von Beginn des Mietverhältnisses, sondern erst ab dem Zeitpunkt einer qualifizierten Rüge des Mieters zurückzahlen muss. Das heißt: Wenn Sie jeden Monat im Kaufhaus Sachen einstecken und irgendwann erwischt werden, dann brauchen Sie all das, was sie vorher genommen haben, nicht zurückzugeben. Vermieter gehen gar kein Risiko ein, wenn sie sich nicht gesetzeskonform verhalten. Es fehlen schließlich Sanktionen.

Ein Beispiel: In der Eichenstraße hat die Akelius GmbH eine 106 Quadratmeter große Wohnung saniert und für einen Mietpreis von 25 Euro pro Quadratmeter angeboten. Akelius verwies auf jene Ausnahmeregelung der Mietpreisbremse, laut der eine Wohnung nach umfassenden Sanierungen nicht mehr der Verordnung unterliegt. Das hört man oft: Wohnungen werden minimal saniert und überteuert wieder auf den Markt geworfen.

Was Akelius nicht sagt: Eine umfassende Sanierung, die dazu führt, dass die Mietpreisbremse nicht wirkt, ist nur dann anzunehmen, wenn die Kosten der Sanierung über einem Drittel der Neubaukosten liegen. Das Problem ist, dass der Mieter gar keinen Anspruch darauf hat, vor einem Prozess zu erfahren, wie hoch die Investitionskosten waren. Der Vermieter kann schweigen und erst im Prozess offenlegen, wie er das alles kalkuliert und finanziert hat. Und dann ist der Mieter wieder im Nachteil, weil er erst dann erfährt, ob seine Annahme zutreffend oder unzutreffend war.

Was kann man dagegen tun?

Wir fordern auf Bundesebene als Landesverband des Deutschen Mieterbundes in Hamburg, dass die Mietpreisbremse so nachgebessert wird, dass grundsätzlich keine Ausnahmen mehr zugelassen werden. Und wer sich nicht an die Regeln hält, muss umgehend mit Sanktionen belegt werden.

Ein anderes Thema, das für Aufregung sorgt, ist der Eigenbedarf. Wollen Vermieter ihre Mieter loswerden – um anschließend von den neuen Bewohnern eine höhere Miete zu kassieren – wird Eigenbedarf angemeldet. Und notfalls werden Mieter auch rausgeekelt.

Mein Eindruck ist: Je enger der Wohnungsmarkt, desto höher die Anzahl der Eigenbedarfsklagen. Gegen einen normalen Eigenbedarf kann man nichts sagen. Aber leider hat die Rechtsprechung in der letzten Zeit den Kreis derjenigen, zu deren Gunsten der Vermieter seinem Mieter kündigen kann, sehr erweitert. Das führt dazu, dass Vermieter immer jemanden finden, der angeblich auf die Wohnung angewiesen ist. Und sobald der Mieter auszieht, ändert der Vermieter plötzlich sein Vorhaben und verkauft die entmietete Wohnung. Diese Vorgehensweise ist für den Vermieter lukrativ, weil eine mietfreie Wohnung auf dem Immobilienmarkt ein Drittel mehr bringt als eine vermietete.

Wieder die Frage: Was kann man dagegen tun?

Back to the roots. Der Eigenbedarf soll wieder nur dann angenommen werden, wenn der Vermieter die Wohnung tatsächlich „benötigt“. Ein Student braucht keine 100 Quadratmeter große Wohnung in Harvestehude. Der Eigenbedarf muss nachvollziehbar und angemessen sein. Wir fordern, dass das Gesetz präzisiert wird und damit der Kreis der möglichen Personen, für die man Eigenbedarf geltend machen kann, verringert wird.

Haben Sie eigentlich den MietenMove Anfang Juni verfolgt?

Ja. Der MietenMove hat zu 80 Prozent die Forderungen unseres Vereins aufgenommen. Wir haben aber nicht mitgemacht, weil dort zum Teil Forderungen und Behauptungen aufgestellt wurden, die wir nicht mittragen können.

Welche?

Zum Beispiel die Unterstellung, dass die Stadt nur für Reiche baut. Hamburg ist bundesweit beim Wohnungsbau ein Vorbild für die gesamte Bundesrepublik. Die allgemeine Unterstellung, dass der Wohnungsbau allein nicht dazu geführt hat, dass der Mietenanstieg gestoppt wurde, ist banal. Ohne den Wohnungsbau wären die Mieten noch schneller gestiegen. Und was man auch nicht ausblenden darf: Der Senat hat zwischen 2011 und 2016 Rahmenbedingungen für den Bau von mehr als 40.000 Wohnungen geschaffen. Im selben Zeitraum sind aber eben mehr als 100.000 Menschen dazugekommen.

Welche Forderungen unterstützen Sie?

Auch wir sind natürlich für mehr bezahlbare Wohnungen. Deshalb sagen wir: Hamburg braucht nicht nur 10.000 Wohnungen und davon 3.000 Sozialwohnungen pro Jahr, sondern mindestens 6.000 Sozialwohnungen. Wenn beim MietenMove aber gefordert wird, dass es keine Nachverdichtung im Bestand geben darf und keine freien Flächen bebaut werden dürfen, dann frage ich mich, wo man bauen soll, um etwa die mehr als 30.000 Menschen mit Wohnraum zu versorgen, die zurzeit in Containern und anderen Notunterkünften leben. Nach Angaben des Flüchtlings-Koordinators ist mit einem weiteren jährlichen Zuzug von 5.000 Geflüchteten zu rechnen.

Ganz allgemein: Wie prekär schätzen Sie die Lage ein? Die Wohnungsmarktlage ist schlimm. Der enorme Zuzug hat trotz der vielen Wohnungsneubauten leider dazu geführt, dass die Wohnraumversorgung heute nicht besser ist als 2011, als die SPD das Regierungsruder übernommen hat. Unsere Forderung an die Politik ist deshalb, dass noch mehr gebaut wird. Anders kriegt man den enormen Zuzug nicht in den Griff.

Text & Interview: Ulrich Thiele
Beitragsfoto: Birgit Otte


 Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juli 2018. Das Magazin ist seit dem 29. Juni 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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