4 Minuten Theater: „Wir sind noch da!“

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Foto: Ulrich Thiele

Hamburgs Privattheater sind vielfältig. Das zeigt das digitale Format „4 Minuten Theater“, das den Zuschauer jede Woche mit in ein anderes Theater nimmt

Text & Fotos: Ulrich Thiele

Die Bühnenszene ist abgedreht, jetzt kommt der nächste Teil des Programms. „Willkommen an der längsten Tafel Hamburgs“, ruft Thomas Gisiger in die Kamera und zieht den massiven schwarzen Vorhang auf, der die Bühne vom Speisesaal trennt. Licht flutet den Bühnenraum, doch auf halbem Wege stockt der Vorhang. Also Vorhang wieder zu und noch mal von vorn. Es ist nicht der erste Patzer an diesem Drehtag, einmal wollte Gisiger eine Flasche öffnen, aber die Flasche wollte nicht. „Das ist der Corona-Rost“, sagt Kameramann Martin D’Costa und lacht. Die lustigsten Patzer sollen mit ins Video aufgenommen werden.

Thomas Gisiger ist Gastgeber und Schauspieler im Theater Die 2te Heimat im Quartier Phoenixhof in Ottensen, Martin D’Costa betreibt die Produktionsfirma Dschungelfilm. Gemeinsam drehen sie heute einen Film, der den Zuschauern die Atmosphäre und den Stil der 2ten Heimat vermitteln soll.

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Das Salon-Theater kombiniert Kultur, Kulinarisches und Kommunikation: Nach einer – meist tragikomischen – Vorführung wird den Gästen an der 24 Meter langen Holztafel ein Essen serviert, bei dem sie sich über das Stück austauschen können. Wie vermittelt man das am besten? Mit einem gesamten Theaterabend aus der Perspektive eines Besuchers in maximal vier Minuten zusammengefasst. Einen genauen Plan gibt es nicht, die Szenen sind improvisiert. Nur die Grundstimmung steht fest: Gisiger begleitet den fiktiven Gast überschäumend vor Freude, endlich wieder einen Besucher empfangen zu dürfen. Der gebürtige Schweizer redet in hellster Aufregung, lacht, gestikuliert mit den Händen, winkt der Kamera zu, ihm zu folgen, rennt und rennt und rennt von Programmpunkt zu Programmpunkt.

Experimentierfreude

Der Dreh ist Teil des neuen digitalen Formats „4 Minuten Theater“ (4MT), das die Behörde für Kultur und Medien und Hamburgs Privattheater ins Leben gerufen haben. Und das bietet mehr als „nur“ den Stream einer Aufführung oder Szene: In kurzen, experimentierfreudigen Videos präsentieren Hamburgs Privattheater in kreativer Verdichtung ihre künstlerischen und kreativen Ansätze.

Unterstützt werden sie dabei von den Hamburger Produktionsfirmen Hirn und Wanst, Stu- dio17 und Dschungelfilm. Mit dabei sind unter anderem Geschichten aus dem Lichthof Theater, das sich an filmische Virtual-Reality-Experimente wagt, dem Ernst-Deutsch-Theater, dem St. Pauli Theater und dem Klabauter Theater. Das Projekt ist ein Lichtblick für Regisseure und Schauspieler, die in Zeiten der Pandemie nicht nur unter finanziellem Druck stehen, sondern auch kreativen Durst haben, die ihr Publikum vermissen, die Aura eines gemeinsamen Abends. Und natürlich für alle Kulturliebhaber, die es vermissen, ausgehen zu können. „Die Privattheater haben gemeinsam mit Produktionsfirmen aus Hamburg einen Weg gefunden, der Pandemie mit einer gehörigen Portion Charme und Optimismus zu begegnen und weiter sichtbar zu bleiben. Damit senden sie ein wichtiges Signal: Wir sind noch da, wir machen weiter, wir freuen uns auf euch!“, kündigte Kultursenator Carsten Brosda das Format an.

Opernstück in vier Minuten

Seit dem 4. Juni erscheint jede Woche ein Beitrag, den Anfang macht der Engelsaal, Hamburgs ältestes Privattheater. Der künstlerische Leiter Philip Lüsebrink zeigt in dem Video mit einem selbstironischen Augenzwinkern, wie Musiktheater in Zeiten des Lockdowns dem Publikum filmisch nach Hause gebracht werden kann. Und zwar mit einer One-Man-Kurzperformance (gewitzte Schnitttechnik macht’s möglich) der Operette „Das Land des Lächelns“ von Franz Lehár. Prinz Sou-Chong (Philip Lüsebrink) erkennt darin, dass die kulturellen Unterschiede zwischen ihm und seiner geliebten Lisa (Philip Lüsebrink) viel zu groß sind. Trotz ihrer Liebe finden sie nicht zueinander. Dazu gibt’s einen Blick hinter die Kulissen zum musikalischen Begleiter am Klavier (Philip Lüsebrink) und zum leicht versnobten Regisseur (Philip Lüsebrink).

https://www.facebook.com/szenehamburg.stadtmagazin/videos/293849148451590/

Eine Woche später folgt ein Video, das die Solidarität unter Hamburgs Theatern demonstriert. Weil im Hansa Varieté gerade umgebaut wird, hat das St. Pauli Theater die Hansa Boys zu sich auf die Bühne eingeladen, wo sie ein Mini-Konzert unter Einhaltung der Corona-Auflagen spielen. „Moin! Moin! Moin! Moin!“, röhrt Sänger Rolf Clausen ins Mikrofon und singt über Hamburger-Klischees: „Manche sagen, wir wären kühl / Hätten einfach kein Gefühl“. Stimmt natürlich nicht: „Ihr wisst nicht, was in uns geschieht / Also spielt nicht mit dem Feuer / Weil man nichts von außen sieht / Wir sind pures Dynamit.“

„Die Gäste fehlen mir“

Zurück ins Die 2te Heimat. Thomas Gisiger serviert dem Gast „Riz Casimir“, ein traditionelles Schweizer Gericht. „Damit zeigen wir unseren Gästen: So schmeckt die Schweiz“, sagt er und erzählt sehnsüchtig von seiner Kindheit in seiner ersten Heimat. Die Sehnsucht nach Betrieb, hier, in seiner zweiten Heimat, ist genauso groß: „Normalerweise sitzen hier 70 Menschen an der Tafel. Dieses gesellige Grummeln, das haptische Bei-den-Leuten-sein und ihnen auf die Schulter zu klopfen – das fehlt mir.“

Die letzten Monate waren schwer für Gisiger und seinen Mann Andreas Löher, mit dem er das Theater gemeinsam betreibt. Wie für alle Theaterbetreiber. Der Lockdown kam bekanntlich plötzlich, Veranstaltungen mussten abgesagt werden, Einnahmen fallen aus, gleichzeitig sind die laufenden Kosten hoch. Erst vor zwei Jahren sind Löher und Gisiger in die Räumlichkeiten am Phoenixhof gezogen und haben dafür viel investiert. Viele treue Kunden seien solidarisch und hätten darauf verzichtet, sich ihre Karten für abgesagte Veranstaltungen erstatten zu lassen, zudem sei die Soforthilfe der Kulturbehörde eine große Hilfe gewesen. Auch für das 4MT-Projekt ist er dankbar: „Es ist mir so wichtig, mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben.“

Zum Abschluss gibt’s noch einen kleinen Absacker, genauer: einen „Absackerli“, wie der Schweizer sagt. Rhababerlikör von der eigenen Mutter. Dann ist der Abend vorbei. Ach, fast vergessen vor lauter Überschwang: Umarmen oder Handshake zum Abschied ist momentan ja nicht drin. Macht nichts, dann gibt’s eben den berühmten Corona-Footshake, ehe sich Martin D’Costa alias der fiktive Gast hinaus in die Abenddämmerung verabschiedet. „Komm bald wieder“, ruft Gisiger noch hinterher.

die2teheimat.de

Seht hier „4 Minuten Theater“ aus dem 2te Heimat Theater:

https://www.facebook.com/szenehamburg.stadtmagazin/videos/629257707998080/

Seht hier „4 Minuten Theater“ aus dem Lichthof Theater:

https://www.facebook.com/szenehamburg.stadtmagazin/videos/317138333027586/

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Seht hier „4 Minuten Theater“ aus dem Ernst-Deutsch-Theater:

https://www.facebook.com/szenehamburg.stadtmagazin/videos/285265129522953/

Seht hier „4 Minuten Theater“ aus dem St. Pauli Theater:

https://www.facebook.com/szenehamburg.stadtmagazin/videos/289685258877486/

Seht hier „4 Minuten Theater“ aus dem Fundus Theater:

https://www.facebook.com/szenehamburg.stadtmagazin/videos/1172306733139731/


Szene_Juli_2020_Cover SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juli 2020. Das Magazin ist seit dem 27. Juni 2020 im Handel und  auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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