SZENE HAMBURG wird 50. Im November 1973 gingen die ersten Ausgaben von Hamburgs ältestem Stadtmagazin über den Ladentresen. Das muss gefeiert werden, deswegen laden wir am 30. Oktober 2023 ab 21 Uhr in die Fabrik, um mit uns und vielen Gästen zu feiern (Tickets für 11,50 Euro). Dazu gibt’s Musik von Chazz Luck, Pohlmann und dem Besten aus fünf Jahrzehnten.
Doch bis es soweit ist, wagen wir einen Blick zurück: Wir zeigen Ausgaben aus 50 Jahren SZENE HAMBURG, ihre Themen und Titel.
April 1976
Ölkrise, Umweltschutz, Vietnamkrieg und Feminismus: Willkommen in den 1970er-Jahren. Das Jahrzehnt, in dem die erste Ausgabe von SZENE HAMBURG erschien. Seit 1973 liegt monatlich ein neues Heft in den Händlerregalen. Natürlich auch im April 1976. Darin lieferte die Redaktion für die Osterfeiertage „Tipps für alle, die nicht nur Eier suchen wollen“. Das rosafarbene Cover mit leicht bekleideter junger Frau, der obendrein Hasenohren, Schnurrhaare und ein Puschel angepinselt wurden, konnte (und kann) glatt mit einer Ausgabe des „Playboy“ verwechselt werden. Sex sells war noch ziemlich en vogue. Und obwohl Umweltschutz in den 70ern immer salonfähiger wurde, wurde auf dem SZENE HAMBURG-Titel mit supergünstigen Fernflügen geworben („Noch nie war Amerika so billig!“). Das Heft-Thema „Mietrecht für Mieter“ hingegen war im April 1976 ebenso relevant, wie es das heute ist.
Mai 1984
Führungskriege gab es in den 80ern nicht nur zwischen rivalisierenden kriminellen Banden auf dem Kiez, sondern auch, wenn es um die Einführung des Privatfernsehens ging. Ganz vorne mit dabei: das Verlagshaus Axel Springer. Im Mai 1984 berichtet die SZENE über das „Aktuelle Presse-Fernsehen“. Das erste Hamburger Pilotprojekt für Fernsehmacherei abseits des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Aufgrund der bundesweit verschiedenen Gesetzeslagen für den Privatfunk planten 165 Zeitungen gemeinsam – Vertreter und Vertreterinnen von Bauer und Burda, der Süd-West-Presse oder auch dem „Spiegel“ blickten sich in einer Runde in die Augen, um durch getätigte Investitionen für das Privatfernsehen Druck auf den Senat auszuüben.
Den größten Anteil hielt mit 35 Prozent der Springer Verlag. Das größte Hindernis waren die Sozialdemokraten, die es durch das Versprechen, „Hamburg wieder nach ganz vorn in der Medienlandschaft zu bringen“, seitens Springer zu überzeugen galt. Auch 2023 scheint die SPD nicht als Favorit des Verlagshauses – zumindest dessen Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner – zu gelten. So lässt es jedenfalls die aktuelle Berichterstattung vermuten, nach der Döpfner sich nicht nur abfällig gegenüber der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel oder „den Ossis“ geäußert haben soll, sondern wohl auch eine explizit FDP-freundliche Berichterstattung in der „Bild“-Zeitung vor der Bundestagswahl veranlasst habe.
Juni 1996
Wiedervereinigung, Techno und Balkankriege – wir sind in den 90ern angelangt. Auch das Cover macht kein Geheimnis daraus. Dabei ist mit „Game Boys“ gar nicht mal die Spielekonsole gemeint. Das Heft präsentiert in knalligen Fotos die Herrenmode von 1996, die auch heute wieder ihr Revival feiert: Mittelscheitel, weite Anzughosen und bunte Kurzarmhemden, die man auf keinen Fall bis oben hin zuknöpft. Das alles war in, dann out und eben wieder in. Dieses Hin und Her der Trends ist nichts Neues und die Begeisterung für Vintage war scheinbar schon damals vorhanden: Die SZENE gibt auf mehreren Seiten Tipps für den Einstieg in das Filmen mit Super-8-Kameras. Die waren bei dem Schwung neuer Aufnahmetechniken schon überholt und beinahe vergessen gewesen, doch manche Ästhetiken stellen sich eben breitbeinig gegen den Fortschritt. Damals die Super 8 und heute (schon seit einigen Jahren) analoge Fotokameras. Medien berichten sogar, dass Kodak der Nachfrage nach Farbnegativ-Filmen derzeit gar nicht mehr hinterher komme. Und auch den Super-8-Film will Kodak wiederbeleben. Dann könnten auch wir wieder schreiben: „Super 8 ist wieder da!“
Drogendealer und EM-Stimmung
Ein weiteres großes Thema dieser Ausgabe ist der Schanzenpark und der Umgang mit Drogendealern, die damals laut Text ein recht neues Phänomen im Park waren. Verschiedene Initiativen wollten dem entgegenwirken – durch Dialog und friedliche Präsenz im Park, statt mit Gewalt und Vertreibung. Dennoch ist die Drogenkriminalität im Schanzenpark bis heute ein Thema geblieben. Die kommende Cannabis-Legalisierung soll und könnte an der Situation etwas ändern. Genau abschätzen lässt sich das aber noch nicht. Um einen sehr hinkenden Vergleich zu bringen: Im Mai 1996 hat auch noch niemand mit Sicherheit vorhersagen können, dass die deutsche Herren-Fußballmannschaft im Sommer Europameister wird. Auch die SZENE nicht. Um richtig in EM-Stimmung zu kommen und zu bleiben, empfiehlt das Heft die Platte „Spitzenreiter! – 22 Goldene Fußballklassiker“. Die hat bis jetzt aber kein Revival erlebt. Auf Online-Marktplätzen gibt es die Platte noch für faire 4 Euro zu kaufen.
Juli 1999
Wir stehen kurz vor der Jahrtausendwende: 1999 ist geprägt vom Kosovo-Krieg, innenpolitisch sorgt die CDU-Spendenaffäre für Aufregung.
Ein wenig Ablenkung in diesen grauen Zeiten verschafft das Titel-Thema der Juli-Ausgabe von SZENE HAMBURG: „GREASE“! Die Hansestadt sprang am 17. des Monats mit der aufwendigen Musical-Neuproduktion des Klassikers kurzzeitig in die feuchtfröhliche Bonbonwelt der 50er-Jahre zurück, jedoch mit einer Prise 90er versehen. Das Cover zieren die Hauptdarstellerin Jodie Carmelli und der Hauptdarsteller Greg Kohout.
Auch auf dem Titel zu finden: „Eiersalat – Helge Schneider im Interview“. Der damals 44-Jährige, gerade erst selbst ernannte Rockmusiker unternahm zu der Zeit einen kurzen Ausflug in die Welt der etwas härteren Töne und tourte mit seiner Band The Firefuckers mit „Eiersalat in Rock“ durch Deutschland, einer audiovisuellen Umsetzung seines in dem Jahr erschienenen Buches „Eiersalat – eine Frau geht seinen Weg“ – anscheinend die Lektüre für die moderne Frau. Dass er diese Konzert-Reihe frühzeitig abbrechen würde, da ihm das Rockgenre dann doch zu laut war, konnte man im Interview bereits zwischen den Zeilen lesen. Sein Leben sei ein Gitarrensolo und er gehe ständig in andere, unvorhergesehene Richtungen. Helges damalige Aussage, „Hamburg ist auch scheiße“, tat unserer Liebe zu ihm keinen Abbruch. Er nahm und nimmt eben noch heute kein Blatt vor den Mund.
Eine Gebrauchsanweisung für den perfekten LAN-Spaß
Von fetzigen Gitarrensoli geht es im Heft bis hin zu sanften Jazz-Melodien. SZENE HAMBURG gab seitenweise Tipps für Konzerte, aktuelle Platten, und die Ausgabe beinhaltete einen prall gefüllten Open-Air-Kalender für die sommerliche Festival-Saison.
Ein Heft-Thema wird heute den einen oder anderen zum Schmunzeln bringen: Die 90er-Jahre waren auch eine Zeit, in der LAN-Partys ziemlich im Trend waren. Durchzechte Nächte mit sperrigen Computern in kalten Turnhallen, höchst konzentrierte (meist) Männer inmitten von Pizzakartons, Cola-Dosen und Kabelsalat. Eintritt: circa 30 Mark. SZENE HAMBURG verweist sogar auf eine Gebrauchsanweisung für den perfekten LAN-Spaß. Nur mal so: 2023 kann man Locations inklusive Schlafräume (und wer mag, sogar Gym für den körperlichen Ausgleich) für ungefähr 100 Euro buchen, um beispielsweise im Rahmen eines Junggesellenabschieds die LAN-Party-Hochphase wieder aufleben zu lassen.
August 2002
Knallbunte Modetrends, Bollywood-Filme und die Einführung des Euros – all das prägten die 2000er. Je bunter, desto besser – so schien das Modemotto der Nullerjahre zu sein. Das spiegelte sich auch auf dem Cover der SZENE HAMBURG-August-Ausgabe von 2002 wider. Fashionistas kleideten sich etwa mit farbenfrohen Sonnenbrillen, glitzernden Armbändern und schrillen Klamotten im sogenannten Y2K-Trend. Heute, 20 Jahre später, feiert der Trend mit Baggy- und Cargo-Hosen, Schlagjeans und Croptops sein Comeback.
Die damals so bunte und lebensfrohe Stimmung zeigte sich auch auf den Straßen der Stadt. Vor allem im Schanzenviertel, wo das Schulterblatt zu einem „rummeligen Schanzenhype“ beitrug, wie SZENE HAMBURG berichtete. Zum Beispiel ging es im Heft um das facettenreiche Streetlife. Menschen allen Alters, mit den unterschiedlichsten Hintergründen – in der Schanze trafen sie alle aufeinander.
2002: Jahrhundertflut an der Elbe, der Euro und Bollywood
Nichtsdestotrotz bargen auch die schillernden 2000er nicht nur Positives. So rollte etwa eine Flutwelle im August 2002 von Sachsen über Brandenburg Richtung Norden. Die Jahrhundertflut an der Elbe hinterließ einen geschätzten Gesamtschaden von 11,6 Milliarden Euro. Apropos Euro: Der war 2002 neu und ersetzte die D-Mark. Neu waren auch Bollywood-Filme in den deutschen Kinos. Die in Indien produzierten und beim dortigen Publikum enorm beliebten Filme kamen bei Zuschauern in Deutschland zunächst nicht so gut an. So wurden sie von hiesigen Filmkritikern unter anderem als „unerträglicher Kitsch“ abgestempelt, wie in SZENE HAMBURG nachzulesen war. Was die westliche Filmkultur damals noch nicht ahnte: Die Bollywood-Filme würden mehr als nur eine „exotische Sommermode“ (Zitate SZENE HAMBURG) bleiben. Die indische Filmindustrie produziert heute so viele Filme wie keine andere. Mit 900 Spielfilmen pro Jahr kann selbst Hollywood (600 Filme) nicht ansatzweise mithalten.
September 2008
2008 war ein Jahr der Proteste und Umweltkatastrophen. Die Ölpreise stiegen und sanken, die Weltfinanzkrise trug langfristige Konsequenzen mit sich. SZENE HAMBURG befasste sich im September mit einem ebenfalls erschreckenden Thema: „Schatten-Existenz: Illegale in Hamburg“. Knapp 100.000 Menschen lebten und arbeiteten zu der Zeit papierlos in der Hansestadt, ohne Rechte, ohne Krankenversicherung – quasi ohne Existenz. Sie waren nach Deutschland gekommen, um ihr Überleben und das ihrer Familien zu sichern, arbeiteten für drei bis fünf Euro die Stunde – und das meist weit über die normale Arbeitszeit hinaus. Ausbeutung auf hohem Niveau. Aktuell ist dieses Thema auch heute noch, doch die Anzahl der papierlosen Menschen ist 15 Jahre später auf schätzungsweise 22.000 gesunken.
Clubs und Bars im Fokus: „Wo man sich den schönsten Kater holt!“
Das Titelthema dieser Ausgabe „Hamburgs Nachtleben“ gibt Einblicke in bunte Nächte, gefeiert in den berühmt-berüchtigten Straßen der Stadt. SZENE HAMBURG interviewte vier Kenner der Szene, welche über ihre ganz persönlichen Partyvorlieben, Sorgen und Wünsche sprachen. Mehr Glitzer und Seifenblasen waren der Trend, das Club-Sterben auf St. Pauli leider auch. Seit 2008 mussten viele Läden schließen. Wenige, darunter das Molotow, haben noch die Kurve gekriegt. Die Frage, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen Club-Sterben und Touristenaufkommen gibt, kann heute definitiv mit Ja beantwortet werden. Denn wegen diesem müssen urige St. Pauli-Kneipen zunehmend Platz für durchgestylte Partyschuppen machen.
Durchleuchtet wurden im Heft auch das Prinzip Vorglühen, das Prinzip Ü30 und das Prinzip Stammkneipe. Letzteres ist vom Aussterben bedroht, da es heute einfach zu viel Auswahl gibt und sich viele nicht mehr festlegen möchten. Wer damals jedoch noch nicht den richtigen Ort für einen regelmäßigen Absacker gefunden hatte oder einfach nach Inspiration für das nächste feuchtfröhliche Erlebnis suchte, konnte auf ganzen sechs Seiten nachlesen, in welchen Clubs und Bars man sich den schönsten Kater holen kann.
Oktober 2015
Was war da los, 2015? Einiges! Gehen wir mal chronologisch vor. Im April des Jahres wählte die Hamburger Bürgerschaft Olaf Scholz erneut zum Ersten Bürgermeister. Zum ersten Mal betrug die Legislaturperiode fünf Jahre. Dass aus Scholz sechs Jahre später mal ein Bundeskanzler werden sollte – damals eher noch nicht abzusehen. Apropos Politik: Die war im weiteren Verlauf von 2015 besonders gefragt. Enorm viele Menschen aus Kriegsgebieten suchten in Deutschland Schutz, natürlich auch in Hamburg. Die einen sagten damals „Flüchtlingskrise“. Kanzlerin Angela Merkel sagte: „Wir schaffen das!“
Simone Herrmann und die anderen Helferinnen und Helfer
In der 2015er Oktoberausgabe von SZENE HAMBURG wurde Simone Herrmann als Hamburgerin des Monats gekürt. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Hamburgerinnen und Hamburgern unterstützte sie die Kleiderkammer, die in kürzester Zeit in den Messehallen entstanden war, um den dort untergebrachten Geflüchteten zu helfen. Ebenfalls im Oktober 2015 wurde der gemeinnützige Verein Hanseatic Help gegründet, der sich den Bedürfnissen der Menschen in Form von alltäglichen Hilfsgütern annahm und bis heute annimmt.
Im Folgemonat herrschte in Hamburg große Trauer, ach was: bundes- und teils weltweit. Helmut Schmidt starb im November 2015. Mit ihm ging einer der ganz großen Hamburger, nicht bloß aus politischer Sicht.
November 2020
„Bummeln ohne Bammel!“, hieß es mit einem Fragezeichen dahinter auf dem SZENE HAMBURG-Titel im November 2020. Was war da los? Sehr viel – und gleichzeitig sehr wenig. Corona hatte die Stadt im Griff.
Tägliche Tests in Schulen, Maskenkontrollen in Bahnen, Bürgerschaftswahlen mit Trennwänden aus Plastik, Autokinos und Live-Stream-Konzerte: So war’s leider. Im Heft wurde ausgiebig über die Situation berichtet. Zum Beispiel darüber, wie sehr Hamburgs Märkte unter der Pandemie litten. Schließlich war unter anderem auf dem Fischmarkt, dem Isemarkt und dem Dom plötzlich alles anders. Wie ging es den Marktmachern? Wie den Schaustellern? Und was hielt Fischmarkt-Original Aale-Dieter von den neuen Regeln in seinem quasi zweiten Zuhause? Stand alles in der November-Ausgabe. Glücklicherweise wissen wir heute: Alle drei genannten Traditionsmärkte haben die Pandemie überstanden. Tobias Löffler von „Malte – Frische Kräuter“, damals noch mit Stoffmaske auf dem Cover zu sehen, steht weiterhin auf dem Isemarkt und bietet Schnittlauch, Rosmarin und Pfefferminze an.
Natürlich hatten auch die Gastro-Betriebe der Stadt mit Covid zu kämpfen – und installierten Hygiene-Konzepte in ihren Läden. Auch davon konnte man in SZENE HAMBURG lesen. „Zwischen Wein und Virenfilter“, lautete die Überschrift. Wirkt textlich wie aus einer anderen Welt und Zeit. Ist tatsächlich aber noch gar nicht so lange her.
Ein Streifzug durch die Cover aus 50 Jahre SZENE HAMBURG
Die Reihe SZENEzeitreise erschien seit April 2023 monatlich in SZENE HAMBURG und online